Theater:Hölle, Hölle, Hölle

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Die Hölle ist immer die andere: Dörte Lyssewski und Regina Fritsch in Sartres "Geschlossene Gesellschaft" unter der Regie von Martin Kušej am Burgtheater Wien. (Foto: Matthias Horn)

Ein Stück wie ein Lockdown: Sartres "Geschlossene Gesellschaft" am Wiener Burgtheater.

Von Wolfgang Kralicek

Die Hölle, das ist ein leeres Buffet. Auf einer langen Tafel stehen etwas verloren drei dieser Edelstahltröge herum, in denen normalerweise die Speisen warm gehalten werden. Nur, dass da offensichtlich noch nie etwas drin war, das warm gehalten werden müsste. Vom schwülstigen "Salon im Second-Empire-Stil", in dem Jean-Paul Sartre sein Kammerspiel "Huis clos" (1944) ansiedelte, ist in Martin Zehetgrubers Bühnenbild keine Spur: Das triste Buffet steht vor einer gigantischen, unverputzten Wand aus grauen Ytong-Ziegeln, der Boden wurde aus weißen Kieselsteinen aufgeschüttet, wie man sie aus dem öffentlichen Raum kennt, wo sie zur Behübschung von nicht anders nutzbaren Flächen dienen.

Am Wiener Burgtheater haben sie einen modernen Klassiker ausgegraben, der sich nur noch selten auf die Spielpläne verirrt. In Zeiten von Lockdown und Home-Office scheint "Geschlossene Gesellschaft" ein Stück der Stunde zu sein. (Das Stück war in der vergangenen Spielzeit aus aktuellem Anlass angesetzt worden, musste dann aber ausgerechnet wegen Lockdowns mehrmals verschoben werden.) Drei Menschen kommen darin nach ihrem Tod in die Hölle, wo sie allerdings weder loderndes Feuer noch finstere Folterknechte erwarten, sondern bloß wildfremde Mitmenschen, mit denen sie auf ewig zusammenleben müssen. "Der Folterknecht", erkennt eine der Figuren recht bald, "ist jeder von uns für die beiden anderen." Und kurz vor Schluss fällt dann der Satz, der als wohl populärstes Sartre-Zitat überhaupt Karriere gemacht hat: "Die Hölle, das sind die anderen."

Zahnbürsten und Betten braucht es nicht mehr, aber Erotik scheint im Jenseits noch eine Rolle zu spielen

Die Hölle, das ist in Martin Kušejs Inszenierung auch das Theater selbst. Auf der Bühne ragt zwar Zehetgrubers Mauer in die Höhe, die imaginäre vierte Wand zwischen Bühne und Zuschauerraum aber ist hier sehr durchlässig. Kaltes Licht leuchtet nicht nur die Bühne, sondern den ganzen Raum aus; die Schauspielerinnen und Schauspieler agieren oft mitten im Publikum; die Auf- und Abtritte erfolgen durch das Parkett. Nach und nach führt ein süffisanter Kellner (Christoph Luser) die drei Protagonisten auf die Szene. Der linke Journalist Garcin (Tobias Moretti) wurde von einem Erschießungskommando hingerichtet und ist in der Hölle gelandet, weil er seine Frau schlecht behandelt hatte. Die lesbische Postbeamtin Inès (Dörte Lyssewski) fiel einem erweiterten Selbstmord ihrer Geliebten zum Opfer. Estelle (Regina Fritsch) schließlich ist an Lungenentzündung gestorben und kann sich nicht erklären, warum sie hier gelandet ist.

Schminken ohne Spiegel: Dörte Lyssewski, Regina Fritsch und Tobias Moretti in Martin Kušejs Inszenierung von Jean-Paul Sartres "Geschlossene Gesellschaft" am Burgtheater Wien. (Foto: Matthias Horn/Matthias Horn)

In Sartres Hölle gibt es keine Zahnbürsten (wozu?) und keine Betten (Schlaf braucht hier niemand), Erotik aber scheint auch im Jenseits noch eine Rolle zu spielen. Dass eine der Frauen homosexuell ist, war für die Entstehungszeit progressiv; dass dann aber doch wieder beide Frauen um die Gunst des Mannes raufen, wirkt etwas altbacken. Die Inszenierung verwendet die Übersetzung von Traugott König aus den 80er-Jahren, hat den Text aber einigermaßen stark bearbeitet; unter anderem wird die sexuelle Ebene deutlich expliziter angesprochen als im Original: "Egal, ob Feigling oder Verräter - Hauptsache, er fickt gut!"

Die Hölle, das sind die anderen: Damit ist nicht so sehr gemeint, dass das Zusammenleben auf engem Raum mühsam sein kann. Vor allem wollte Sartre zeigen, dass die Menschen sich zu sehr darüber definieren, was andere über sie denken. Nach und nach fallen die Masken: Estelle ist deshalb hier, weil sie ihr ungewolltes Baby ertränkt hat; und Garcin ist wohl doch nicht so heldenhaft gestorben, wie er anfangs behauptet hat.

Es ist die bisher beste Inszenierung von Kušej als Direktor des Burgtheaters überhaupt

"Geschlossene Gesellschaft" ist also ebenso wenig das Stück zum Lockdown, wie "Die Pest" - ein anderes existenzialistisches Hauptwerk - der Roman zur Pandemie ist. Trotzdem war es keine schlechte Idee, es wieder einmal aus dem Fundus zu holen. Der Text bietet tolles Spielmaterial, das in Kušejs Inszenierung - seiner bisher besten als Direktor des Burgtheaters - dann auch entsprechend genutzt wird. Schön etwa die Szene, in der Inès/Lyssewski anbietet, Estelle/Fritsch beim Schminken zu helfen, weil es in der Hölle keine Spiegel gibt, was damit endet, dass beide Frauen große rote Clownsmünder im Gesicht tragen. Ziemlich komisch ist auch immer wieder, wie Garcin noch im Jenseits um jeden Preis sein Gesicht wahren möchte.

Das kühle, scharfe Spiel von Tobias Moretti, in dem auch etwas Geisterhaftes mitschwingt, bildet das Zentrum des Abends. Dabei hätte ursprünglich Klaus Maria Brandauer den Garcin spielen sollen, was letztlich an Terminproblemen scheiterte. Noch so ein Klassiker, den man eigentlich gern mal wieder auf der Bühne sehen würde.

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