Joan Manuel Serrat auf Abschiedstournee:Idol einer Nation

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Identitätsstiftender "Cantautor": Joan Manuel Serrat steht für die Vielfalt und Offenheit Spaniens. Mit Nationalismus hat dieser populäre Singer-Songwriter nichts am Hut. (Foto: Oscar Gonzalez /imago images)

Joan Manuel Serrat , der "spanische Bob Dylan", verabschiedet sich mit einer letzten Tour von der Bühne. Die Spanier lieben seinen Witz - und Penélope Cruz verdankt ihm ihren Namen. Ein Besuch in Murcia.

Von Karin Janker

Die Spanier nennen ihn den "spanischen Bob Dylan", was natürlich ebenso wenig zutrifft wie jeder andere Vergleich mit Dylan, der jemals gemacht wurde. Aber eigentlich geht es ja auch nur darum zu sagen, wie viel ihnen Joan Manuel Serrat bedeutet: Für Spanien ist der katalanische Liedermacher in etwa so wichtig wie Dylan für die Welt. Jetzt soll aber Schluss sein. Im vergangenen Dezember hat der 78-Jährige seine Abschiedstournee angekündigt. Er wolle sich selbst verabschieden, ehe ihm ein Virus, das Publikum oder schlicht das Alter zuvorkämen.

Diese Woche war es so weit: Auftakt der letzten Spanientournee. Im südspanischen Murcia spielte Serrat gleich zwei Konzerte hintereinander, eines am Dienstag, eines am Mittwoch, weil die Karten so schnell ausverkauft waren. Zweimal füllte Serrat die Stierkampfarena von Murcia, die rund 15 000 Menschen fasst. Der Stierkampf hat Sommerpause, Zeit für etwas Erhebenderes.

Die Sitzplätze im Rund der Arena sind längst gefüllt, als um kurz nach zehn Uhr das Licht über den Rängen ausgeht und nur noch die Bühne erleuchtet ist. Jubel brandet auf, da wird jemand sehnsüchtig erwartet. Yolanda springt von ihrem Sitz hoch und klatscht. Fünf Mal hat sie Serrat live gesehen, das erste Mal, da war sie noch Studentin, Lehramt. "Inzwischen bin ich in Rente, stell dir vor", sagt sie. Das Publikum begrüßt Serrat mit Ovationen im Stehen, dann setzen sich die Leute wieder, die Knie und Rücken sind nicht mehr die jüngsten. Die Frauen lassen mit einem Ratsch ihre Fächer aufschnalzen und wedeln, die Männer öffnen einen weiteren Knopf am Hemd. 39 Grad hatte es heute in Murcia, und noch bringt der Wind kaum Abkühlung.

Ein "ewiges Kind" nannte ihn Spaniens Premier einmal, das war als Kompliment gemeint

Serrat betritt die Bühne im dunklen Anzug und eröffnet das Konzert, in dem sich Hit an Hit reiht, mit ein paar Witzen, die er vom Teleprompter vor ihm am Bühnenboden abliest. Das Publikum merkt nichts oder tut zumindest so. Serrat ist mit seinem Witz und seiner Selbstironie zum Idol ganzer Generationen geworden, und so wollen sie ihn in Erinnerung behalten. Ein "ewiges Kind" nannte ihn Premier Pedro Sánchez, als er ihm im Februar den Orden Alfonso X. des Weisen verlieh, Spaniens höchste Auszeichnung für Künstler. Das war als Kompliment gemeint.

"Für den Fall, dass ich das Konzert heute Abend nicht zu Ende bringen kann, können Sie zumindest sagen: Ich war dabei, ich hab' ihn fallen sehen", witzelt Serrat. "Bewahren Sie für alle Fälle Ihre Eintrittskarte auf, man weiß ja nie." Nostalgie verbietet er sich und dem Publikum, aber natürlich bestimmt der Abschiedsschmerz den Abend. Nicht nur bei Antonio, Ende 50 im bunten Hemd, der Zeile für Zeile mitsingt und jedes seiner Handyvideos verwackelt, so heftig wiegt er den Oberkörper im Takt der Musik.

Joan Manuel Serrat ist Spaniens populärster Cantautor, Sänger und Autor zugleich, erfolgreich nicht nur in Europa, sondern auch in Nord- und Südamerika. Bevor er seine Abschiedstour durch Spanien begann, war er noch einmal in Amerika unterwegs, erste Station New York City. Berühmt wurde er Mitte der 60er-Jahre mit seinen Liedern, die von den Versen linker Dichter wie Miguel Hernández, Antonio Machado oder Federico García Lorca inspiriert sind. Einer seiner größten Hits, "Penélope", gab Spaniens erfolgreichster Schauspielerin den Namen: Penélope Cruz gestand einmal in einem Interview, ihre Eltern hätten sie nach dem Lied von Serrat benannt.

Er war seiner Zeit in vielem voraus. Schon 1973 sang Serrat in "Pare" vom Klimawandel und von einer postapokalyptischen Welt. Heute klingt das Lied, als hätten sich viele seiner bösen Vorahnungen bereits erfüllt. Serrat hat immer wieder politisch Stellung bezogen: Seine Kritik an Pinochet brachte ihm in den 80ern ein Einreiseverbot nach Chile ein. Ein Haftbefehl der Franquisten zwang ihn 1975 ins Exil nach Mexiko. Schon 1968 war Serrat mit der Franco-Diktatur aneinandergeraten: Das Regime, das das Katalanische und andere Regionalsprachen systematisch unterdrückte, ließ ihn nicht beim Eurovision Song Contest auftreten, weil er auf Katalanisch singen wollte. Am Ende ersetzte ihn die Sängerin Massiel, sang den Schlager "La, la, la" auf Spanisch und gewann.

Seine Ode ans Mittelmeer "Mediterráneo" ist die inoffizielle Hymne Spaniens

Serrat ließ sich davon nicht beirren, er machte, worauf er Lust hatte. Sobald er als Ikone der Nova Cançó, des neuen katalanischen Liedguts, galt, wechselte er die Sprache und sang fortan lieber auf Spanisch. Serrats Lieder sind Geschichte und sie erzählen Geschichten. Da ist zum Beispiel das Wiegenlied "Cançó de Bressol", seiner Mutter gewidmet. "Sie war eine Frau, die sich den 'häuslichen Aufgaben widmete', wie man so sagt", erzählt Serrat in Murcia. "Mit anderen Worten: Sie arbeitete wie ein Maultier."

"Cançó de Bressol" ist das erste Lied, das Serrat an diesem Abend auf Katalanisch anstimmt, es wird ruhig in der Stierkampfarena. Da ruft plötzlich ein Mann aus einer hinteren Reihe: "Hör auf, das ist nicht unser Lied!" Unser Lied, das wäre hier in Murcia wohl eines mit spanischem Text. "Sei still, Alter", ruft Yolanda, die pensionierte Lehrerin, nach hinten. Immer noch gebe es Leute, die nicht kapieren, dass die Vielfalt der Kulturen Spanien reich mache, raunt sie und schüttelt den Kopf.

Es sind auch solche Geschichten, von denen Serrats Karriere erzählt: die Zerrissenheit der Spanier, die Schwierigkeit einer gemeinsamen Identität. Der Nationalismus, der immer wieder aufblüht, ob in Katalonien oder in Madrid, und für den Joan Manuel Serrat, Altlinker und Weitgereister, so gar nichts übrighat. Es gäbe noch viel zu singen für einen wie ihn. Wenn er nun die Bühne verlässt, bleiben zumindest seine Lieder. Sie zeigen, dass Musik das tatsächlich kann: Identität stiften, ohne auszugrenzen. Dieser Zauber blitzt in Murcia zwanzig Minuten vor Schluss auf: Serrat singt "Mediterráneo", seine Ode ans Mittelmeer. Er hat Spanien mit dem Lied eine inoffizielle Hymne geschenkt, eine, die alle meint. Und vielleicht ist das mehr, als Dylan für die Welt getan hat.

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