"Gloria Mundi" von Robert Guédiguian im Kino:Marseille kann sehr kalt sein

Lesezeit: 3 min

Gérard Meylan spielt Daniel, der einen Großteil seines Lebens im Gefängnis saß. Jetzt liebt er seine Enkelin Gloria in dem Film "Gloria Mundi". (Foto: Film Kino Text)

Wie man auch im härtesten Kapitalismus einen Funken Hoffnung und Zusammenhalt bewahrt: Der französische Kinoveteran Robert Guédiguian und sein Film "Gloria Mundi".

Von Fritz Göttler

Es ist wie ein Krieg, alle gegen alle, sagt der Filmemacher Robert Guédiguian über die französische Gesellschaft heute. Sein neuer Film, "Gloria Mundi - Rückkehr nach Marseille", ist trister und kälter als die zwanzig, die er bislang gemacht hat, eine Familiengeschichte, die wie ein Schraubstock sich zuzieht, Missgeschick auf Missgeschick - ein Elternpaar, zwei Töchter mit ihren Männern, und mit der Geburt eines Enkelkindes fängt der Film an, das ist Gloria, den Namen haben die Eltern von einem Film, den sie im Fernsehen sahen.

Robert Guédiguian filmt erneut in Marseille, quer durch die ganze Stadt, den Hafen, wo jetzt die Zelte der Flüchtlinge stehen, die modernen Bürobauten, alte Miethäuser und enge Hotels, auf den Treppen und unter den Überführungen. Immer wieder sieht man unter den Passanten Soldaten auf den Gehsteigen und über die Straßen gehen, die Karabiner in der Hand. Ariane Ascaride - die Frau des Regisseurs - ist die Mutter Sylvie, sie hat beim Filmfestival in Venedig den Preis als beste weibliche Darstellerin bekommen. Sie arbeitet für eine Reinigungsfirma, es ist - man kann es nicht anders nennen - ein Scheißjob. Die anderen Arbeiter wollen streiken, für bessere Bezahlung, sie sträubt sich. Sie denken, seufzt sie, es ist wieder Mai 68...

Viele Kritiker waren diesmal unzufrieden mit Guédiguians Erzählweise, das sei schematische tragische Kolportage. Guédiguians Filme sind sozialkritisch, aber sein Realismus ist der des Märchens, Vergangenheit beschwörend. Es war einmal ein Mai 68... Es gibt noch einen anderen Mann in Sylvies Leben, Daniel, der ist Glorias eigentlicher Großvater. Er saß viele Jahre in Rennes im Gefängnis, hatte einen anderen umgebracht. Als er nach Marseilles zurückkehrt, quartiert er sich in einem Hotel ein, nachts setzt er sich an den Tisch, holt eine Kladde raus und schreibt: Die ganze Welt schläft. Nichts zwischen der Nacht und mir... dann streicht er die Nacht durch und schreibt dafür Mond. Kleine Haikus, um die Erinnerungen festzuhalten. Er geht gern spazieren mit der kleinen Enkelin Gloria. Ich erzähle ihr all die Geschichten, sagt er zu ihrer Mutter Mathilda, die ich dir nie erzählt habe.

Bitte nur Cash, nach diesem Prinzip funktioniert die Gesellschaft

Ein Film über eine Gesellschaft, die immer enger wird, immer radikaler nach den kapitalistischen Regeln funktioniert. Sylvies Tochter Mathilda arbeitet als Verkäuferin in einer Boutique und weiß, sie wird gefeuert, noch bevor ihre Probezeit vorüber ist, und durch eine billige Kraft ersetzt, aus dem Ausland. Ihr Mann Nicolas versucht, als Uber-Fahrer Selbständigkeit zu erringen, ein paar Taxler brechen dem Konkurrenten dafür den Arm. Vom Mai 68 hat sich Guédiguian jenes magische Grundgefühl der Solidarität bewahrt, das auch diesen Film durchdringt. "Ich habe diese Vorstellung einer Transzendenz in meinem Kopf", sagt der Filmemacher, "ich weiß um die Leute, die vor uns lebten, und ich habe eine Idee, was heilig ist, was die Mythen und Legenden sind und wie bedeutend sie sein können in unseren Leben."

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"Tout Cash", das ist das Prinzip, nach dem diese Gesellschaft funktioniert. "Tout Cash", so heißt der Second-Hand-Laden, den Sylvies andere Tochter Aurore und ihr Mann Bruno betreiben, alles bar. Leute bringen Sachen, die sie nicht mehr brauchen, und Aurore und Bruno rücken lächerlich kleine Beträge dafür heraus, unverhohlen und frech. Sylvie arbeitet nachts, das wird besser bezahlt, die Reinigung von Krankenhäusern und Schiffskabinen, und als Daniel einst ins Gefängnis musste, war sie auch, um die Tochter durchzubringen, als Arbeiterin der Nacht auf den Straßen unterwegs, wo alles tout cash war... eins der Haikus lautet: Der Tod verfolgt uns. Das Leben holt uns ein. Für eine Zeit.

Einmal kommt eine Frau, verschleiert mit einem Hijab, zum "Tout Cash", sie bringt einen Toaster. Ich muss Ihren Ausweis sehen, sagt Aurore, und als die Frau ihn hervorholt: Was soll ich damit, ich kann ja nicht sehen, ob Sie das sind... Der Schleier muss herunter, mit vorsichtigen, schamhaften Bewegungen folgt die Frau schließlich. Aurore schaut, fasziniert, lüstern, ein Moment, wie er typisch ist für die Filme von Robert Guédiguian, herzzerreißend und brechtianisch: So bist du noch hübscher.

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Gloria Mundi , 2019 - Regie: Robert Guédiguian. Buch: Serge Valletti, Guédiguian. Kamera: Pierre Milon. Schnitt: Bernard Sasia. Musik: Michel Petrossian. Mit: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan, Anaïs Demoustier, Robinson Stévenin, Lola Naymark, Grégoire Leprince-Ringuet. Film Kino Text, 107 Minuten. Kinostart: 13. 01. 2021

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