"Infinity Pool" im Kino:Bestrafte Sehnsucht

Lesezeit: 3 min

Am Strand der gefährlichen Dekadenz: "Infinity Pool" mit Mia Goth und Alexander Skarsgård. (Foto: Universal)

Brandon Cronenbergs Thriller "Infinity Pool" führt in ein exotisches Fantasieland, in dem Exzesse mit Blut bezahlt werden.

Von Fritz Göttler

Die Leiden eines jungen Schreibers, in einem Ferienresort am Meer. Sechs Jahre ist es her, da hatte James Foster (Alexander Skarsgård) großen Erfolg mit seinem ersten Roman. Nun wartet er auf Eingebungen, hofft auf Inspiration für das zweite Buch - ausgerechnet an einem Ort der allgemeinen Trägheit und des Laisser-faire. Aber er wirkt nicht wirklich beunruhigt, er hat reich geheiratet.

Sie geben unheimlich zwiespältige Helden ab, die Schreiber in der Schreibkrise, im writer's block, die sich mit ihrer Kreativität abmühen, ob jung oder alt, von Ernest Hemingway bis Jack Torrance aus "Shining". Und besonders elend können die Geschichten mit dem vermaledeiten zweiten Buch sein ... Wenn die Spontaneität weg ist, die kreative Unschuld, jene unbewusste Naivität, die einen einst auf dem Drahtseil des Erstlings an möglichen Absturz gar nicht denken ließ, an die Gefahren alberner Prätention. (Christian Petzolds neuer Film "Roter Himmel" hat ebenfalls einen Schreiber mit dem Zweites-Buch-Syndrom zum Helden, gespielt von Thomas Schubert, und es zieht ihn ebenfalls ans Wasser, wie James.)

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Was das Meer und den Strand angeht, hat das Luxushotel in jeder Hinsicht südländisches Flair, bei den Mauern und Stacheldrahtzäunen, die es abgrenzen, den Justizgebäuden und den Uniformen der Miliz des Landes - der Film wurde zum Teil in Ungarn gedreht - denkt man eher an Mittel- und Osteuropa. Das Land trägt den unmöglichen Namen La Tolqa, seine Sprache hat Regisseur Brandon Cronenberg erfinden lassen, es ist sein dritter Spielfilm. Er ist der Sohn des großen David Cronenberg, der die Metamorphosen von Körper und Psyche in seinen Filmen beunruhigend studierte. Ich bin meinem Vater zu nahe, erklärt Brandon, um von seinen Filmen beeinflusst zu sein, im gewöhnlichen Sinne.

Es liegt ein Hauch von Leere und Langweile über dem Resort, von jener gefährlichen Dekadenz, wie totalitäre Systeme sie entwickeln. Es sind auch viel zu viele Kreative unterwegs, die Schauspielerin Gabi etwa und der Architekt Alban (Mia Goth, Jalil Lespert), ein Paar, das James' Leerlauf ausnützt.

Nach dem Lockdown verheißen die Filme Exotik - doch Lüste haben ihren Preis

Der Film wurde auf dem Sundance Festival in Park City diesen Januar uraufgeführt, und Benjamin Lee hat für den Guardian davon berichtet, aus einer Stadt also und einem Event, die selbst etwas von der Aura einer geschlossenen Gesellschaft haben. Die düstere Zeit des Lockdowns, sinniert er, habe Filme angeregt, die in verführerisch fernen, exotischen Regionen spielen, voller Sonne und Freiheit - aber all diese Verlockungen würden schließlich in ein sehr ungutes Ende führen, unsere Sehnsüchte und Lüste böse bestraft. Diese fiese Dialektik prägt Filme wie "The Glass Onion", den Detektivthriller mit Daniel Craig und Edward Norton, oder den Cannes-Sieger "Triangle of Sadness", und nun, auf sehr drastische Weise, "Infinity Pool".

Gabi wird schnell drastisch übergriffig, sie stimuliert James mit der Hand sexuell, verführt ihn und seine Frau zu einem mondänen Dolce Vita. Eines Nachts aber fährt er auf der Heimfahrt ins Hotel angetrunken einen Einheimischen tot, darauf steht in diesem ominösen Land die Todesstrafe. Eine Hinrichtung als bitterböses Spektakel, wie im Mittelalter. Der älteste Sohn des Getöteten darf das Urteil vollstrecken, und man sieht - eine der scheußlichsten Splatterszenen der letzten Zeit -, wie verbissen er diese Aufgabe erledigt, wie er auf den an einen Pfahl gefesselten Körper einsticht, wieder und wieder, immer heftiger.

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Es ist allerdings nicht James, der hier qualvoll abgestochen wird, sondern ein Klon, den man von ihm fertigte, denn gegen eine entsprechende Summe kann man in La Tolqa sich von der leibhaftigen Exekution freikaufen. Nach der Rückkehr aus dem Gefängnis werden die Exzesse, mit denen James sich konfrontiert sieht, immer wilder, Maskenspiel, absurde Rituale, sadistische Attacken.

Was Andrea Riseborough in Brandon Cronenbergs zweitem Film "Possessor" alles tut, ist dagegen von einer fast klinischen Reinheit - eine Killerin, die sich mittels eines technischen Apparats in ein fremdes Bewusstsein hineinstöpselt und diesem fremdes Tun aufzwingt. Auch James wird Sachen erleben und erdulden und mitmachen, die ihn seiner Würde berauben. Im Treiben der Resort-Bande zerbröseln Begriffe wie Identität und Verantwortung, Schuld und Würde.

Wasser kennt keine Grenzen ... bei einem Infinitypool scheint die künstliche Anlage des Beckens in die Natur drumherum überzugehen, das Artifizielle verschwimmt mit dem Natürlichen, das Imaginäre mit dem Realen. Es ist eine Landschaft ohne Horizont, ohne Fluchtpunkt, ohne Ziel. Ein Leben ohne Bewegung.

Infinity Pool , 2023 - Regie, Buch: Brandon Cronenberg. Kamera: Karim Hussain. Schnitt: James Vandewater. Musik: Tim Hecker. Mit: Alexander Skarsgård, Mia Goth, Cleopatra Coleman, Jalil Lespert, Amanda Brugel, Jeffrey Ricketts, Caroline Boulton, Thomas Kretschmann. Universal, 118 Minuten.

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