Ausstellung über das Erdölzeitalter:Wie geschmiert

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Eine große Überblicksschau im Kunstmuseum Wolfsburg widmet sich recht wohlwollend dem Thema Erdöl. Hat das vielleicht etwas damit zu tun, dass hier der VW-Konzern zahlt?

Von Till Briegleb

Bohrt man in die Tiefe der Geschichte, der persönlichen wie der allgemeinen, stößt man garantiert auf Öl. Die jugendliche Liebe zur Schallplatte hatte als technische Voraussetzung den Kohlenwasserstoff, ebenso die Familienferien mit PKW am Gardasee. Öl verbindet den verklebten Seevogel nach Tanker-Havarien mit den erotischen Accessoires Lippenstift und Mascara. Weltkrieg wäre ohne den fossilen Treibstoff so wenig möglich gewesen wie die Mondlandung, Esso-Tanke wie Easy Rider. Und auch die Plastikwelt entwickelte sich aus einer ölbasierten Isolationslösung für Elektrokabel auf Kriegsschiffen zum größten Freiheitsversprechen des Massenkonsums. Von Nylon und Tupperware zu Nike und Tetra Pak schenkte Mutter Öl uns Status samt Verpackung.

Die Menschheit wird mit dem Widerspruch leben und sterben, dass für unsere geliebten Gewohnheiten 90 Millionen Barrel Rohöl aus der Erde gepumpt werden, pro Tag

Natürlich wurde zuletzt immer mehr Menschen auch bewusst, dass Erderwärmung und Meeresverschmutzung vom geologischen Vampirismus abstammen. Aber dagegen kämpft ja seit ein paar Jahren eine flugintensive Reisediplomatie zwischen Kyoto, Durban und Glasgow, die allerdings nichts mehr fürchtet als ernsthafte ökonomische Konsequenzen für ihre ölbasierten Industriezweige. Das Wohlstandsversprechen der Wirtschaftsnationen lässt deswegen nur sehr wenige Alternativen zum schleichenden Weltuntergang in Rußpartikeln zu. Finden wir uns damit ab: Die Menschheit wird mit dem Widerspruch leben und sterben, dass für unsere geliebten Gewohnheiten 90 Millionen Barrel Rohöl aus den Tiefentanks der Erde gepumpt werden, pro Tag. Ein Barrel sind übrigens 159 Liter und erzeugt durchschnittlich 500 Kilo Treibhausgas.

Wie bekommt man ein solches Universalthema, das in wirklich alle Existenzsphären eingreift, mit einer Ausstellung in den Griff? Die große Schau "Oil" im Kunstmuseum Wolfsburg, die möglichst viele Aspekte in 220 Kunstwerken, Dokumenten und Artefakten sowie einem dicken Katalog darstellen möchte, hat sich dafür zunächst einen wohl ausbalancierten Untertitel gewählt: "Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters". In aller Ausgewogenheit wird damit schon vorab geklärt, dass man über die Petro-Epoche im Ganzen nicht negativ urteilen sollte. Und tatsächlich erzeugt diese Fairness der Kuratoren gegenüber allen positiven wie negativen Aspekten beim Besucher ein gewisses Gefühl des Fatalismus vor den Öl-Notwendigkeiten. Denn wer will schon ohne Handy, Fahrrad, Urlaub, Spülmaschine, Gartenschlauch, Kugelschreiber und Brille leben, wo überall aus Öl verarbeitete Materialien und Energien beteiligt sind? Oder ohne Auto?

Wer will schon ohne Handy, Urlaub, Spülmaschine und Brille leben, wo überall aus Öl verarbeitete Materialien und Energien beteiligt sind? Oder ohne Auto?

An diesem Punkt der optimalen Standpunktgerechtigkeit muss dann doch einmal die Frage gestellt werden, ob das halbe Loblied auf den noch immer bedeutendsten Energierohstoff der Welt vielleicht etwas damit zu tun hat, dass bei diesem Stiftungsmuseum im Hintergrund der VW-Konzern zahlt und wacht? Auf gar keinen Fall, sagt der neue Direktor Andreas Beitin. Er habe die Ausstellung mit den beiden Kuratoren Alexander Klose und Benjamin Steininger, von denen die Idee für "Oil" stammt, ohne die geringste Einmischung seitens des Hauptarbeitgebers der Autostadt konzipieren und gestalten können. Und es gibt keinen Grund, diesem seriösen Ausstellungsmacher, der zu den Museumsleuten gehört, die sich am intensivsten für die Umwandlung der energieaufwändigen Häuser in Grüne Museen einsetzt, zu unterstellen, dass er die Unwahrheit sagt. Dennoch hat "Oil" eine kompromittierende Vorgeschichte.

Denn ursprünglich annonciert wurde die Themenschau von dem vorherigen Direktor Ralf Beil, und der ist wegen eines ernsthaften inhaltlichen Konfliktes mit dem Wolfsburger Konzern 2018 gefeuert worden, als er gerade die Öl-Ausstellung vorbereitete. Beil hatte es 2016 gewagt, in der Schau "Wolfsburg Unlimited" auch den Abgasskandal von Volkswagen zu thematisieren - und zwar mit einem unangenehmen Video, das den schwitzenden Konzernchef Martin Winterkorn bei der Pressekonferenz zeigt, auf der er den systematischen umweltschädlichen Betrug bei Millionen Dieselmotoren durch die VW AG eingestehen musste. Diesem renitenten Direktor wollte das VW-geleitete Museums-Kuratorium dann auf keinen Fall die Verantwortung über eine weitere Ausstellung lassen, deren Inhalt mit dem Markenkern der Firma zu tun hat.

Nun kann man der schließlich realisierten Ausstellung und vor allem den Texten in dem Katalog nicht vorwerfen, dass sie die kritischen Folgen für Klima, Umwelt und Weltpolitik unterschlagen, die Massenmobilität durch Explosionsmotoren seit rund 100 Jahren mit sich bringt. Vom Fetischcharakter des Autos über zerstörte Landschaften in ölfördernden Diktaturen zur Klimabilanz des Individualverkehrs wird hier nichts verheimlicht, was zum Öl-Schlamassel dazu gehört. Nur eine fundierte Kritik zu den ökonomischen Systemfragen und Interessen, die diese negativen Faktoren verursachen, findet in der Ausstellung nicht wirklich statt. Die sehr vielen Bild- und Textinformationen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Auf eine klar erkennbare Haltung, mit der sich der Besucher auseinandersetzen könnte, wird verzichtet.

Die Versteinerung eines Ichthyosaurus aus der Zeit, als die Ölvorkommen aus organischem Material entstanden, finden sich in der Ausstellungshalle genauso wie poppige chinesische Propaganda-Plakate zur Industrieproduktion. Videos vom Kampf der Menschen im ölverseuchten Niger-Delta gegen Shell und ExxonMobile sowie den korrupten nigerianischen Staat treffen auf stolze Postkartensammlungen historischer Förderstädte. Ein Hochzeitstreffen von Ölscheichs in Katar ohne Frauen hat die gleiche Wertigkeit wie Essos stolze Werbekampagne, dass 3 von 5 Bomben, die im Zweiten Weltkrieg auf Deutschland und Japan fielen, erst durch ihre Produkte explodierten. Und auch Humor darf nicht fehlen. Karl Valentin empfahl 1944, dass die deutschen Flieger ihre Bomben über Deutschland und die Engländer ihre daheim abwerfen, denn "der Erfolg wäre doch derselbe. Aber wie viel Benzin hätte man gespart".

Den Hauptteil der Ausstellung machen Künstlerarbeiten aus, die mal ironisch, mal dokumentarisch, mal sehnsüchtig oder auch institutionskritisch etwas zum Thema Rohstoff Öl entworfen hatten. Eine eingeknickte Kissenrakete von Sylvie Fleury erzählt von den geplatzten Träumen über ein Leben im Weltall. Steiner und Lenzlinger produzieren grüne Kristalle, um sehr ästhetisch darauf zu verweisen, dass auch die Weltdüngerproduktion ihre Wurzeln im Erdöl hat. Wolfgang Mattheurs symbolische Malerei erzählt von der Reisesehnsucht in der DDR. Und Hans Haacke erbaut einen Altar für die Konflikte, die das Sponsoring durch toxische Firmen in Museen auslösen.

Die aufwendige historische Überblicksschau liefert weniger Orientierung als Fülle

Allerdings hat auch diese Arbeit, die sich mit Mobil Oil und dem Metropolitan Museum in New York befasst, nicht die Schärfe, die zu einem Rauswurf von Andreas Beitin durch VW führen würde. Sie ist ein Puzzlestück in einer aufwendigen historischen Überblicksschau, die weniger Orientierung liefert als Fülle. Und die vor allem zu einem Zeitpunkt, wo dringender den je über Alternativen zum ölbasierten Wohlstand gesprochen werden müsste, zukünftige Optionen vollkommen ausspart. Besuchern, die sich lange genug in der Ausstellung aufhalten, um wirklich alle 220 Elemente betrachtet und verstanden zu haben, verlassen sie vermutlich mit dem Gefühl, sie trügen zwei Öltanks an Informationen mit sich, ohne zu wissen, wohin damit zu steuern sei.

Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters. Kunstmuseum Wolfsburg . Bis 9. Januar. Der Katalog kostet 45 Euro.

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