"Green Book" im Kino:Zwei Kulturen auf allerengstem Raum

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Musiker Doc Shirley (Mahershala Ali) und sein Chauffeur Tony Lip (Viggo Mortensen) auf ihrer Tour durchs amerikanische Hinterland. (Foto: Entertainment One)
  • In "Green Book" chauffiert ein Italoamerikaner einen afroamerikanischen Pianisten für eine Tournee über amerikanische Highways.
  • Der Film spielt im Jahr 1962, als die Rassentrennung in den USA noch Alltag war, besonders im Süden.
  • Der Filmtitel bezieht sich auf das Negro Motorist Green Book, das schwarze Autofahrer aufklärte, in welchen Motels oder Lokalen oder Bars sie einkehren durften und welche ihnen strikt verweigert wurden.

Von Fritz Göttler

Tony hat einen Brief geschrieben an seine Frau Dolores, einen schönen poetischen Brief, der ihre Freundinnen bewegt, als sie ihn vorgelesen bekommen. Die Männer, die derweil vor dem Fernseher hocken und Sport gucken, sind nicht weiter überrascht. Unter den Vorfahren unserer Familie, erzählt einer nebenbei, war einer, der hat Leonardo geholfen, die Sixtinische Kapelle auszumalen.

Der Kinofilm "Green Book" bringt zwei Kulturen auf allerengstem Raum aneinander, in einem hellblauen Cadillac, auf langen Fahrten über amerikanische Highways. Tony Vallelonga, der sich - weil viele Probleme haben, diesen Namen korrekt auszusprechen - Tony Lip nennt, sitzt am Steuer. Ein Italoamerikaner von fülliger Statur, der seine Hemden gut füllt, der mit der Familie in der Bronx lebt und als bouncer im Nachtclub Copacabana arbeitet - was mehr ist als ein brutaler Rausschmeißer, er selbst spricht, in einer Stellenbeschreibung, von PR.

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Als der Club renoviert wird, braucht Tony für ein paar Wochen einen anderen Job, und den bekommt er als Chauffeur für den afroamerikanischen Pianisten und Komponisten "Doc" Shirley, den seine Plattenfirma zwei Monate auf Tournee schickt, in die Staaten des amerikanischen Südens, deep South. Ein kühnes, zwiespältiges Unternehmen, für das man unbedingt das Negro Motorist Green Book braucht, das die schwarzen Autofahrer aufklärt, in welchen Motels oder Lokalen oder Bars sie einkehren dürfen und welche ihnen strikt verweigert werden. Und welche Orte zu den sundown towns gehören, in denen Schwarze nach Sonnenuntergang besser nicht mehr auf die Straße gehen. Es ist das Jahr 1962, die Rassentrennung ist noch virulent, besonders im Süden.

Sie sind ja gar kein Mediziner, staunt Tony Lip, als er sich bei Doc Shirley zum Bewerbungsgespräch vorstellt. Einen Doktortitel hat dieser in Liturgischer Musik, und Tony war schon erstaunt, dass der Doc seine Wohnung über der Carnegie Hall hat. Eine weite, luxuriöse Wohnung, wo der Doc thront wie ein Fürst und betont Distanz hält zum groben Italiener.

Der Film basiert auf einer wahren Geschichte aus den Sechzigern

In den großen Konzertsälen auf der Tournee wird er vom großbürgerlichen Publikum gefeiert, und erst recht bei Konzerten, die er auf den Landsitzen der reichen Oberschicht gibt. Es ist durchaus seine Welt, in der er sich da bewegt, aber jenseits der Konzerte wird er in die andere Welt aller anderen Schwarzen zurückgedrängt, mit einer grausamen Unbekümmertheit, einem eingeborenen Rassismus, dessen sich keiner bewusst zu sein scheint. Eine Grausamkeit, die manchmal härter trifft als die Schläge, die ein paar Rednecks in einer Kneipe ihm androhen und vor denen Tony - der PR-Arbeiter - ihn retten muss.

Der Film ist entstanden nach einer wahren Geschichte - wie zwei Menschen langsam ziemlich beste Freunde wurden in den Sechzigern. Tony Vallelonga hat sie seinem Sohn Nick erzählt, der hat, nach dem Tod des Vaters, mit dem Filmemacher Peter Farrelly ein Drehbuch daraus geschrieben. Tony Lip hat dann noch eine kleine Karriere im Kino gemacht, zuerst als ein Gast auf der großen Hochzeit beim "Godfather", später als Gangsterboss bei den "Sopranos" oder Martin Scorseses "GoodFellas".

Der eher asketische, manchmal gar aristokratische Viggo Mortensen ist hier der derbe Tony, er hat sich einige Pfunde angefressen für die Rolle, und man sieht ihn in vielen Szenen des Films bei Nahrungsaufnahmen aller Art. Einmal hockt er abends nach getaner Arbeit auf dem Motelbett mit einer Pizza in der Hand, klappt sie einmal zusammen und nimmt einen kräftigen Bissen. Mahershala Ali ist Doc Shirley, der versucht, auf die Gemeinheiten des Südens möglichst ungerührt zu reagieren - Ali hat einen Oscar bekommen für "Moonlight" und einen Golden Globe nun für "Green Book". Tony bringt ihn, als sie Kentucky erreichen, auf den Geschmack, lässt ihn das "Fried Chicken" kosten, außerdem serviert er ihm, der auf einzigartige Art Beethoven spielt oder Chopin, aus dem Autoradio die populäre schwarze Musik, von Little Richard, Chubby Checker oder Aretha Franklin.

"Green Book" ist eine Art Neubeginn für Peter Farrelly, der mit seinem Bruder Bobby erfolgreich die Unter-der-Gürtellinie-Komödie etablierte, mit "Dumm und dümmer", "Verrückt nach Mary" oder "Alles erlaubt - Eine Woche ohne Regeln".

Inzwischen ist natürlich nicht mehr alles erlaubt, das musste auch Farrelly spüren. "Green Book" wurde auf dem Filmfestival in Toronto gefeiert - sein erster Festivalauftritt überhaupt -, nun ist er für fünf Oscars nominiert, und die moralisch verschreckte amerikanische Filmakademie zwingt Farrelly, öffentlich Buße zu tun, weil er einst mit zotigen Tricks auf dem Set seine Leute anmachte.

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Kann man einem Filmemacher mit dieser Vergangenheit ein Thema wie den Rassismus in den USA anvertrauen, bei dem höchste Korrektheit erwartet wird? Es sei eines weißen Mannes Version vom Leben eines schwarzen Mannes, hat Shirleys Tochter dem Film vorgeworfen.

"Green Book" ist ein Film nicht nur über Rassen, sondern auch über Klassen

Aber eben das kaschiert der Film keine Sekunde. Er lässt Docs Motive für die Tour im Ungewissen, zeigt nur seine schreckliche Einsamkeit, maßt sich nicht an, eine Lösung zu finden für den Rassismus heute und seine Vorurteile. Das glückliche Ende, wenn die beiden am Weihnachtsabend nach New York zurückkommen, heim in die Familie, ist nur vorläufig.

"Green Book" ist ein Film nicht nur über Rassen, sondern auch über Klassen. Die beiden ideologischen Systeme, die in den Sechzigern das Land zerrissen, und heute, in Trumps Amerika, wieder für Spaltung sorgen, verhaken sich wechselseitig im Verlauf des Films. Auch die Italiener sind nicht wirklich integriert, sie haben sich in ihre Familien und mafiösen Verbände zurückgezogen. Tony weigert sich verächtlich, Domestikendienst zu leisten.

Doc Shirley addiert die Zeichen seiner Kultiviertheit und Sensibilität - natürlich war er es, der die eingangs erwähnten Liebesbriefe für den neuen Freund verfasst hat -, in einer so kruden Fülle zusammen, dass sie wirken wie eine Parodie. Eine Decke über den Beinen, ein Steinway auf dem Podium, eine Flasche Cutty-Sark-Whiskey jeden Abend auf seinem Nachttisch. Er sehnt sich nach Unabhängigkeit, der amerikanischen Tugend par excellence.

Green Book, USA 2018 - Regie: Peter Farrelly. Buch: Nick Vallelonga, Brian Hayes Currie, Peter Farrelly. Kamera: Sean Porter. Schnitt: Patrick J. Don Vito. Mit: Viggo Mortensen, Mahershala Ali, Linda Cardellini. Entertainment One, 131 Minuten.

© SZ vom 30.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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