Übergriffe auf Gedenkstätten:Spur der Schande

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In der Gedenkstätte des früheren KZ Sachsenhausen stellten Besucher den Holocaust infrage. (Foto: Patrick Pleul/Picture Alliance/dpa, Collage: Stefan Dimitrov)

In Deutschland gibt es alle paar Wochen einen rechtsextremen Übergriff auf Gedenkstätten. Wie SZ und NDR recherchiert haben und was dahinter steckt.

Von Peter Laudenbach

Es wirkt wie die Fortsetzung der "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad", die der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke seit Jahren fordert: Rechtsextreme pöbeln in Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, sie leugnen den Holocaust und fotografieren sich in früheren Konzentrationslagern mit dem Hitlergruß. Sie beschmieren Infotafeln und Gedenksteine mit Hakenkreuzen und Hassparolen, brechen Stolpersteine aus dem Asphalt oder zerstören Mahnmale. Parallel zu diesen Akten des Vandalismus stellen Vertreter der AfD immer wieder die öffentliche Finanzierung von Gedenkstätten infrage. Ähnlich wie im Bereich der Kultur, die zuletzt zunehmend zum Kampffeld wurde, scheinen politische Vertreter der neuen Rechten sowie Rechtsextremisten und Vandalen auf dasselbe Ziel zuzuarbeiten, die Gedenkkultur zu unterminieren - vielleicht nicht koordiniert, aber in der Kombination sehr beängstigend.

Was die Übergriffe besonders zynisch macht, ist, dass sie an den Tatorten der nationalsozialistischen Massenmorde stattfinden, dort, wo unzählige Menschen gelitten haben - Juden, Zwangsarbeiter, Sinti und Roma, Sozialdemokraten, Homosexuelle, Kommunisten, Christen. Eine Besuchergruppe der AfD-Politikerin Alice Weidel hält es für passend, in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Sachsenhausen den Holocaust in Frage zu stellen. Der Rechtsradikale Nikolai Nerling verhöhnt ausgerechnet in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Bergen-Belsen die dort umgekommene Anne Frank. Aktivisten wie Nerling nutzen Gedenkorte als symbolträchtige Bühnen und Aufmerksamkeitsverstärker für ihre Auftritte. Ihnen geht es um den maximalen Tabubruch, die Verhöhnung der Ermordeten. Die meisten Täter bleiben jedoch anonym. Sie wollen gezielt die Gefühle anderer Menschen verletzen. Ihre Taten zeugen von Wut und Brutalität, aber auch von Feigheit. Ziel vieler Angriffe sind unbewachte Gedenksteine und Mahnmale.

Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des NDR haben mehr als hundert solcher Übergriffe auf die Gedenkkultur aus den vergangenen sechs Jahren dokumentiert - im Schnitt mehr als einer pro Monat. Sie wirken wie aggressive Gesten der Verdrängung und Verhärtung, wie der Versuch, sich der Geschichte dieses Landes nicht stellen zu müssen. Das hat viel mit Abwehr, Täter-Opfer-Umkehrung, Gefühlskälte und blankem Hass zu tun und sehr wenig mit aufgeklärtem Patriotismus.

Nikolai Nerling im Jahr 2019. (Foto: Sachelle Babbar/Imago Images/ZUMA Wire, Collage: Stefan Dimitrov)

Gewalt als Mittel der Geschichtsleugnung ist nicht neu. 1979 jagte ein Neonazi Sendeanlagen in die Luft, um die Ausstrahlung der Fernsehserie "Holocaust" zu verhindern. Als Täter wurde ein NPD-Funktionär verhaftet. 1999 verübten Rechtsterroristen einen Sprengstoffanschlag auf die Ausstellung, mit der das Hamburger Institut für Sozialforschung die Verbrechen der Wehrmacht dokumentiert hat. Im Januar 2020 wurde am Eingang der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora in Thüringen ein Päckchen mit laut Polizeibericht "zündfähigem Sprengkörper mit ernstzunehmender Wirkung" deponiert. Orte des Gedenkens, des Respekts vor den Toten, auch der Scham werden systematisch missachtet. Mitarbeiter von Gedenkstätten werden beschimpft und bedroht. Gedenkstätten sehen sich daher seit Jahren gezwungen, ihre Mitarbeiter für den Umgang mit solchen Störungen zu schulen. Sie müssen lernen, bei der Kleidung der Besucher auf rechte Symbole und Codes zu achten, müssen immer wieder Führungen abbrechen, manchen Besuchern Hausverbote erteilen.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Jedes Jahr informieren sich mehr als eine Million Besucher der "Topographie des Terrors" in Berlin über den Gewaltapparat der Nazis. Allein die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen in Brandenburg verzeichnet jährlich mehr als 700 000 Besucher. Daneben sind verwirrte Geschichtsrevisionisten und Neonazis eine winzige Minderheit. Als der Rechtsradikale Nerling im Februar 2019 bei einem seiner Auftritte in der KZ-Gedenkstätte Dachau gegen den "Schuldkult" hetzte, widersprach ihm die Schulklasse einer Besuchergruppe deutlich und unmissverständlich. Die Jugendlichen zeigten damit mehr menschlichen Anstand und Verantwortung angesichts der deutschen Geschichte als der selbsternannte "Volkslehrer".

Hier finden Sie die Chronik der Vorfälle .

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SZ PlusExklusivÜbergriffe auf Gedenkstätten
:Jahre der Schande

Holocaustleugnung, Verhöhnung der Ermordeten und schwere Sachbeschädigung: Über die Aggression der Neuen Rechten gegen Orte des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Chronologie des Hasses.

Text: Peter Laudenbach und John Goetz, Collagen: Stefan Dimitrov

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