Jazzkolumne:Das erste Mal

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Die südafrikanische Jazz-Szene ist groß, vielseitig - und für einige Momente dessen gut, was man als "virgin listening" bezeichnet.

Von Andrian Kreye

Hin und wieder geht in der Musik eine Tür auf und verschafft einem das Erlebnis, etwas wirklich Neues zu hören, das der Jazzkritiker des New Yorker, Whitney Balliett, mal als "virgin listening" bezeichnete. Der Londoner DJ Gilles Peterson ist als Produzent und Förderer einer, der wie ein Großwildjäger nach solchen Erlebnissen durch die Welt jagt. Manchmal wird er vor seiner Haustür fündig, was er vor drei Jahren auf dem Sampler "We Out Here" festhielt. Jetzt ist auf seinem Brownswood-Label "Indaba Is" erschienen, das die südafrikanische Jazzszene der Gegenwart vorstellt. Ähnlich wie der Vorläufer zur Londoner Szene ist das Album allerdings keine bloße Zusammensammlung von Songs aus bestehenden Alben. Vielmehr haben die Pianistin Thandi Ntuli und der Sänger Siyabonga Mthembu acht Musiker oder Bands ins Studio geholt, um Stücke einzuspielen, die sie für exemplarisch hielten.

Das hat (ebenfalls ähnlich wie in London) nur einen geografischen roten Faden. Was das Album im Subtext zusammenhält, ist ein allen gemeinsames enormes Bewusstsein für Geschichte. Das spiegelt sich nicht zuletzt im konsequenten Einsatz von Stimmen wider. In Rezitationen, Chören, Call-and-Response-Motiven, die keine exponierte Rolle haben, wie in der europäisch-amerikanischen Musik, sondern nur eines von sehr vielen Elementen sind. Überhaupt definieren die südafrikanischen Musikerinnen und Musiker das Konzept des Kollektivs noch einmal ganz anders. Das deutete sich schon auf Nduduzo Makhathinis "Modes of Communications" (Blue Note) und Shabaka & the Ancestors' "We Are Sent Here By History" (Impulse) an, die im letzten Sommer die erste Vorboten dieser neuen südafrikanischen Szene waren. Nun gibt es in Mitteleuropa ansonsten nur wenig Platten aus dem Land zu kaufen. Aber - hurra, das Internet - man wird schnell fündig und entdeckt eine unfassbar virtuose und eigenständige Jazzwelt, die vor allem in Johannesburg und Kapstadt so einiges an "virigin listening" liefert. Hier ein paar Highlights aus den vergangenen Monaten:

Der Trompeter Ndabo Zulu hat mit seinem Umgidi Ensemble "Queen Nandi - the African Symphony" (Mageba) eingespielt. Die Idee hatte er während seines Studiums an der Norwegischen Musikhochschule. Da schrieb er das Stück für ein Doppelsextett mit Sängerinnen und Sängern. Der amerikanische Bassist Derrick Hodges, für den Zulu gearbeitet hat, produzierte das alles. Herausgekommen ist eine Tour de Force der musikalischen Ideen, die eher wie ein Monumentalfilm als eine Symphonie die Geschichte der Mutter des legendären Königs Shaka Zulu erzählt.

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Akademische Arbeit scheint für einige der neuen Musiker der Schlüssel zu ambitionierten Erstlingswerken zu sein. Das Debütalbum "Dialectic Soul" von Schlagzeuger Asher Gamedze war eigentlich seine Magisterarbeit an der University of Cape Town. Ein langer Essay liegt der Platte bei, das von afrikanischen bis zu deutschen Philosophen sehr viel mehr intellektuellen Überbau zuliefert, als man der Musik dann zum Glück anhört. Fundament des Albums ist Gamedzes symphonischer Schlagzeugstil, der das Quartett (Bass, zwei Bläser, kein Akkordinstrument) wie eine Dünung trägt. Auf der bleibt den Musikern viel Freiheit, weil sie sich auf einem so komplexen wie in sich geschlossenen Rhythmus bewegen, der sehr viel mehr ist, als nur eine Verarbeitung amerikanischer Vorbilder.

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Auch das Album "An Open Dialogue - Live in New York" (Skay) des Saxofonisten Linda Sikhakhane war eine Abschlussarbeit. An der New Yorker New School of Social Research hat er offensichtlich vor allem das eigenständige Komponieren gelernt. Ähnlich wie die Platten von Zulu und Gamedze lebt das Album von einer orchestralen Wucht, die ein Grundschweben entwickelt und vom freien Ausbruch bis zur Referenz an die Traditionen der Heimat viel zulässt, ohne auszuufern.

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Es geht natürlich auch sehr viel schlichter und direkter. Das zeigt das Kollektiv Spaza mit seinem Soundtrack für den Dokumentarfilm "Uprize!", der den Aufstand im Township Soweto im Jahr 1976 behandelt. Ohne feste Besetzung dehnt Spaza den Begriff des Ensembles seit einigen Jahren sehr weit. Das hört man dem Album an, das die Improvisation auch als Collage versteht, in der Gesang, Archivaufnahmen und Instrumentalpassagen gleichberechtigte Rollen spielen.

Und weil der Platz nicht reicht für eine ganze neue Welt des zeitgenössischen Jazz, hier noch ein paar Alben zum Weiterschürfen: Vuma Levin & Theo Duboule "Antique Spoons", Thandi Ntuli "Live at Jazzwerkstatt", The Unity Band "Fabric", Bokani Dyer "Kelenosi" sowie der Sampler "New Horizons: Young Stars of South African Jazz". Das klingt alles nicht verstörend oder vollkommen ungewohnt. Für so einige Momente des "virgin listening" ist Südafrika aber auf alle Fälle gut.

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