Framing-Check: "Ankerzentren":Massenunterkunft statt Heimathafen

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Angekommen sein, Sicherheit, Unverrückbarkeit. Das sind Begriffe, die man mit dem Anker assoziiert. (Foto: imago/StockTrek Images)

Der Begriff "Ankerzentrum" suggeriert Ruhe, Stabilität und Halt für Geflüchtete. Dabei ist das Ziel der Einrichtungen die schnelle und effektive Abwicklung von Asylverfahren.

Von Julian Dörr

Wo Sprache ist, da ist auch Subtext. Vor allem dort, wo Sprache politisch wird. Zur Analyse dieser Subtexte hat sich in der Forschung in den vergangenen Jahren das Konzept des Framings etabliert. Framing meint einen Assoziations- und damit Deutungsrahmen für Begriffe: Wer zum Beispiel "Zitrone" hört, denkt an "sauer" oder "gelb". Assoziationen lassen sich politisch instrumentalisieren. Frames definieren oft Probleme - und liefern, manchmal implizit, auch gleich die passende Lösung. Bei einem Begriff wie "Flüchtlingsstrom" sieht man vor dem geistigen Auge beispielsweise große Menschenmassen heranrauschen. Eine Naturgewalt und darin ein Bedrohungsszenario. Was die vermeintliche Lösung nahelegt: Abschottung.

In einer losen Serie analysiert die SZ das Framing politisch oder gesellschaftlich relevanter Begriffe. Heute: Ankerzentren.

Wer den Begriff benutzt:

Sieben sogenannte Ankerzentren gehen heute in Bayern in Betrieb. Der Begriff taucht erstmals im Koalitionsvertrag der großen Koalition vom 14. März auf. "Anker" ist dort ein Akronym und steht eigentlich für "Ankunft, Entscheidung und Rückführung" - was stark vermuten lässt, dass das Bild des Ankers und das damit verbundene Framing sehr bewusst gewählt sind. Als Schlüsselelement in Innenminister Horst Seehofers "Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen" fanden die sogenannten Ankerzentren ihren Weg in den öffentlichen Diskurs.

Bei den sogenannten Ankerzentren handelt es sich um Sammelunterkünfte, in denen bis zu 1500 Menschen untergebracht werden sollen. Geflüchtete müssen dort leben , bis sie identifiziert sind und ihr Asylverfahren beginnt. Menschen mit guter Bleibeaussicht in Deutschland sollen auf die Kommunen verteilt werden. Menschen mit geringer Chance zu bleiben sollen jedoch möglichst direkt aus dem Ankerzentrum abgeschoben werden.

Was der Begriff suggeriert:

Der Anker ist eine sehr starkes Bild. Mit seinem mächtigen Gewicht ist er alleine in der Lage, ein ganzes Schiff an Ort und Stelle zu halten. Als Metapher steht der Anker für Treue, für Halt, Schutz und Sicherheit. Ein Anker verhindert, dass ein Schiff von der Strömung abgetrieben wird - und suggeriert damit auch Ruhe: Egal, wie sehr das Meer tost und tobt, er schützt Schiff und Besatzung. In der Metapher des Ankers steckt außerdem das Motiv der Selbstbestimmtheit. "Ich gehe hier vor Anker" klingt nach einer bewussten und freiwilligen Entscheidung, ein Seefahrer bestimmt über sein Schicksal. Wo man ankert, verlässt man das beengende Schiff und geht an Land. Dort findet man vielleicht sogar eine neue Heimat.

In der christlichen Symbolik steht der Anker zudem für die Hoffnung, also eine der drei göttlichen Tugenden. Gläubige hoffen auf die Erlösung nach dem Tod und die himmlische Seligkeit. Deshalb taucht der Anker auf vielen Grabinschriften auf.

Wie das die Wahrnehmung steuert:

Bei dem Begriff "Anker" denkt man also an Stabilität und Halt - ungefähr das Gegenteil von dem, was die Menschen in diesen Massenunterkünften erwartet. In der Aufschlüsselung des Akronyms offenbart sich der Konflikt mit der Realität: Es geht hier eben nicht darum, einen neuen und sicheren Heimathafen zu finden - abseits der Stürme und Gefahren des Meeres (das viele Menschen in diesen Zentren ja tatsächlich überquert haben). Das "r" in "Anker" steht für Rückführung. Darin zeigt sich das Ziel, jene Asylbewerber schneller und effektiver abzuschieben, die kein Bleiberecht erhalten.

Für die Bewerber mit Bleibeperspektive, die künftig ebenfalls in den sogenannten Ankerzentren untergebracht werden sollen, bieten die großen Massenunterkünfte wenig Möglichkeit, Ruhe und Halt zu finden. Einige der dort Untergebrachten werden nach dem Ende ihres Asylverfahrens Sicherheit und Freiheit in Deutschland finden, für die Zeit in den sogenannten Ankerzentren gilt das jedoch nicht. Wer hier den Begriff des "Ankers" benutzt, der suggeriert eine Form von Sicherheit, vor allem aber von Freiwilligkeit und Bewegungsfreiheit, die es nicht gibt. Die Stadt Bamberg, in der sich die Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO) befindet, übt Kritik an der Größe der Zentren: Die Erfahrungen mit der AEO hätten gezeigt, dass Massenunterkünfte den sozialen Frieden in der Stadt gefährden.

Was ein weniger framender Begriff wäre:

Man hätte für diese Art von Einrichtung konsequenterweise die Abkürzung "ZAER" wählen können: Zentrum für Ankunft, Entscheidung und Rückführung. Mit dieser abstrakten Buchstabenfolge hätte man das Bild des Ankers vermieden - und sich für ein gezieltes Nichtframing entschieden.

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