Kino:Im Nebel der Sucht

Mein Kind ist auf Meth: Felix van Groeningens Film "Beautiful Boy" zeigt den Kampf eines Vaters, gespielt von Steve Carell, um seinen drogenabhängigen Sohn.

Von Annett Scheffel

Das Phänomen der Drogensucht auf die Kinoleinwand zu bringen, ist ein schwieriges Unterfangen. Viele Filme scheitern an der Frage nach dem Warum, die auch im echten Leben unverständlich bleibt. Warum nimmst du Drogen? Diese Frage stellt auch David (Steve Carell) einmal seinem 18-jährigen Sohn Nic, als der mal wieder einen neuen Entzug beginnt. Auch der Zuschauer würde es so gerne wissen. Nic, gespielt von Timothée Chalamet, sitzt auf seinem Klinikbett, hinter ihm fällt gleißendes Sonnenlicht durchs Fenster - Licht für einen Moment der Wahrheit. Aber seine Erklärungen bleiben undurchsichtig.

So dicht ist der Nebel der Suchtlogik, dass er anfällig wird für filmische Klischees: einfache Lösungen wie die oft gesehene Drei-Akt-Struktur - Drogenmissbrauch, Tiefpunkt/Einsicht, Heilung. Diesen Fehler wenigstens begeht Felix van Groeningen in seinem neuen Film nicht. Der belgische Regisseur hat sich tief genug in die lange, verwickelte Geschichte eingelesen, auf der seine erste Produktion in den USA basiert: David Sheffs "Beautiful Boy" und Nic Sheffs "Tweak" sind zwei komplementäre Teile der Geschichte einer Crystal-Meth-Abhängigkeit, die eine Vater-Sohn-Beziehung durch sämtliche Höllenkreise aus Wut, Scham, Angst und Schuldgefühlen jagt.

BEAUTIFUL BOY; Film Beautiful Boy

Warum, mein Kind? Steve Carell, als verzweifelter Vater, mit seinem Filmsohn Timothée Chalamet.

(Foto: Francois Duhamel / NFP)

Dass van Groeningen einfühlsam genug ist, um so einen Stoff zu verfilmen, hat er bewiesen. Bereits in "Die Beschissenheit der Dinge" und "The Broken Circle" erzählte er von existenzieller Verzweiflung, ohne ins Sentimentale abzurutschen. In "Beautiful Boy" versucht er nun vor allem die Hilflosigkeit der Angehörigen fühlbar zu machen. Der Film beginnt in medias res: David, der erfolgreiche Journalist, sitzt im Büro eines Arztes und stellt Fragen über die Auswirkungen von Crystal Meth. Die Handlung wird fortan von zahlreichen Zeitsprüngen in Bewegung gehalten, springt vor und zurück, in Nics Kindheit und an verschiedene Hoch- und Tiefpunkte seiner Abhängigkeit. Und doch ist bald eine immer gleiche Abfolge zu erkennen: sich wiederholende Kreisläufe aus Entzug und Rückfall.

Es gibt Szenen von durchscheinender Schönheit, aber die sind ein Problem

Diese frustrierenden Zeitschleifen gehören zu den guten narrativen Ideen des Films. Leider gibt es auch ein paar schlechtere, etwa dass van Groeningen auch auf ausgedehnte, fast Videoclip-artige Montagesequenzen setzt. David Bowie singt "Blue, blue, electric blue", wenn David sich in seinem gemütlichen, holzvertäfelten Arbeitszimmer durch Drogenforen googelt. Und Nirvanas "Territorial Pissing" untermalt eine Autofahrt mit dem frühpubertären Nic durch die wunderschöne Landschaft Nordkaliforniens. Überhaupt gibt es viel gute Popsongs in "Beautiful Boy": von Neil Young, Sigur Rós und John Lennon (von dem sich der Film auch seinen Titel leiht). Bei der durchscheinenden Schönheit dieser Szenen wird man das Gefühl nicht los, dass der Film an der Oberfläche bleibt. Diese Ästhetisierungen sind zu cool und zu zaghaft für die Monstrosität einer Abhängigkeitsgeschichte.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Geschichte einmal nicht in einem urbanen Ghetto, sondern in der Wohlstandswelt des malerischen Marin County spielt, nördlich von San Francisco. Das Haus ist großzügig, das Meer nah, der Vater intellektuell und verständnisvoll, der Sohn hat Zusagen von sechs Colleges. Van Groeningen spielt zwar mit den Erwartungen an die heile Umgebung, zugleich verbaut sie ihm aber auch den Weg zu Nics Motiven. Das Warum, an dessen Klärung sich der Film immer wieder versucht, bleibt immer im Schatten formelhafter Erklärungen, die oft wie aus der Popkultur geborgt scheinen: So liebt Nic die Gedichte von Charles Bukowski und beschreibt die Wahrnehmung auf Meth wie ein Umschalten "von Schwarzweiß auf Technicolor".

Abseits dieser engen narrativen Kreise fehlen dem Film über weite Strecken Freiräume, da können sich die beiden Hauptdarsteller noch so anstrengen. Immerhin sorgen sie für die beste Szene des Films: Da sitzen sie sich in einem Moment verdoppelter Ohnmacht in einem Diner gegenüber, Carell als Vater, der wütend ist und hilflos und sich trotzdem Zuversicht abringt, und Chalamet, der seine Rolle mit viel Ernst und Aufrichtigkeit spielt, mit seinem knittrigen Unglücksgesicht. Vielleicht - diesen Gedanken hat man mehr als einmal - ist der wahnsinnig talentierte Chalamet aber auch einfach zu schön für Methamphetamin-Abgründe.

Beautiful Boy, USA 2018 - Regie: Felix van Groeningen. Buch: Felix van Groeningen, Luke Davies. Kamera: Ruben Impens. Schnitt: Nico Leunen. Mit: Steve Carell, Timothée Chalamet, Maura Tierney, Amy Ryan. Verleih: NFP, 121 Minuten.

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