Im Kino: Lollipop Monster:Mörderisches Happy End

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F-Wörter an deutschen Küchentischen und unproportional wachsende Brüste: Ziska Riemanns "Lollipop Monster" zeichnet die Pupertät der Mädchen Ooni und Ari in einer grellbunten Mischung aus Spielfim- und Comic-Sequenzen nach.

Martina Knoben

Ein Film wie ein Comic - "Lollipop Monster" erzählt seine Coming-of-Age-Geschichte nicht im üblichen soliden, künstlerisch mehr oder weniger ambitionierten Kinostil, sondern so grell-bunt, schrill und überbordend vital, wie es dem Hormonstatus von Um-die-Fünfzehnjährigen entspricht. Ziska Riemann - selbst Comic-Zeichnerin und bekannt durch die "Seyfried und Ziska"-Alben mit Gerhard Seyfried - kombiniert Realbilder mit Zeichentricksequenzen, Musikclips und Super-8-Aufnahmen und gibt sich auch in den sogenannten Realfilmsequenzen jede Mühe, nicht zu naturalistisch vorzugehen.

Lollipop Monster: hormonelle Achterbahnfahrt (Foto: Salzgeber & Company Medien)

Ari (Jella Haase) ist eine blonde Lolita mit schläfrigen Kulleraugen, Kniestrümpfen und Zöpfen, deren bonbonfarbene Pullover und T-Shirts sich über erstaunlich entwickelten Brüsten spannen. Ihre Freundin Oona (Sarah Horváth), die Ari auf dem Schulhof nicht findet, eher erkennt im biblischen Sinn, mutet wie eine Holly Golightly der Nullerjahre an, mit ihren schwarzen Haaren, der schwarzen Kleidung, den Katzenaugen, und ihrer eleganten Melancholie.

Die beiden wirken wie Gegensätze, aber sie sind von Anfang an verbunden durch die Liebe zur selben Musik. Den eingängig düsteren Sound einer imaginären Band namens Tier hat Alexander Hacke zu den Texten von Riemann und ihrer Co-Autorin Luci Van Org speziell für den Film geschrieben. "Wir verstehen uns blind, weil wir dieselbe Gattung sind", heißt es da, und dass der Mensch das größte Raubtier von allen sei.

Verbunden sind Ari und Oona auch durch die Probleme mit ihren sehr unterschiedlichen, aber gleichermaßen unerträglichen Familien. Aris Zuhause ist eine Villa Kunterbunt, mit Gartenzwergen und Zwangsharmonie. "Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb", sagt Mami vor dem Essen, ein Tischspruch für Kleinkinder, danach fasst sie ihre Sprösslinge fest bei der Hand, damit diese nicht fortlaufen. Dabei hatte Ari gerade das böse F-Wort in den Mund genommen, vom Ficken gesprochen am Küchentisch, um die Mutter endlich einmal so zu schockieren, dass diese mit einem echten Gefühl reagiert. Oonas Eltern sind nicht besser, obwohl sie Künstler sind und ziemlich cool. Aber Oonas Vater hat schon lange kein Bild mehr fertiggemalt. Und als ihn die Mutter (Nicolette Krebitz) aus Frust mit seinem erfolgreichen Galeristenbruder betrügt, hängt sich der Vater gegenüber von Oona und Aris Schule auf.

Schrille Charakterisierung von Erziehungsunsicherheiten

Hier passt erst mal nichts zusammen: Der satirische Ton, den die Autorinnen bei Aris Familie anschlagen - wobei ihnen immerhin eine schrille, aber durchaus treffende Charakterisierung der heutigen Erziehungsunsicherheiten gelingt -, passt nicht zur vergleichsweise ernsten Haltung gegenüber Oonas Familie. Und formal ist das Ganze ohnehin ein von Ideen überbordender, eher stylischer als wirklich wilder Mix, mit im Einzelnen nicht wirklich originellen Bestandteilen: Düstere Tricksequenzen mit schwarzen Vögeln, die vor schwarzen Baumsilhouetten aufflattern, die Prilblumenästhetik von Aris Zuhause oder eingebaute Super-8-Aufnahmen hat man so ähnlich schon gesehen.

Die Mischung strahlt allerdings eine unwiderstehliche Vitalität aus und den unschuldig-subversiven, handgemachten Charme, wie ihn auch viele Comics haben. Und sie spiegelt nicht schlecht die erschöpfende Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem oder sehr Disparatem in der Pubertät: Körperteile, die unterschiedlich schnell gewachsen sind, oder ganz und gar widersprüchliche Gefühle.

Die Geschichte sei in vielen Punkten ihre eigene, haben die zwei Autorinnen erklärt, die sich schon als Kinder kannten. Zumindest Oona sieht man das Selbstporträt der Regisseurin als junger Frau an: Sie geht nicht völlig in der Geschichte auf, scheint einen von der Leinwand aus direkt anzublicken. Dass sie sich als Teenager aus den Augen verloren hätten, haben die Autorinnen ebenfalls gesagt und ein "vielleicht zum Glück" hinzugefügt. Das mörderische Happy End, das sie ihrer Geschichte gegeben haben, mutet in seiner Wut und Verzweiflung wahrhaftig an, wirkt mit seinem krassen Girlie-Glamour aber auch ein wenig eitel.

LOLLIPOP MONSTER, D 2011 - Regie: Ziska Riemann. Buch: Ziska Riemann, Luci van Org. Kamera: Hannes Hubach. Schnitt: Dirk Grau. Mit: Sarah Horváth, Jella Haase, Nicolette Krebitz, Thomas Wodianka, Fritz Hammel, Sandra Borgmann, Janusz Kocaij. Edition Salzgeber, 96 Minuten.

© SZ vom 25.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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