Bei der Preisverleihung der Berlinale vertrat sie in diesem Jahr den russischen Regisseur Kirill Serebrennikow: Die Schauspielerin Franziska Petri ( "Leo und Claire", "Das Konto") hatte sich eine Papiertüte mit dem Konterfei des russischen Regisseurs über den Kopf gezogen. Sie wollte damit dessen Hausarrest in seinem Heimatland anklagen, der aus Sicht vieler Beobachter vollkommen unbegründet ist. Seit den gemeinsamen Dreharbeiten für den Film "Betrayal" im Jahr 2010 sind Petri und Serebrennikow befreundet, was auch dadurch begünstigt wurde, dass er kurze Zeit später ihr Nachbar im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg wurde, wo er einen Zweitwohnsitz hat. Serebrennikow wird von den russischen Behörden vorgeworfen, staatliche Fördergelder für ein Theaterprojekt unterschlagen zu haben. Doch viele sehen in diesem Fall die Maßregelung eines unbequemen Kritikers. Seit einem Jahr steht er unter Hausarrest, der immer wieder verlängert wird. Zuletzt am heutigen Dienstag.
SZ: Frau Petri, Sie sind mit Kirill Serebrennikow persönlich befreundet. Wissen Sie, wie es ihm geht? Haben Sie Kontakt zu ihm?
Franziska Petri: Leider nicht. Den haben nur sein Anwalt und sein Vater. Es geht ja genau darum, ihn abzuschirmen von jeglichem Kontakt zur Außenwelt. Man kann ihn weder anrufen noch per E-Mail erreichen. Es gibt keinerlei Kommunikationsmöglichkeit.
Sie gehören zu denjenigen, die immer versucht haben, Aufmerksamkeit für den Fall Serebrennikow zu erzeugen. Hat das aus Ihrer Sicht irgendetwas bewirkt, in Russland oder im Westen?
Was versteht man unter Wirkung? Das Einzige, was ich machen kann, ist, mein Umfeld und meine Branche darauf aufmerksam zu machen, dass so etwas passiert. Aber dass es Einfluss auf die russische Regierung haben könnte - da mache ich mir wenig Hoffnungen. Der geht es ja wohl genau darum, Stärke zu demonstrieren. Dass sie die Macht hat, einen so wichtigen starken Künstler einfach wegzusperren, und ihm zu verbieten, zu arbeiten.
Sie meinen, die russische Regierung will ganz bewusst zeigen, dass sie das letzte Wort hat?
Genau. So weit ich die Rechtssituation nachvollziehen kann, ist sie vollkommen absurd und zum Himmel schreiend ungerecht. Es geht darum, zu sagen: "Obwohl wir nichts beweisen können, obwohl wir Zeugen manipulieren und Aussagen fälschen, haben wir trotzdem die Macht, diesen Hausarrest immer wieder zu verlängern, bis ins Unendliche, wenn wir wollen." Mich macht das sehr wütend und ich fühle mich unglaublich hilflos.
Zumindest im Westen kommt diese Demonstration der Macht des russischen Staates ja aber nicht gut an.
Das will ich doch hoffen. Ich habe aber auch schon Stimmen in Deutschland gehört - auch von Kollegen -, die von irgendwelchen Professoren aus Russland erzählen, die behaupten würden, Kirill habe tatsächlich diese Wahnsinnssummen unterschlagen. Das wäre alles rechtens, und solche Leute müsse man aus dem Verkehr ziehen.
Selbst wenn man der Auffassung ist, an den Vorwürfen sei etwas dran, dann hat der Beschuldigte ja zumindest das Recht auf ein ordentliches Verfahren, das sich im Fall Serebrennikow seit mehr als einem Jahr nirgendwo abzeichnet.
Es ist doch eindeutig, dass es darum gar nicht geht. Sonst wäre der Prozess ja schon längst angesetzt worden. Stattdessen betreiben die Behörden dieses Spiel, das mir wie eine Farce vorkommt. Ich möchte mich nicht über Russland erheben, denn ob wir in Deutschland einen Rechtsstaat haben, weiß ich auch nicht so genau. Meiner Meinung nach ist es überhaupt ganz schwierig, Recht und Gerechtigkeit zu schaffen. Trotzdem würde das einem Regisseur in Deutschland wohl eher nicht passieren.
Neben der nahezu vollständigen Kontaktsperre besteht für Serebrennikow auch ein Internetverbot. Bekommt er denn überhaupt mit, wie viel Unterstützung er aus der Film- und Theaterszene bekommt?
Davon gehe ich aus, denn er reagiert direkt darauf. Bei seiner letzten Gerichtsanhörung im August hat er sich dafür bedankt und sich direkt an seine Unterstützer gewandt. Er hat ihnen gesagt: "Ihr wünscht mir immer die Kraft, das alles durchzuhalten, und ich wünsche euch dasselbe. Haltet ihr auch durch, denn das ist für mich ganz wichtig." Offensichtlich sammelt sein Anwalt die Wünsche, die aus der ganzen Branche an ihn gerichtet werden, um für ihn einzutreten.
Es ist bekannt, dass es in Russland teilweise gar nicht möglich ist, Dinge ohne Korruption zu bewerkstelligen. Warum sind Sie sich so sicher, dass der Vorwurf der Unterschlagung, der gegen Kirill Serebrennikow erhoben wird, haltlos ist?
Weil dieser Vorwurf wohl jedem Kulturschaffenden angelastet werden könnte, wenn man es denn wollte. Kirill und seine Mitarbeiter haben Geld für das Projekt "Plattform" bekommen, mit dem man das russische Theater fördern wollte. Im Rahmen dessen haben eine ganze Menge Inszenierungen stattgefunden, die nachweisbar sind, weil Aufzeichnungen oder etwa Premierenplakate vorliegen. Trotzdem wird bei einem Teil dieser Aufführungen angezweifelt, dass diese überhaupt realisiert wurden.
Das müsste sich ja ziemlich leicht ermitteln lassen.
Richtig. Trotzdem wird eine Sommernachtstraum-Inszenierung als nicht-existent hingestellt. Es gibt allerdings ganz viele Leute, die diese Aufführung gesehen haben. Die waren da drin und bezeugen das auf Facebook unter dem Hashtag "#IchwarbeiPlattform". Welche Beweise will man denn noch?
Wenn der Vorwurf der Veruntreuung nicht haltbar ist: Warum gehen die russischen Behörden gegen Serebrennikow vor? Was hat sie an seiner Arbeit so gestört?
Es geht darum, ihn als politischen Geist aus der Gesellschaft zu entfernen. So, wie ich ihn kenne, hat er nie ein Blatt vor den Mund genommen und ist an seinem Theater immer sehr offen mit seinen Anschauungen und seiner Homosexualität umgegangen. Das Einzige, das man ihm vorwerfen könnte, ist, zu sagen: "Du hast das Geld genommen und bist trotzdem nicht still."
Er hat die Annexion der Krim offen missbilligt und in seinen Stücken geht er auf kritische Distanz zur orthodoxen Kirche, deren politischer Einfluss ihm offensichtlich zuwider ist. Aber seine Systemkritik erscheint mir fast leiser zu sein als die des Filmregisseurs Andrei Swjaginzew, und der sitzt nicht im Hausarrest.
Vielleicht liegt es an Kirills Einfluss auf die Moskauer Kulturszene, der gewaltig ist. Er hat sein Theater ( das Gogol Center; Anm. d. Red.) in vier Jahren zu einer der ersten Bühnen des Landes gemacht. Das ist ein Haus, in dem hochmodernes, aufregendes und freies Theater gespielt wird, das es vorher in Russland so gar nicht gab. Er hat mit seinem Ansatz, der mit der russischen, sehr klassischen Theatertradition bricht, innerhalb kürzester Zeit riesige Erfolge gefeiert, und das macht vielleicht auch Angst. Im Staatsapparat wird man sich womöglich gefragt haben, was da noch alles kommt.
Sie waren mehrfach in Russland tätig. Was ist Ihr Eindruck von der künstlerischen Freiheit im Land?
Ich habe drei Mal in Russland gearbeitet: Zum ersten Mal 2010 für Kirills Film "Betrayal", das zweite Mal, als ich 2014 in der Jury des Filmfestivals Moskau war, und dann 2015, als ich mit Aleksej Misgirew den Film "Der Duellist" drehte. Über diese Zeit habe ich Veränderungen wahrgenommen. Die Menschen, die ich 2010 kennengelernt habe, waren noch sehr offen. 2014 merkte ich dann schon, dass ein schärferer Ton herrschte: Als ich mich bei der Eröffnungs-Pressekonferenz auf das Zitat aus Andrei Swjaginzews Film "Leviathan" bezog "In diesem wunderbaren Land sollten alle Blumen wachsen dürfen", da merkte ich schon: "Oh, das war jetzt vielleicht ein bisschen frech."
An der Reaktion der Journalisten?
Ja, es wurde plötzlich ganz still im Saal. Man merkte: Das wurde als Provokation empfunden. Außerdem kamen mir die Bühnenshows im Rahmenprogramm eigenartig altmodisch vor. Zum Beispiel traten Mädchen mit Kopftüchern auf, die einen Reigen tanzten, und dann kamen dann Männer mit Pumphosen dazu. In der Zeit war in Moskau gerade ein neues Gesetz großes Thema, wonach in Filmen nicht mehr Schimpfworte gesagt, geraucht und Alkohol getrunken werden durfte. Als wir den Regiepreis ausgerechnet der Russin Valeria Gai Germanika für ihren wüsten Film "Yes and Yes" zugedachten, in dem rund um die Uhr geraucht, gesoffen und geflucht wird, kam das als deutliches Statement rüber. Das wurde mit der Einschätzung abgetan: "Der Film kommt in Russland ohnehin nicht in die Kinos."
Das ist dann tatsächlich auch nicht passiert. Beim "Duellisten" war das aber auch nicht viel anders. Der Film lief nur in Deutschland, Frankreich und den USA.
Immerhin. Was mir auffiel, als ich den "Duellisten" drehte, war, dass es plötzlich eine Art Männlichkeitskult gab, beim Dreh und auch drumrum. Die tollen starken russischen Frauen, die ich 2010 kennengelernt hatte,- waren weniger da. Beim "Duellisten" spielten viele sehr junge Kollegen mit, die mir alle sehr unpolitisch vorkamen. Pussy Riot sei doch nur im Ausland interessant, hieß es. Man gehe aber jeden Sonntag in die Kirche, und so. Da war ich schon baff.
Jetzt könnte man sagen: Serebrennikow hat Glück im Unglück. Immerhin sitzt er nicht in einem Straflager, wie sein ukrainischer Kollege Oleg Senzow, sondern in seiner Moskauer Wohnung. Tröstet Sie das?
Das ist schon ein bisschen tröstend. Aber genau darin liegt auch eine Gefahr: Viele, die Hausarrest hören, denken: "Ach, super! Der muss nicht mehr arbeiten gehen, der kann zu Hause rumliegen und machen, was er will. Das ist doch keine schlimme Strafe." Bei den furchtbaren Dingen, die sonst in der Welt geschehen, wenn zum Beispiel Kinder von ihren Eltern getrennt werden, wie in den USA, kann man aus den Augen verlieren, was für eine fiese Folter es ist, einem Künstler zu verbieten, zu arbeiten oder zu kommunizieren.
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Er kann ja arbeiten. Irgendwie hat er es geschafft, seinen letzten Film "Leto", der im November ins Kino kommt, in der Wohnung zu schneiden.
Das war Material, das er schon gedreht hatte. Wie will er jetzt aber weiter arbeiten? Er kann sicher schreiben. Das kann man alleine machen. Aber er kann nicht mehr inszenieren und nicht mehr drehen. Seine Hauptarbeit, was ihn als Regisseur ausmacht, das geht nur mit anderen Menschen.
Wie stark belastet ihn diese Einschränkung Ihrer Meinung nach?
Das macht ihm sehr zu schaffen. Kirill ist ein richtiger Workaholic, der nur für den Beruf lebt. So wie ich ihn kennengelernt habe, hat er nur wenig geschlafen. Er war nachts um vier noch erreichbar oder hat Nachrichten geschrieben. Bei "Betrayal" waren wir teilweise 19 Stunden am Set, und danach ist er noch in eine Premiere gegangen. Ich weiß noch genau: Wir hatten einen Nachdreh, der um 15 Uhr anfing und bis zum nächsten Morgen dauerte. Nach der letzten Klappe haben wir noch einen Abschlusschampagner getrunken. Als wir auseinandergehen wollten, fragte mich Kirill, ob ich heute noch zur Premiere von Soundso kommen würde. Ich dachte nur: Was für ein Wahnsinn! Wir haben hier gerade 30 Tage auf Hochleistung gearbeitet. Das, was da jetzt abläuft, ist für ihn die höchste Strafe, die man sich ausdenken konnte.