Es gibt einen Moment recht früh im Film, der wird vielen Fans gleich schwer in die Magengrube fahren. Die Sonne scheint, James Bond fährt über eine gewundene italienische Bergstraße, und neben ihm sitzt Madeleine Swann, gespielt von Léa Seydoux. Das ist die Frau, die er im vorigen Film aus den Fängen seines Erzfeindes Blofeld gerettet hat, und die er liebt.
Alles wunderbar, denkt man sich, und über dem Motorengedröhn des Aston Martin fragt Madeleine sogar, ob Bond vielleicht ein bisschen mehr aufs Gas gehen könne. Nur so zum Spaß, es sind weit und breit keine Verfolger in Sicht. Bond schüttelt milde den Kopf. "Wir haben alle Zeit der Welt", sagt er.
"We have all the time in the world", so heißt der alte Bond-Song, von Louis Armstrong gesungen, dessen Melodie auch der Soundtrack in diesem Moment zitiert. Und womöglich ist der Autor dieses Textes nicht der Einzige, den das sofort in die Vergangenheit zurückwirft, hinein in einen Bond-Film, der für ihn, in einer Wiederraufführung im Kino, sogar der erste war: "Im Geheimdienst Ihrer Majestät".
An dessen Ende hatte James Bond gerade die Welt gerettet, wie immer, diesmal hatte er aber auch geheiratet. Seine Braut saß neben ihm, sie fuhren über eine gewundene Bergstraße, jeden Moment musste jetzt der Abspann kommen. Stattdessen kamen die Killer, die Braut verblutete in Bonds Armen, Louis Armstrong sang. Selten sind Teenagertränen heißer geflossen.
Im neuen Film "Keine Zeit zu sterben" passiert nach diesem seltsamen Omen erst einmal nichts. Bond und Swann kommen im malerisch verschachtelten Weltkulturerbestädtchen Matera an und beziehen ein wunderschönes Hotelzimmer für eine Liebesnacht. Es könnte wirklich was werden mit ihnen, so ernst, wie sie plötzlich über ihre Gefühle reden, aber der Teenager von damals möchte sie schütteln: Um Gottes willen, Gefahr!
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Am nächsten Morgen wird Bond von Blofelds Handlangern auf einer Brücke angegriffen, wie tausendfach zuvor, es gibt ein paar spektakuläre Stunts. Aber wie immer wird er mit den Angreifern fertig. Sein Vertrauen zu Madeleine Swann ist allerdings dahin, sie muss Blofelds Killer angelockt haben.
Bond lebt jetzt, wie sein Schöpfer, im Ruhestand auf Jamaika
Die beiden trennen sich, was natürlich schade ist und auch ein Triumph für Blofeld, der in Gestalt von Christoph Waltz immer noch lebt und in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis einsitzt. Aber ist es die ganz große Katastrophe, die diesen ominösen Anklang an Louis Armstrong rechtfertigen würde?
Fünf Jahre Zeitsprung, Bond ist allein geblieben, anscheinend traut er jetzt niemandem mehr, und er lebt - wie einst sein literarischer Schöpfer Ian Fleming - im Ruhestand auf Jamaika. Im Moment des Wiedersehens hat er gerade ein paar Fische harpuniert und nimmt eine Dusche im Dschungel. Das soll jetzt seine Tage füllen?
Aber nein, natürlich nicht, diesmal ist es sein alter Freund von der CIA, der ihn in einen neuen Weltvernichtungsplot hineinzieht. Als Nächstes gibt es Randale auf Kuba, wo es kurz so aussieht, als wäre Bond wieder in eine tödliche Falle getappt, stattdessen werden dann aber Blofelds Verbündete mit einem völlig neuartigen Kampfstoff aus Nanobots getötet, der aus einem Geheimdienstlabor entwendet wurde - blöderweise einem britischen.
Spätestens hier wird es zu kompliziert für schnelle Erklärungen, aber der Regisseur Cary Fukunaga inszeniert das so rasant, dass man über die logischen Lücken einfach hinwegspringt. Merken kann man sich immerhin, dass es einen neuen Superschurken namens Safin gibt. Der hasst Blofeld und seine Truppen mindestens so sehr wie Bond. Rami Malek, der zuletzt Freddie Mercury verkörpert hat und damit einen Oscar gewann, spielt ihn eindrücklich mit einem giftversehrten Gesicht und lauernder, schwer traumatisierter Freundlichkeit.
Nach Sequenzen, in denen Bond sich mit Madeleine versöhnt und gemeinsam mit ihr gejagt wird, unter anderem durch einen norwegischen Nebelwald, endet alles auf einer brutalistisch zugebunkerten Insel, die Safin gehört. Von dort soll die Vernichtung der Menschheit irgendwie ihren Ausgang nehmen, warum und wie genau ist aber unklarer als je zuvor bei Bond, und besonders klar war das ja nun wirklich noch nie.
Klar ist aber wie immer, dass Bond in einer Endlosschleife gefangen ist. Einer sich seit bald sechzig Jahren schlängelnden Endlosschleife der ewigen Virilität und Kampfkraft und Unbesiegbarkeit. Bond muss dieselben Dinge immer wieder erleben, dieselben Verfolger immer wieder besiegen, er muss ad infinitum dieselben Sätze aufsagen, geschüttelt, nicht gerührt, wortwörtlich oder in winzigen Abwandlungen. Ewig alterslos, ewig fit und unverletzlich, mit ewig neuen Frauen an seiner Seite und ewig unversiegbaren Ressourcen direkt aus der Staatskasse. War er das nicht, der Traum?
Und doch gibt es da diesen genial irritierenden Moment in "Keine Zeit zu sterben". Da ist Bond mit seinem schon ziemlich demolierten Aston Martin von Verfolgern umringt, die den Wagen gestoppt und eingekreist haben und aus allen Rohren auf das Panzerglas feuern. Noch hält es, aber die Scheiben zersplittern immer mehr, lange kann das nicht mehr gutgehen. Madeleine sitzt neben ihm, zuckt bei jedem Treffer zusammen und erwartet, dass er das Übliche macht und zum Gegenschlag ausholt. Aber Bond tut nichts.
Sie schreit ihn an, aber er tut immer noch nichts. Stattdessen ist da eine Müdigkeit in Bonds Gesicht und eine Vergeblichkeit in seinem Blick, die direkt aus den Tiefen von Daniel Craigs Seele aufzusteigen scheint. Da sitzt ein Mann, der nicht mehr mag. Der darum bittet, aus der Endlosschleife der ewigen Virilität und Kampfkraft und Unbesiegbarkeit entlassen zu werden, aus der Wiederkehr des Immergleichen, die eben nicht nur das Paradies sein kann. Sondern auch die Hölle.
Dann ist der Augenblick vorbei, Bond wird wieder aktiv, er feuert zurück aus allen Rohren, und die beiden entkommen. Die große und bleibende Wahrheit des Films - sie liegt trotzdem schon in diesem Moment.
No Time To Die , UK/US 2021 - Regie: Cary Joji Fukunaga. Buch: Fukunaga, Neal Purvis, Robert Wade, Phoebe Waller-Bridge. Kamera: Linus Sandgren. Mit Daniel Craig, Rami Malek, Léa Seydoux, Lashana Lynch, Christoph Waltz. Universal, 163 Minuten.