Margaret Qualley
Wie kann eine Karriere weitergehen, in der schon so früh ein Moment für die Ewigkeit gelingt? Quentin Tarantinos "Once Upon a Time in Hollywood" wird jedenfalls nicht nur für die Performances seiner Stars in Erinnerung bleiben, sondern auch für das schlaksige Hippiegirl am Straßenrand, das selbst dem emotional tiefergelegten Brad Pitt mit einer Mischung aus Unschuld, Verdorbenheit, schmutzigen nackten Fußsohlen und leuchtendem Irrsinn in den Augen fast den Kopf verdreht. Dieses wundersame Wesen, das sich dann als Mitglied der mörderischen Manson-Family entpuppt, wird von Margaret Qualley gespielt, auf eine Weise, die man nicht mehr vergisst. Nach diesem Auftritt würde man ihr die allergrößte Zukunft voraussagen, selbst bevor man weiß, dass sie auch noch die Tochter der Schauspielerin Andie MacDowell ist. Die Nachricht jedenfalls, dass Qualley im Eröffnungsfilm "My Salinger Year" die Hauptrolle spielt, hat die ganze Berlinale in Sachen Vorfreude sehr nach oben gezogen. Tobias Kniebe
Die Saga um das vielleicht gewagteste Kunstprojekt der vergangenen Jahre geht weiter. Drei Jahre lang hat der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky 400 Menschen in den Kulissen eines nachgebauten sowjetischen Wissenschafts-Instituts gefilmt, in einer Mischung aus Rollenspiel-Kollektiv, Sektenerfahrung und Menschenversuch vor laufender Kamera. Er gewann 700 Stunden Filmmaterial für "DAU", von denen er Teile im Herbst 2018 in einer Art Performance-Welt in Berlin präsentieren wollte, inklusive nachgebauter Mauer. Die Wellen schlugen hoch, die Berliner Behörden stellten sich quer. Ein zweiter Versuch in Paris klappte besser, war dann aber doch nur wenigen Menschen zugänglich, und die Kritiken waren widersprüchlich. Khrzhanovskys neuer Plan ist es nun, die Filmfestivals der Welt für die sukzessive Enthüllung seines Großwerks zu nutzen. Die Berlinale macht passenderweise den Anfang, mit den Filmen "DAU. Natasha" (zwei Stunden, Co-Regie Jekaterina Oertel, im Wettbewerb) und "DAU. Degeneratsia" (fast sechs Stunden, als Special). Man weiß bereits, dass mit Sexszenen zu rechnen ist, in denen nicht nur so getan wird als ob, und mit Szenen in KGB-Verliesen, in denen weibliche Gefangene erniedrigt und missbraucht werden. Vier der zehn bereits fertigen Filme, darunter "DAU. Natasha", haben in Russland bereits Aufführungsverbot, wegen "Propagierung von Pornografie". Klar ist jedoch eins - ein Festival muss sich solchen Kontroversen stellen. Wie heftig alles wird, zeigt sich ab Mittwoch. Tobias Kniebe
"Stadt am Ende der Straße und Straße die Stadt verlängernd. Wähle nicht die eine oder die andere, sondern die eine und die andere im Wechsel." Die wegweisende Parole für ihren neuen Film "Paris Calligrammes" und für ihr gesamtes bildnerisches, collagehaftes, filmisches Werk fand Ulrike Ottinger bei Victor Segalen - wie der erforschte auch sie ferne Regionen, Alaska, Japan, Mongolei. "Paris Calligrammes" wird auf der Berlinale uraufgeführt, Ulrike Ottinger erhält die Berlinale Kamera fürs Lebenswerk. Der Film geht aus von der Librairie Calligramme des Exilanten Fritz Picard und führt hinein in die Sechziger, als sie in Paris lebte und arbeitete, Algerienkrieg, Vietnam, der Mai '68 und die Cinémathèque. Zurück in Deutschland fing sie dann zu filmen an, "Madame X", "Freak Orlando", an denen man sieht, schrieb Frieda Grafe, wie das Kino "alle Wünsche, Ängste, Träume mit der Aura des Realen ausstatten kann ... und beweisen, dass der Mythos eine Dame ohne Unterleib ist". Fritz Göttler
Ihre Vorfahren waren russische Aristokraten, die vor der Revolution nach England geflohen waren. Geboren wurde sie 1945 in London, unter dem Namen Ilyena Lydia Vasilievna Mironova. Dass sie Schauspielerin werden wollte, wusste sie, seit sie klein war; als sie in den Royal Shakespeare Company aufgenommen wurde, war sie erst neunzehn. Bekannt wurde sie unter dem Namen Helen Mirren.
Nun wird die britische Schauspielerin auf der diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Gleichzeitig widmet ihr das Festival die diesjährige "Hommage", in der einige Mirren-Filme gezeigt werden. Natürlich nicht das ganze Schaffen - ihre Fernseharbeiten als Detective Chief Inspector Jane Tennison in den Filmen der "Heißer Verdacht"-Reihe, wegweisend für alle weiblichen Ermittlerinnen nach ihr, kommen zum Beispiel nicht vor. Aber auch in der Auswahl der Berlinale lotet sie die ganze Bandbreite des sozialen Spektrums aus. An der Seite von Bob Hoskins in "The Long Good Friday" sowie in Peter Greenaways "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" spielte sie sehr verschiedene Gangsterbräute, in Stephen Frears "The Queen" die englische Königin Elizabeth II., die mit dem Tod von Prinzessin Diana konfrontiert ist. Es ist vielleicht ihre berühmteste Rolle, für die sie mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Und eine Rückkehr zu ihren aristokratischen Wurzeln. Mittlerweile wurde ihr der Adelstitel Dame verliehen. Berlin adelt sie nun mit einem Bären. Philipp Stadelmaier
Er war der Erde und dem Wasser ganz nah, näher als jeder andere amerikanische Regisseur: die Flussufer in "Hallelujah", dem Passionenspiel an der Grenze zwischen Stumm- und Tonfilm, ganz von Schwarzen gespielt; oder die dürre Ebene, in der die Neusiedler in den Dreißigern in "Our Daily Bread" eine Rinne hacken, um Wasser auf ihre ausgetrockneten Felder zu leiten. Der Film ist ein Musterstück für den New Deal, realistisch, indem er sich vor falscher Dynamik und Dramatik hütet. Als die Menschen eine Organisationsform für ihre Kommune suchen, zischeln sie beim Vorschlag Demokratie und wollen lieber, dass es einen gibt, der leitet.
Die Berlinale-Retro zu King Vidor macht Lust auf einen Mann der Widersprüche, einen intellektuellen Naiven, apollinisch und faunisch, wie Luc Moullet schrieb. Der jene Aura des Professionellen vermied, durch die Hitchcock und Hawks zu Darlings der Nouvelle Vague wurden. Vidor hatte fünf Gitarren, erzählt Moullet von einem Besuch bei ihm in der Heimatstadt Galvestoon, Texas, mit fünfzig fing er zu malen an. Vidor-Filme sind sperrig, schon jene Stummfilme, die ihn zu einem der erfolgreichen Hollywodianer machten, "The Big Parade", 1925, amerikanische Jungs im Ersten Weltkriegs, und "The Crowd", 1928, Kleinbürger in der Massenstadt New York. Vidors Filme sind Heimatfilme, im richtigen Sinne des Wortes, Erkundungen der amerikanischen Seele. "King Vidor, American" heißt lapidar ein frühes Buch über ihn von Raymond Durgnat und Scott Simmon. Fritz Göttler