"European Shooting Stars" auf der Berlinale:Einer, dem alles zuzutrauen ist

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Manche vergleichen ihn mit James Dean: Jonas Dassler, Mitglied am Berliner Maxim-Gorki-Theater, hat das gewisse Etwas im Blick. (Foto: © Stefan Klüter)

Der Schauspieler Jonas Dassler gilt vielen als "Jahrhunderttalent". Wer ihn hat spielen sehen, am Berliner Maxim-Gorki-Theater oder in Fatih Akins "Der goldene Handschuh", wird nichts dagegen sagen.

Von Christine Dössel

In dem sofagemütlichen Kaffeehaus in Berlin-Mitte fällt er gar nicht weiter auf. Dunkelblauer Strickpulli mit Zipp-Kragen, den Haarschopf unter einer Wollmütze, schaut Jonas Dassler wie ein normaler Student aus. Einer unter vielen. Vor sich auf dem Tisch ein Buch, das er gerade angefangen hat zu lesen: Richard Sennetts "Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität". Er scheint es für das Treffen mit Bedacht ausgewählt zu haben - so wirkt man intellektuell und belesen. Er macht später selber einen Witz darüber, ohne dass man sagen könnte, ob das Buch nun pure Inszenierung ist oder nicht. Dassler, wässrigblaue Augen, James-Dean-Gesicht, ist ein freundlicher, reflektierter junger Mann, der gut und klug spricht. Aber durchschaubar ist er nicht.

Noch hat er im Café seine Ruhe, noch erkennen ihn die Leute nicht. Das dürfte sich in absehbarer Zeit ändern, so rasant, wie es mit seiner Karriere vorangeht. Dassler, geboren 1996 in Remscheid, ist Theater- und Filmschauspieler, beides noch gar nicht so lange, er ist ja erst 23, hat erst vor fünf Jahren Abitur gemacht und geht schon durch die Decke. Er ist eine Naturbegabung, schön obendrein, vielen gilt er als "Jahrhunderttalent". Wer ihn hat spielen sehen, am Berliner Maxim-Gorki-Theater oder in Fatih Akins "Der goldene Handschuh", wird nichts dagegen sagen. Dassler hat eine schauspielerische Intelligenz und Präsenz, die man nicht erlernen kann.

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Als erstes fällt sein Blick auf. Es ist ein sonderbar kühler und auch cooler Blick aus fast schon dekadent blauen Augen. Etwas Unergründliches liegt darin. Einem Menschen mit einem solchen Blick ist alles zuzutrauen. Dassler richtet ihn beim Nachdenken gerne seitlich in die Ferne, dann zeigt sich seine markante Kinn- und seine auffallend breite Wangenpartie, die eine fantastische Projektionsfläche sind.

Seine Rolle in Fatih Akins "Der goldene Handschuh" brachte ihn ins Scheinwerferlicht der Berlinale

"Das ist ein Geschenk von den Göttern der Kunst: dieses Gesicht, dieser Blick", findet Jens Hillje, Chefdramaturg und Mitlenker am Maxim-Gorki-Theater, wo Jonas Dassler seit 2017 zum Ensemble gehört. Hillje spricht von einer "Mischung aus dem jungen Marlon Brando und Joaquin Phoenix", was ziemlich gut hinkommt. Wobei vielleicht auch noch der Schauspieler Franz Rogowski als Referenzgesicht zu nennen wäre. Dassler ist ein ähnlicher Typus; er hat mit Rogowski auch schon gespielt, 2015 in Henri Steinmetz' Film "Uns geht es gut", in dem eine Fünfer-Clique in der Sommerhitze durch eine Großstadt zieht. Es war Dasslers Debüt. Mit 18.

Gleich für seine nächsten Rollen in den Filmen "Das schweigende Klassenzimmer" und "LOMO - The Language of Many Others" hat der Anfänger mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter 2017 den Bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsdarsteller. Dann kam Fatih Akin und drehte - zur allseitigen Überraschung - mit dem unbekannten Dassler in der Rolle des abgewrackten Frauenmörders Fritz Honka den Hamburger Kiezmilieumonsterfilm "Der goldene Handschuh", der letztes Jahr im Wettbewerb der Berlinale lief. Es war Dasslers Schritt auf den roten Teppich und ins Scheinwerferlicht einer größeren Aufmerksamkeit.

Auch diesmal ist er wieder bei der Berlinale dabei, nicht mit einem neuen Film, sondern einfach nur als herausragendes Talent. Als solches wird er am kommenden Montag bei den "European Shooting Stars" geehrt. Die Netzwerk-Organisation European Film Promotion verleiht diese Auszeichnung seit 1998 jedes Jahr an zehn Nachwuchsschauspieler aus Europa. Diese werden während der Berlinale vorgestellt, herumgereicht und promotet. Dassler weiß noch nicht so genau, was ihn da erwartet, aber er freut sich auf den "Austausch mit den Kollegen und Kolleginnen". Denn: "Austausch ist immer gut."

Deutsche "Shooting Star"-Preisträger vor ihm waren zum Beispiel Franka Potente, Moritz Bleibtreu, Nina Hoss, Heike Makatsch, Maximilian Brückner, Jella Haase und, ja, Franz Rogowski. Die Jury scheint eine gute Nase zu haben. In der Begründung ihrer Entscheidung für Dassler heißt es in Hinblick auf seine Rolle als Frauenschlächter Fritz Honka: "Er hat die menschliche Seite von Monstern zum Vorschein gebracht und die Monstrosität des Menschlichen enthüllt."

Als Säufer Honka im "Goldenen Handschuh", Akins Verfilmung des Romans von Heinz Strunk über eine traurigwahre Mordserie im Hamburger Kiezmilieu der Siebzigerjahre, lieferte Dassler eine krasse Meisterleistung ab. Entstellt mit einer hässlichen Gesichtsmaske, deren Anfertigung bei den Dreharbeiten täglich drei Stunden dauerte - breit geschlagene Nase mit Linksdrall, faulige Zähne, schielender Dunkelpupillenblick hinter einem Kassenbrillengestell -, spielt der für diese Rolle eigentlich viel zu junge Schauspieler ein menschliches Ungeheuer in einer Siffwohnung, dem beim Morden zuzuschauen eine Tortur ist.

Die Maske kann man abnehmen. Aber was ist mit den Gedanken und Trieben eines Honka-Monsters?

Man kann verstehen, dass Menschen diesen Film fürchten oder sich beim Sehen angeekelt abwenden. Es ist der widerwärtigste Freakshow-Horror. Und doch: Wie intensiv sich Dassler in dieses Unterschichtsmonstrum hineinversenkt und ihm sogar eine Spur von Restwürde abringt, das ist verblüffend und groß und absolut bewunderungswürdig.

Was macht das mit einem, so etwas zu spielen? Warum überhaupt diese Rolle? Dassler musste solche Fragen schon oft beantworten, trotzdem denkt er neu darüber nach, speist sein Gegenüber nicht mit vorgefertigten Phrasen ab. Er spricht viel von Vertrauen, von dem "geschützten und respektvollen Rahmen", in dem der Dreh stattfand. Dass es "keine leichtsinnige Entscheidung" von Fatih Akin war, ihn zu besetzen. "Er vertraute mir die Rolle an. Und so habe ich auch ihm vertraut."

Natürlich hat ihm auch die Maske geholfen, "die Maske war ein Geschenk". Sobald er sie aufhatte, habe sich das Verhalten der Menschen um ihn herum verändert, "das wiederum beeinflusste die Interaktion". Gut, eine Maske kann man abends ablegen. Aber was ist mit den Gedanken und Trieben eines Honka-Monsters? Dassler lenkt seinen blauen Tiefkühlblick in die Ferne, und als er damit zurückkommt, sagt er: "Ich habe eigentlich keine Ahnung, was da in mir abläuft. Während eines Films lebe ich in einer Art Parallelwelt. Auch in den Drehpausen ist das nicht die Realität, sondern etwas dazwischen."

Aber bevor da etwas von der Einsamkeit und den seelischen Höllenschlundausflügen eines Künstlers anklingen könnte, preist Dassler schon seine "tollen Kolleg_innen" (die er nie zu gendern vergisst, er spricht immer beide Geschlechter an und mit): Wie viel "gegenseitiges Vertrauen" da herrschte und dass daher selbst eine Szene, in der er Gewalt gegenüber einer Frau ausüben musste, "Spaß machen" konnte, "weil es wie ein Tanz ist, den wir auswendig lernen, wie eine Choreografie". Beim Dreh dieser Szenen habe er etwas erlebt, was den Beruf des Schauspielers für ihn ausmache: "Dass ich frei bin von mir selbst. Ich war in diesen Momenten nur für die andere Person da, dass ihr nichts passiert, und gleichzeitig spielten wir äußerlich aber die rohe Gewalt." Diese Art von "Hingabe", sich "in die Arme von jemandem zu begeben und zu sagen: Wir spielen jetzt, dass du mich erwürgst", das sei für ihn das Glück des Zusammenspiels.

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Die Empathie eines Ensemblespielers, die aus solchen Worten spricht, zeigt sich bei Dassler auch im Verhältnis zu seinen Kollegen am postmigrantischen Gorki-Theater, von denen er in den höchsten Tönen schwärmt und mit denen "spielen zu dürfen" er sich dankbar zeigt. Dass es um ihn, den Jüngsten im Ensemble, einen solchen Hype gibt, spielt Dassler herunter, indem er sich einen "glücklichen Fall" nennt: "Ich gehöre zu einer privilegierten Minderheit." Und dann legt er los, empört sich über die "veralteten Rollenbilder" und "rassistischen Stereotypen", die es im Film immer noch gibt, kritisiert die "mangelnde Fantasie für diverse Stoffe" und dass seine Kollegen mit Migrationshintergrund immer noch für Dönerverkäufer oder Gangsterbosse angefragt werden.

Dassler hat nach dem Abi die Berliner Schauspielschule Ernst Busch absolviert. "Dass der Partner auf der Bühne das Wichtigste ist", für diese Formel sei er der Schule dankbar, sagt er. Aber man pflege dort schon auch ein veraltetes Verständnis von Theater. "Am Gorki habe ich zum ersten mal Leute auf der Bühne gesehen, die eine andere Hautfarbe hatten, die andere Sprachen gesprochen haben. Spieler und Spielerinnen, die nicht nur Ausführende sind, sondern denkende, sich austauschende Menschen von heute."

In Falk Richters Männerabend "In My Room" stemmt Dassler die erste halbe Stunde alleine und gibt virtuos den Überperformer

Er ist da schon gut aufgehoben am Gorki. Obwohl sich auch, nachdem er in einem Studiengangprojekt an der Berliner Schaubühne als Danton zu sehen war, Thomas Ostermeier um das Supertalent gerissen hat. Jens Hillje erzählt, er habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, Dassler für das Gorki-Ensemble zu gewinnen. Seit Lars Eidingers Anfängen habe er niemanden mehr gesehen, der so jung schon eine solche "Awareness für das Publikum" habe und es "so genießt, auf der Bühne zu sein". Dabei sei Dassler aber auch scheu, nicht eitel, ein "großzügiger Ensembleschauspieler", von den anderen dafür geschätzt und unterstützt. Und der Regisseur Falk Richter sagt: "Er weiß erstaunlich viel über Menschen und ihre Abgründe. Er kann sich in etwas ganz Fremdes hineindenken." Dassler fand über die Theater-AG seines Gymnasiums zum Theater, wo er eine Lehrerin hatte, die mit den Schülern Stückentwicklungen machte und "Schultheater neu dachte". Er verdankt dieser Frau viel und hat noch Kontakt zu ihr, so wie er auch den Kontakt zu seinen Remscheider Freunden hält. Es seien "die besten Freunde der Welt". Mit einigen von ihnen spielte er jahrelang in einer Band: Punk, Funk, Rock, Dassler als Sänger und Gitarrist.

Als Sänger und Leading Actor mit Rockstarqualität ist er derzeit am Gorki-Theater in Falk Richters Inszenierung "In My Room" zu sehen, einem wunderbareren Abend von Männern über Männer(bilder). Auf der Bühne fünf Schauspieler, die über ihre Väter sprechen - als Söhne. Es sind schwule Söhne, Migrantensöhne, wütende, liebende, sich schämende und grämende Söhne, die sich total persönlich ins Zeug legen. Alle sind sie großartig, aber Jonas Dassler sticht schon deshalb hervor, weil er die erste halbe Stunde alleine stemmt. In diesem Anfangsmonolog legt er erst mal eine fabelhafte Kollegah-"Alpha!"-Boss-Persiflage hin (als Symbolfigur des toxischen Mannes), um sodann nicht nur den Part des Autoren-Ichs Falk Richter zu übernehmen, sondern als eine Art Überperformer auch dessen Auseinandersetzung mit seinem Vater. Dassler macht das virtuos, mit einer solchen Charmeoffensive, Komik, Tiefenschärfe und auch stimmlichen Verve, dass er das Publikum sofort am Wickel hat.

Das, was Jonas Dassler in dem Stück von seinem eigenen Vater erzählt, klingt nach einer liebevollen Beziehung. Dassler ist Einzelkind, der Vater Versicherungskaufmann, die Mutter medizinisch-technische Assistentin im Krankenhaus. "Ach Joni", sagt der Vater, wenn der Sohn heim nach Remscheid kommt, "ich bin so stolz auf dich." Dann gehen sie in den Keller und machen miteinander Musik.

© SZ vom 21.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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