Jazz:Liebesaffäre mit Schwing

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Emile Parisien ist spezialisiert auf das Sopransaxofon - und damit idealer Interpret von Sidney-Bechet-Nummern. (Foto: Francis Vernet)

Jazz-Musiker um Emile Parisien verbeugen sich im Prinzregententheater vor den Gründern des legendären Plattenlabels Blue Note

Von Oliver Hochkeppel

Die Geschichte des Jazz wäre anders verlaufen ohne zwei jüdische Emigranten aus Berlin. Der 1908 in Schöneberg geborene Alfred Löw hatte mit 16 ein Erweckungserlebnis, als er das Berliner Gastspiel der von der Band des New York Jazzpianisten Sam Wooding begleiteten Revue "Chocolate Kiddies" sah. "Der Beat fuhr mir direkt in die Knochen. Es war die Initialzündung meiner lebenslangen Liebesaffäre mit dem Jazz", berichtete er später. Nach den Nürnberger Gesetzen floh er vor den Nazis, und nach einer Zwischenstation in Chile gelang ihm in den späten Dreißigerjahren die Einwanderung in die USA. Dort machte er sich, nunmehr als Alfred Lion, an die Gründung eines neuen Jazzlabels. Seine wichtigste Stütze dabei wurde sein alter Jugendfreund Frank, nunmehr Francis Wolff, ein gelernter Fotograf, dem Mitte 1939 die Flucht aus Nazi-Deutschland gelungen war.

Am 6. Januar 1939 entstanden die ersten Aufnahmen für ihr "Blue Note Records" genanntes Label mit den Boogie-Woogie-Pianisten Meade "Lux" Lewis und Albert Ammons. Zwar waren die Kriegs- und Nachkriegsjahre mager, danach aber kamen mit dem Bebop und Hardbob die Jazzstile in Mode, die perfekt zur ganz eigenen Ästhetik von Blue Note passten. Die war geprägt von Lions sicherem Geschmack, den "coolen" Fotos von Wolff, dem visionären Cover-Design von Reid Miles und den Sound-Vorstellungen des Toningenieurs Rudy Van Gelder. So wurde das Label mit seiner (antirassistischen) Konzentration auf schwarzen amerikanischen Jazz, mit der konkurrenzlos familiären Verbindung zu den Künstlern und mit Aufnahmen nahezu aller wichtigen Interpreten von Art Blakey, Horace Silver oder Jimmy Smith bis zu Miles Davis, Herbie Hancock, John Coltrane oder Thelonious Monk zum bis heute wohl wichtigsten, ja gerade zum Inbegriff des Jazzlabels.

Den 80. Geburtstag von Blue Note nahm Siggi Loch zum Anlass, mit einem dafür zusammengestellten Konzert an die einst so genannten "Jazz Animals" Alfred Lion und Francis Wolff zu erinnern, die er persönlich kannte. War doch "Blue Note" immer das Vorbild für sein lange geplantes, schließlich nach Jahren als Warner-Boss verwirklichtes eigenes Act-Label. Ursprünglich als Abend in der von ihm kuratierten Reihe "Jazz at Berlin Philharmonic" geplant, war Konzertveranstalter Karsten Jahnke so begeistert von der Idee, dass er die Sache zu einer seiner "Jazz Nights" machte und dieses "Tribute to the Founders of Blue Note Records: Alfred Lion & Francis Wolff" nun unter dem Titel "It must schwing" durch die Republik schickt. Was sich auf das allen seinen Musikern in seinem stark Berlinerischen Amerikanisch eingeimpfte Credo von Alfred Lion bezieht.

Dafür, dass es auch im Prinzregententheater "schwingt", sorgt eine illustre Besetzung. Künstlerischer Leiter ist Emile Parisien, der mit allen wichtigen Preisen - gerade erst bekam er den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik - dekorierte französische Ausnahmemusiker, der sich als einer von ganz wenigen Saxofonisten ganz auf das Sopransaxofon spezialisiert hat.

So kann der Abend ideal mit einem Sidney-Bechet-Stück beginnen, nicht nur der wohl berühmteste Sopransaxofonist des Jazz und Blue-Note-Artist, sondern auch der Musiker, der den 15-jährigen Siggi Loch einst für den Jazz begeisterte. Genauso punktgenau zum Thema passend sind die anderen modernen Jazz Animals ausgesucht, die Parisien zur Seite stehen: aus Amerika der Posaunist Glenn Ferris, der Bassist Joe Martin, der Schlagzeuger Gerald Cleaver und der gerade zu Starruhm aufstrebende und zum neuen Roy Hargrove ausgerufene Trompeter Theo Croker. Dann der ebenso virtuose wie stiloffene israelisch-französische Pianist Yaron Herman. Schließlich kommen auch noch "special guests" dazu. Zum einen der Boogie-Woogie-Pianist Axel Zwingenberger, der daran erinnern wird, dass auch Blue Note einst mit diesem heute unterschätzten Stil begann. Und dann - durchaus eine kleine Sensation - der 90-jährige Tenorsaxofonist Benny Golson, eine Hardbop-Legende, die einige unvergängliche Jazz-Standards komponiert und mit den meisten Stars der großen Blue-Note-Zeit bis Ende der Sechzigerjahre noch selbst gespielt hat.

The Jazz Animals , Samstag, 16. November, 20 Uhr, Prinzregententheater, Prinzregentenplatz 12

© SZ vom 15.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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