Erfreulicherweise liefert der trottelhafte Erzähler seinen vertrottelten Rezensenten ein paar "nützliche Bonmots für Streitgespräche und zukünftige Nackenschläge" gleich frei Haus. "Ist dieser Mensch noch zu retten?" steht auf der Umschlaginnenseite: "Kann es gut gehen, wenn einer ein höchst albernes Buch über den Tod seines eigenen Sohnes zusammenstoppelt?" Die Antwort des Trottels lautet: Nein. Klar ist aber, dass dieses Nein eigentlich ein Ja suggeriert, weil das Nein, indem es ausgesprochen wurde, Widerspruch erheischt. Und außerdem steht der Roman ja auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Und den Wilhelm-Raabe-Preis hat Jan Faktor eben dafür bekommen.
1951 in Prag geboren, schreibt Faktor hier auch über Hinterhaustreppen, alte Schränke in Prager Wohnzimmern, Radtouren im Berliner Umland, Abflussrohre und Brötchenbäcker. Außerdem hat er seinen Roman mit 262 weitgehend überflüssigen Fußnoten gespickt. "Trottel" heißt dieses literarische Ungetüm, mit dem Jan Faktor zwölf Jahre nach dem fulminanten Schelmenroman "Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag" da weitermacht, wo er damals aufhörte: Bei der eigenen Lebensgeschichte vor allem der Jahre 1968 bis 1989, in denen er zwischen Prag und Ost-Berlin pendelte. Prag, wo er in einem Frauenhaushalt mit Mutter und Großmutter aufwuchs, die als Jüdinnen das KZ überlebt hatten. Berlin, wohin er Ende der Siebzigerjahre endlich übersiedelte, um dort die älteste Tochter von Christa Wolf zu heiraten und sich der Literatenszene vom Prenzlauer Berg anzuschließen. Als studierter Informatiker und überhaupt technisch interessierter Mensch kam ihm die deutsche Sprache gerade recht, um sie neugierig auseinanderzuschrauben und wieder zusammenzusetzen.
Ost-Berlin schneidet im Vergleich überraschend gut ab: Die Wohnungen in Prag versinken in spätbürgerlichem Muff, Berlin ist ein zerbröselndes Terrain, das all den Aussteigern in den geenterten Altbauwohnungen viel Freiraum ermöglicht. Zwar wusste man von der Bespitzelung durch die Stasi, aber über Hinterhöfe oder Kellerdurchlässe konnte man sich der Überwachung immerhin schnell entziehen. Jan Faktor zeichnet das Bild durchaus glücklicher Jahre, in denen man es sich im Abseits vortrefflich einrichten konnte.
Ein Trottel ist einer, der es immer gut meint und dem zu allem sehr viel einfällt
Allerdings hat sich seit seinem vorigen Roman etwas grundlegend geändert. 2012 nahm sich Jan Faktors Sohn das Leben, 33 Jahre alt. Dieses Ereignis stürzte ihn in eine Krise, aus der er erst langsam zum Schreiben zurückfinden konnte. Nicht so sehr über den Tod des Sohnes musste er schreiben, als über sein Leben und seine Gegenwart, die den neuen Roman durchzieht. Erinnerungen bilden die Schmerzspur inmitten all des Gewitzels. Humor bewährt sich als Überlebensstrategie, denn auch die Erinnerungen an den psychisch labilen Sohn sind so bissig und komisch wie der große Rest des Buches. Auch der Sohn war ein "Trottel", wie der Vater einer ist, doch er konnte sich damit im Leben weniger gut zurechtfinden. Erst indem es Jan Faktor möglich wurde, all das in seine "stark übersteigerte Munterkeit" einzubetten, konnte er darüber schreiben. Das hat lange gedauert, eben die zwölf Jahre, die seit "Georgs Sorgen" vergangen sind.
Ein Trottel ist einer, der es immer gut meint und dem zu allem sehr viel einfällt. Der Trottel ist naiv, aber durchaus mit sich und der Welt zufrieden. Der Ich-Erzähler bezeichnet sich als so einen Trottel. Er ist aber auch ein Alter Ego, eine Figur, die es dem Autor erlaubt, gnadenlos abzuschweifen und hemmungslos zu kalauern. Der Trottel ist ein hochgetunter Laberer. Als Motto steht auf der Umschlagseite unter dem Titel: "Was ist der Grund für meine gute Laune? Einfach alles." Darin steckt vermutlich die Definition des Trotteltums, auch wenn der Erzähler verrät, die Frage seiner Jugend sei gewesen, ob ein Trottel im Leben glücklich werden kann. Die Grenzen zwischen Trottelglück und Trottelelend sind fließend, wie ja auch das Schicksal des Sohnes beweist.
Der Roman setzt sich wie ein Mosaik aus Erinnerungssplittern zusammen. Jedes Thema lädt zu Abschweifungen ein, sie sind das ästhetische Prinzip und zugleich das Lebensmodell, das der Erzähler als Skurrilität kultiviert. Wer will, kann das in die tschechische Erzähltradition von Bohumil Hrabal oder Jaroslav Hašeks "bravem Soldaten Schwejk" stellen. Entscheidend ist, dass die Abschweifung dazu dient, die Wirklichkeit anarchisch zu unterlaufen. Für den "Trottel" wächst daraus Literatur. Bei dem Sohn dagegen entstand daraus ein Krankheitsbild. Wo der Trottel Witz und Leichtigkeit aus den Verhältnissen herauswirtschaftet, verliert der Sohn den Boden unter den Füßen. Es ist, als müsse der Vater dem Sohn mit diesem Buch beweisen, dass auch ein Trottel glücklich und überlebensfähig sein kann.
Eine eindrucksvolle Szene macht das deutlich. Jahre nach dem Tod des Sohnes entdeckt der Erzähler im Atelier eines befreundeten Malers ein Porträt, das den Sohn im Alter von etwas sechs Jahren zeigt. Man sieht, dass der Maler ihn auf eine Weise kannte, die den Eltern verschlossen blieb. Der Junge ging tagsüber seiner Wege durch die Höfe und Keller am Prenzlauer Berg, und auf so einer Kellertreppe fiel er dem Maler auf, weil er ein Zitronennetz, westliche Errungenschaft, in den Händen hielt und versunken betrachtete. Dieser Moment der Selbstvergessenheit und des Verlorengehens in einem Detail machte ihn aus - bis er auch sich selbst verloren ging.
Der Erzähler aber verliert sich an dieser Stelle seinerseits. Er schweift ab in ein Gespräch über Maltechniken, Farbsubstanzen, obwohl es doch um das Erschrecken über die plötzliche Präsenz des verlorenen Sohnes im Bild gehen müsste. Es folgt ein Exkurs über Kellertreppen und Stadtarchitektur. Die Ablenkung ist der Ausweg. Das liest sich leicht, lässt aber ahnen, wie viel Anstrengung es bedeutet.
Das Buch ist seiner Frau gewidmet. Sie sollte es besser nicht lesen
Das Gleiche gilt für Faktors die Auseinandersetzung mit der jüdischen Herkunft. Sie ist in der Familie vor allem Gegenstand von Witzen. Wenn die Mutter zu sagen pflegte: "Wenn ein Jude dumm ist, dann ist er wirklich dumm", möchte der Trottel das Judentum für sich nur ausnahmsweise in Anspruch nehmen. Und wenn seine Frau ihn zum Putzen ermuntern möchte, kontert er, dass sie "als Reichsdeutsche nicht das Recht hat, einen jüdischen Schriftgelehrten zu Hausarbeiten in Fußbodennähe zu zwingen".
Die Kehrseite der Komik des Trottels sind oft wüste Beschimpfungen, vor denen niemand, vor allem er selbst nicht, sicher ist. Dass seine Frau, der das Buch gewidmet ist, auch wenn sie es besser nicht lesen sollte, "auch nicht die hellste" sei, gehört noch zu den leichtesten Beleidigungen. Ein Gegengift bietet Faktor in einer der vielen Fußnoten an. Nachdem er die DDR als Reichsbananenrepublik bezeichnet hat, erklärt er: "Falls sich an dieser oder an einer inhaltlich ähnlich temperierten Stelle jemand beleidigt fühlen sollte, würde ich demjenigen raten, zur Abhilfe dreimal in die Hände zu klatschen. Dies soll sich auch auf den Blutdruck positiv auswirken." Es wäre eine Erleichterung, wenn alle Gekränkten das einmal versuchen würden. Ersatzweise sei die Lektüre von Jan Faktors Roman empfohlen. Wer diesen zersetzenden Humor verstanden hat, hält ganz wie der Erzähler Schmerzen aller Art sehr viel besser aus.