Literatur:Wichtige Bücher für düstere Zeiten

Applaus

Düstere Zeiten für die Demokratie.

(Foto: plainpicture/Andreas Suess)

Trump, Erdoğan, Le Pen: Populisten bedrohen die Demokratie. Wie konnte es soweit kommen? Eine Leseliste von Philip Roth bis Platon.

Platon: "Gorgias"

In seinem "Gorgias" taucht zum ersten Mal in der Geschichte das Wort "Rhetorik" auf. Und dieser philosophische Dialog ist auch gleich schon die erste prinzipielle Auseinandersetzung mit den Risiken demokratischer Kommunikation. Platon war da ein gebranntes Kind: Sein Lehrer Sokrates war gut zehn Jahre, bevor der "Gorgias" geschrieben wurde, im Jahr 399 vor Christus, zum Tod verurteilt worden. Und zwar durch Mehrheitsbeschluss des Volkes. Grund für die Hinrichtung waren sehr dehnbare Tatbestände gewesen: Missachtung der Religion und zersetzende Wirkung auf die Jugend von Athen. Daher bekommt Sokrates, vor dessen Tod das Gespräch spielt, im "Gorgias" die prophetischen Worte in den Mund gelegt: "Wenn ich aber wegen Mangel an schmeichlerischer Redekunst sterben müsste ..."

Genau dies, dass die politische Rhetorik nichts als unsachliche "Schmeichelei" sei, ist denn auch der Vorwurf an die Wahlkampfmanager und PR-Coaches seiner Zeit, die Sophisten. Einer davon ist der titelgebende Gorgias. Noch viel schlimmer ist einer seiner Sympathisanten namens Kallikles, der skrupellos das Recht des Stärkeren vertritt. Dies rechtfertige jegliche demagogischen, populistischen Tricks. Sokrates kontert: Solche Politiker "behandeln ihres eigenen Vorteils wegen, den gemeinsamen vernachlässigend, das versammelte Volk wie Kinder." Klingt vertraut? Seither versucht man die Rhetorik, die jede Demokratie braucht, den Bösen als Waffe zu entreißen. Darum muss man sie studieren, jetzt erst recht.

Johann Schloemann

Platon: Gorgias. Griechisch/deutsch. Übersetzt und hrsg. von M. Erler und Th. Kobusch. Reclam Verlag, 342 Seiten, 9,80 Euro. Den Originaltext und die Übersetzung von Friedrich Schleiermacher gibt es auch gemeinfrei im Internet.

Eugène Ionesco: "Die Nashörner"

Die Bevölkerung einer kleinen, zivilisierten Stadt verwandelt sich Schritt für Schritt in eine Rotte von schnaubenden Nashörnern. Gerade die ordentlichsten Mitbürger sind als erste dabei. Das Stück "Die Nashörner" wurde 1959 in Düsseldorf in einer deutschen Verhältnissen angepassten Version uraufgeführt, noch vor dem französischen Original. Der Erfolg war enorm, bald avancierte es zur beliebten Schullektüre: Drama des Absurden! Es handle, so wurde uns beigebracht, von "Herdentrieb und Konformismus" in einer Diktatur. Das ist nicht falsch, verharmlost das Drama aber. Denn eigentlich zeigt es, wie eine bürgerliche Gesellschaft Stück für Stück ihr Wutlevel anhebt, also das, was Peter Sloterdijk und sein der AfD zuarbeitender Schüler Marc Jongen den "thymotischen Zustand" nennen.

"Ich koche innerlich", brüllt eines der Nashörner. Dazu kommt der Übertritt in eine eigene Wahrheitssphäre. Die Presse, die über die Tiere berichten will, wird delegitimiert: "Alle Journalisten sind Lügner." Wer die verwandelten Mitbürger als "Saupack" bezeichnet, muss sich zurechtweisen lassen: "So spricht man nicht zu Lebewesen." Man hat genug von Moral und Gutmenschentum: "Das Humane ist überholt." Vielleicht haben die Wutbürger einen Grund? Man sollte "mit ihnen sprechen", "man muss immer versuchen zu verstehen", heißt es. Wut und moralischer Relativismus gehen eine giftige Verbindung ein. Mit dem begriffslos schnaubenden Hass bricht die gesellschaftliche Kommunikation zusammen, und das ist viel, viel gruseliger als die Frage nach dem Konformismus.

Gustav Seibt

Eugène Ionesco: Die Nashörner. Aus dem Französischen von Clemens Bremer und H. R. Stauffacher. Fischer Taschenbuch, 112 S., 7,99 Euro.

Mary Shelley: "Frankenstein"

Nicht mal eines Namens wurde das Geschöpf für würdig befunden, immer heißt es nur die Kreatur oder das Monster, Frankensteins Monster. Der Doktor Viktor Frankenstein hatte einen perfekten künstlichen Menschen schaffen wollen, aber was bei seinem Experiment herauskam, war so abschreckend, dass es nirgends zugehörig sein durfte. Der absolute Outsider.

Wenn er in ein Dorf kam, fielen die Frauen in Ohnmacht, Steine wurden geschleudert. Das naive und empfindsame Monster floh aufs Land und erklärte der menschlichen Spezies den Krieg. Mary Shelleys "Frankenstein", erschienen 1818, ist ein revolutionäres Buch, das von Identität und Freiheit handelt. Zur Kultfigur wurde das Monster 1931 durch den Film von James Whale - der als Schwuler ums Außenseiterdasein wusste. Da fingen die Menschen an, sich ihrer eigenen Monstrosität bewusst zu werden. Und etwas wie sympathy for the monster zu empfinden.

Fritz Göttler

Mary Shelley: Frankenstein. dtv, 304 Seiten, 8,90 Euro.

Margaret Atwood: "Der Report der Magd"

Die Inspiration für Margaret Atwoods "Der Report der Magd" lag hinter der Berliner Mauer. Ihre Erfahrungen in Ostberlin 1984 brachten sie darauf, sich mit einem totalitären Staat auseinanderzusetzen, der ursprünglich ein Utopia hatte werden sollen. Sie erzählt die Geschichte der Magd Desfred. Sie soll für ihren Herrn, einen Kommandanten, ein Kind bekommen. Die Magd, die gebären soll,ist ein alttestamentarisches Motiv, und es kommt hier nicht von Ungefähr: In dem Amerika, in dem Desfred lebt, hat eine christlich-fundamentale Gruppe die Macht übernommen. Ihre Republik Gileas ist ein totalitärer Staat, in dem die Menschenrechte außer Kraft gesetzt sind. Frauen dürfen nichts besitzen und nichts entscheiden.

"Ich hatte einfache Regeln für dieses Buch", schrieb Atwood später, "Ich wollte nichts hineinpacken, was Menschen nicht irgendwann und irgendwo schon mal getan haben und nichts, für was sie nicht längst die Werkzeuge besitzen." "Der Report der Magd" handelt von der Zerbrechlichkeit der Zivilisation und davon, wie Fortschritt und Regression im Wechsel die Oberhand gewinnen.

Susan Vahabzadeh

Margaret Atwood: Der Report der Magd. Piper Verlag, 400 Seiten, 11 Euro.

Sinclair Lewis: "It Can't Happen Here"

Faschismus, das ist erst einmal nur ein Wort, beruhigt der Publizist Doremus Jessup sich selbst. Eine Rückkehr zur amerikanischen "Grundidentität", die der gerade ins Weiße Haus gewählte Berzelius Windrip propagiert, könnte dem Land durchaus guttun, denn die liberalen Gedanken der Gründungsväter stärken ja die Demokratie und schmettern jeden autoritären Gestus ab. Es wird hier in den USA im Jahr 1936 also nicht gleich so schlimm kommen wie drüben in Italien und Deutschland.

Doremus irrt. Kaum ist Windrip im Amt, redet keiner mehr von Freiheiten. In Washington übernimmt eine autoritäre Führung das Zepter, die Frauen, Minderheiten und Andersdenkende zugunsten der Formung eines homogenen Nationalcharakters unterdrückt. Der Wahlkampf zu Beginn des Romans "It Can't Happen Here" ließ das schon vermuten und wirkt heute seltsam vertraut, da dieser Windrip, den Sinclair Lewis vor acht Jahrzehnten erfand, in der Gestalt Donald Trumps nun tatsächlich über die Amerikaner gekommen ist. Ein politisch unerfahrener Charismatiker mit Verachtung für alle "Büchereliten". Doremus muss da bald abtauchen.

Die Ähnlichkeit von Windrip und Trump geht so weit, dass beide mit einem Buch ihren eigenen Mythos begründet haben, sich von einem windigen Medienmann beraten lassen und mehr Militär für mehr Frieden fordern. Dass all das in die Katastrophe führen kann, lacht die Bevölkerung im Roman weg: Das ist bei uns nicht möglich! Und Lewis, dessen sarkastische Sprache verrät, dass ihn solche Einfältigkeit gruselt, scheint ihnen und uns zuzurufen: Seid euch da nicht so sicher.

Jonathan Horstmann

Sinclair Lewis: It Can't Happen Here. Signet Classics, New York 1935. 416 Seiten, 9,99 Euro.

Ralph Ellison: "Der unsichtbare Mann"

Als Ralph Ellison 1952 "Der unsichtbare Mann" veröffentlichte, wirkte sein Roman wie ein Stromstoß. Ellison hatte die Geschichte des schwarzen Amerika auf eine einzelne, namenlose Figur verdichtet. Der Held zieht aus dem amerikanischen Süden nach Harlem, die heimliche Hauptstadt des schwarzen Amerika im Norden von Manhattan. Er schließt sich dort den Kommunisten an, verzweifelt und verbittert schließlich am Kampf um eine eigene Identität. Denn er ist und bleibt ein Unsichtbarer, dessen Identität hinter seiner Hautfarbe verschwindet.

Ellisons Roman gilt bis heute als Schlüsselroman der amerikanischen Gesellschaft. Barack Obama nahm sich das Buch zum Vorbild, als er seine Autobiografie "Ein amerikanischer Traum" schrieb. Das Gefühl, unsichtbar zu sein, nicht dazuzugehören, ist im schwarzen Amerika bis heute verbreitet. Und nicht nur dort. Die Verzweiflung über die Rollen, welche die Gesellschaft für die meisten parat hält, zieht sich durch so viele Schichten und Gruppen, dass man die Parabel längst übertragen kann. Mit ein wenig Fantasie auch nach Europa.

Andrian Kreye

Ralph Ellison: Der unsichtbare Mann. Rowohlt. 627 Seiten, nur antiquarisch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: