Kunstausstellung:Halb Afrika, halb Europa

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Das Werk von Michael Armitage ist erstmals in Deutschland zu sehen: "Paradise Edict" im Haus der Kunst in München widersetzt sich dem Schubladen-Denken. Der Künstler nimmt sich, was er will und was er braucht.

Von Kia Vahland

Der Hühnerdieb ist der Held. Angstverzerrt ist sein Gesicht, sein Lauf aber so schnell, dass sein rechtes Bein wie im Comic eine Bewegungsspur im Bild hinterlässt. Schließlich ist ihm ein pavianartiges Dämonentier auf den Fersen, bewaffnet wohl mit Pistolen. Die Situation ist brenzlig, der Sprinter hüpft über eine Lache aus Benzin oder Blut oder beidem, und auch die grünen Autoreifen im Hintergrund könnten jeden Moment Feuer fangen. Wie kein anderer zeitgenössischer Maler versteht es Michael Armitage, Farbe in Dynamik zu übersetzen. Bei aller Schnelligkeit des Pinselstriches bleibt seine Malerei dabei präzise, zart sogar: Die leicht gestrichelten Federn, welche die Hühner lassen, heften sich an das verschwitzte T-Shirt des Diebes, als gehörten die Tiere tatsächlich zu ihm. Vielleicht stiehlt er das unschuldig weiße Federvieh ja gar nicht, sondern rettet es vor dem Verderben.

Lebensgroß sprintet der Mann nun an einer Wand im Haus der Kunst, und die überdimensional proportionierten, im Faschismus errichteten Säle des Münchner Ausstellungshauses sind gerade groß genug für die Bildwelten des in Kenia aufgewachsenen, in Großbritannien ausgebildeten Malers. Seine dicht erzählten Stoffe pinselt er nicht auf Leinwände, sondern auf Lubugo. Das kostbare Material gewinnen die Baganda in Uganda aus der inneren Rinde der Natalfeige. Verwendet wird es als Grabtuch oder für hohe zeremonielle Anlässe. In einem mühsamen Prozess werden die Bäume geschält und danach, um wieder zu heilen, mit einem Verband aus Bananenblättern umwickelt. Die Rinde wird ausgeräuchert und weichgeklopft, bis sie tuchartige Qualität hat.

Es müssen viele Bäume sein, die für die Kunst Armitages ihre Haut ließen, denn er malt großflächig und viel. Ihn fasziniert, wie beinahe lebendig der organische Bildträger sich verhält, wie er zusammengeflickt werden muss, trotzig weiche Krater und Löcher bildet, die nun ins Bild integriert werden wollen. Und natürlich leiht der Künstler sich auch gerne die weihevolle Bedeutung eines Materials, das vor allem Toten vorbehalten ist, aber nichts Abgestorbenes hat, sondern sich im Malprozess stetig verändert. Ein Video in der Ausstellung dokumentiert, wie Lubugo traditionell gewonnen wird. Der Künstler hat, wie er einmal erzählte, dabei noch eine andere Assoziation: Ihn erinnere das Prozedere an die Häutung des Marsyas, der den Wettstreit mit Apoll verloren hatte. Und schon sind wir erst in der Mythenwelt der europäischen Antike, dann bei einem anderen großen Farbvirtuosen, nämlich Tizian, der in einem für sein künstlerisches Selbstverständnis zentralen Werk Partei nahm für das entrechtete Naturwesen: den in dicken Farbschlieren blutenden, sterbenden Satyr.

Das muss Armitage entgegenkommen, der fröhlich Zitate der klassischen europäischen Kunst mit ostafrikanischen Materialien und Mythen vermengt. Seine Naturwesen sind Affen und andere Wildtiere, die das menschliche Treiben kommentieren, ohne sich vom Menschen zähmen oder gar vertreiben zu lassen.

Auch im Großformat "Pathos und das Zwielicht des Müßiggangs" sind es Äffchen, als Bilder im Bild, die das bunte Treiben zwischen Party und fahnenschwingender Demonstration von oben herab betrachten. Das sorglose Gedränge verweist auf die Vor-Corona-Zeit, entstanden ist das Werk 2019. (Was nebenbei die Frage aufwirft, was nun eigentlich Figurenmaler wie Armitage tun, die es lieben, wie einst Rembrandt, Einzelstudien menschlicher Gemütsregungen in zeittypischen Momentaufnahmen zu vereinen.)

Manchmal drängt der Maler die Tiere aber auch in die Position der Beobachteten, etwa, wenn seine Affen Bikini tragen oder wie Giorgiones und Manets weibliche Liegefiguren ihre nun haarigen Körper in freier Wildbahn präsentieren. Darin mag man eine Persiflage kolonialistischer Denkmuster erkennen, die Afrika nicht ohne Affen imaginieren können, oder, in Anlehnung an die sexismuskritische Künstlergruppe Guerilla Girls, eine Abrechnung mit dem paternalistischen Blick. Diese Stücke hängen gleich im Treppenaufgang, und sie sind nicht die subtilsten in der Schau, die ansonsten schnelle Deutungen aushebelt. Zu vielschichtig, zu oft übermalt, zu eindringlich sind die meisten Erfindungen des 1984 geborenen Malers.

Zwischen Ekstase und Wut, zwischen Aufbruch und Beharrlichkeit

Die Energien, die er beobachtet und erst in Vorstudien, dann in Malerei übersetzt, changieren zwischen Ekstase und Wut, Aufbruch und Beharrlichkeit. Damit charakterisiert der Kenianer auch sein Heimatland, das er mit Neugier und Anteilnahme betrachtet, ohne die Position des Beobachters aus der Ferne aufzugeben - er zeichnet zumeist in Nairobi, verdichtet die Ideen dann aber in seinem Londoner Atelier zu Malerei.

Eine Sektion der Ausstellung versammelt zumeist kleine Stücke anderer Maler aus Ostafrika, die Michael Armitage schätzt. Das ist gut gemeint, und es wäre unbedingt eine eigene größere Ausstellung wert, die in diese spezifischen Motivwelten und Formsprachen einführen könnte. So aber, im Kontrast zu den wandhohen Farbexplosionen von Armitage, wirkt es, als habe die Kuratorin Anna Schneider nur den Beweis führen wollen, wie europäisiert, wie zitatgesättigt dagegen die Kunst ihres Protagonisten ist.

Der aber ist mehr als ein gelehrter Schüler britischer Akademien. Tatsächlich wandelt Armitage zwischen den Kontinenten, nimmt, was ihm gefällt, kommentiert beide Welten mal erstaunt, mal böse. Er widersetzt sich damit der neueren Tendenz des Kunstbetriebes, in abgrenzbaren ethnischen oder historischen Kategorien zu denken. Popkultur und Antike, Sigmar Polke und Goya, Geisterglaube und traditionelles Naturwissen haben ihre Spuren hinterlassen in diesem dynamischen Œuvre, das die problematische Wahl in Kenia vor drei Jahren genauso thematisiert wie postkoloniale Erwartungshaltungen des Westens.

Das Haus der Kunst knüpft mit dieser überfälligen, unbedingt sehenswerten Einzelausstellung an die große Ära unter dem 2019 verstorbenen Okwui Enwezor an, der ebenso wie Michael Armitage an die Durchlässigkeit der Kulturen glaubte.

Michael Armitage: Paradise Edict, Haus der Kunst in München, bis 14. Februar.

© SZ vom 07.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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