Fünf Favoriten der Woche:Schaut auf diese Frau

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Maria Kulikovskas Performance "254". (Foto: Bernd Borchardt)

Die Performance der ukrainischen Künstlerin Maria Kulikovska, ein Jubiläum in Düsseldorf und ein Musikinstrument für die Hosentasche: Kultur-Empfehlungen aus der SZ-Redaktion.

Von SZ-Autoren

Ukraine-Performance in Berlin

"Favorit" ist ganz sicher nicht der richtige Begriff hierfür, es geht eher um einen Hinweis aus traurigem Anlass: Nachdem die ukrainische Künstlerin Maria Kulikovska 2014 vor der Annexion der Krim fliehen musste, führte sie vor der Eremitage in St. Petersburg eine Performance auf, die als Titel ihre Flüchtlingsnummer trug: "254". So wie man die getöteten Soldaten mit der ukrainischen Fahne bedeckt hatte, lag auch sie nun dort - wie tot, aber mit Betonung auf "wie", denn unter dem gelb-blauen Stoff zuckte es ja. Damals wurde sie verhaftet. Jetzt ist Kulikovska in Berlin und führt die gleiche Performance bis Mittwoch auf den Stufen vor der Neuen Nationalgalerie auf, täglich mehrere Mal. Danach geht sie ihr wenige Monate altes Baby stillen. Dessen Vater ist noch in der Ukraine. Und jeder weiß ja, was das heißt. Peter Richter

Klein. Aber mächtig. Der "KO!" ist der Sampler aus der Pocket-Operator-Serie. (Foto: teenage engineering)

Synthesizer im Taschenrechnerformat

Das Design: sehr wichtig. Ganz eigene Form der Reduktion. Schwere DIY-Schlagseite in der Ästhetik. Nackte Platine, noch nacktere Bedienknöpfe. Stripped to the bone, sagt der Amerikaner da gern. Was in diesem Fall womöglich ein kleinerer Euphemismus dafür wäre, dass die Teile aussehen, als hätte ein Taschenrechner sich in den Infight mit einem Säurefass begeben. Und verloren.

Der Nutzer muss also, da gibt es nichts zu beschönigen, damit rechnen, belächelt zu werden. Der Nutzer muss aber auch damit rechnen, dass ihm das ganz wunderbar egal sein wird. Wer nutzt, der sieht - und in diesem Fall wird er oder sie sehen, dass die Pocket Operators (zumindest ein paar der Modelle), der Name deutet es bereits an, zwar erwartbar eingeschränkte, aber eben auch erstaunlich mächtige Hosentaschen-Synthesizer, -Drumcomputer oder sogar -Sampler sind. Echte, brauchbare, günstige Musikinstrumente. Kein Spielzeug. Kein Witz.

Schöpfer ist nämlich die Firma Teenage Engineering, die unter anderem den ähnlich leicht unterschätzten Synthesizer OP-1 entwickelt hat, der inzwischen bei sehr vielen Produzenten aus allen Stilrichtungen im Studio steht. Und im MoMa. Erneut: das Design.

Das sich - auch bei den Pocket Operators - aber eben in Funktion übersetzt. Neun Modelle gibt es inzwischen (und ein paar Sondereditionen, die selbstredend schon zu Sammler-Mondpreisen angeboten werden), deren Bedienung sich der Laie, der ebenfalls Spaß haben wird, vielleicht am besten wie eine Lochkarte vorstellt: Man wählt einen Sound aus und dort, wo man ihn auf den sechzehn Sequenzer-Plätzen einstanzt (also auf den Knopf drückt), wird er gespielt, wenn man auf Play drückt. Die Rädchen verändern Klang oder Tempo. Mit ein paar Tastenkombinationen gibt es zusätzliche Effekte. Die ersten fünf Minuten frittiert die Bedienoberfläche dem Anfänger das Hirn. Danach kann man es blind.

Für den professionellen Nutzer: Ja, vor allem der PO-33, also der Sampler, funktioniert wirklich. Eher Lo-Fi. Mit nur 40 Sekunden Sampling-Zeit. Aber famos. Der PO-12 ist im Vergleich zum sehr guten Drumsynthesizer Tonic noch etwas archaisch. Vom Bass-Synth PO-14 ist abzuraten, weil er ohne Trick nur die weißen Tasten spielen kann. Ansonsten: Das perfekte Geschenk auch für den Musiker, der schon alles hat. Jakob Biazza

Michelle Yeohs tänzelnde Prügeleien

Michelle Yeoh in "Everything Everywhere All at Once" (Foto: Leonine Film)

Eine handfeste Schlägerei ist auch nur ein Tanz mit Hieben und Tritten. Das beweist die Karriere der malaysischen Schauspielerin Michelle Yeoh. Als Anfang der Achtzigerjahre ihre Ballettträume wegen einer Rückenverletzung zerplatzten, war es die Kampffilmfachkraft Jackie Chan, die ihre Schlagfähigkeit fürs Kino entdeckte. Seither drischt, prügelt und säbelt sich Yeoh durch die Filmgeschichte von "James Bond 007 - Der Morgen stirbt nie" bis zu Ang Lees Meisterwerk "Tiger & Dragon". Mit 59 Jahren ist sie nun in der Rolle der wehrfähigen Waschsalonbesitzerin in "Everything Everywhere All at Once" von Daniel Kwan und Daniel Scheinert zu sehen. Und krönt damit ihre Karriere. Denn sie kloppt sich in dieser irrwitzigen Meta-Superhelden-Persiflage nicht bloß federleicht durch mehrere Universen, sondern flößt ihrer Figur eine emotionale Tiefe ein, die selbst noch die ausuferndste Absurdität des Plots plausibel erscheinen lässt. Timo Posselt

40 Jahre Theater an der Ruhr

Gastspiel im Düsseldorfer Hofgarten zum Jubiläum: Das Theater an der Ruhr feiert 40-Jähriges. (Foto: Achim Kukulies)

Sollte sich jemand unter einem Hofgärtnerhaus eine bescheidene Hütte vorstellen, irrt er gewaltig. Das Gebäude im Düsseldorfer Hofgarten (spätbarocke Gartenbaumeister hatten offenbar große Familien) ist jedenfalls ein stattliches, rosa angestrichenes Etablissement mit ausladenden Flügeln. Es beherbergt das Theatermuseum, das durch seinen jungen Chef Sascha Förster aus längerem Dornröschenschlaf erweckt wurde. Dass ausgerechnet hier, vis-à-vis dem Schauspielhaus, das 1981 gegründete, in Mülheim ansässige Theater an der Ruhr sein 40-jähriges (infolge der Pandemie um ein Jahr verschobenes) Bestehen feiert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Düsseldorfs Theater war für Roberto Ciulli seinerzeit schließlich doch eher der Ausgangspunkt einer politisch begründeten Flucht "ins Offene" - hin zu flexibleren, diverseren, weniger hierarchischen Strukturen.

Der inzwischen 88-jährige Theatergründer steht nun im Mittelpunkt einer Hommage, einer von der langjährigen Kostüm- und Bühnenbildnerin Elisabeth Strauß erarbeiteten Ausstellung unter dem vom Lyriker Garcia Lorca entlehnten Titel: "Man muss sich an morgen erinnern". Entstanden ist ein Parcours, der sich nicht an chronologischen Parametern orientiert, sondern nach ästhetischen Verknüpfungen sucht. Aufführungsfotos in den unterschiedlichsten Formaten lassen die Geschichte des Theaters gewissermaßen impressionistisch aufleben. Videoclips flimmern über die Wände. In einem kleinen Raum finden sich die Figurinen des früh verstorbenen Kostümdesigners Klaus Arzberger und Modelle des ebenfalls nicht mehr lebenden charismatischen Bühnenbildners Gralf-Edzard Habben. Der Clou ist ein begehbarer transparenter Kubus, gestaltet von der italienischen Künstlergruppe "Anagoor", über dessen Wände kurze Sequenzen aus Inszenierungen laufen: Man kann sich, indem man den Raum betritt, für einige Minuten immersiv als Teil des Mülheimer Theaterkosmos erleben.

Seinen Ruhm verdankt das Theater an der Ruhr nicht zuletzt Ciullis Kosmopolitismus, sprich: den vielen Gastspielen in aller Welt - schwerpunktmäßig in der Türkei und im Mittleren Osten. In den Lobreden, die am Eröffnungsabend im Hofgarten zu hören waren, klang dieser Aspekt häufig an. Martin Krumbholz

Allein im Hotel

(Foto: N/A)

Die 25-Jährige ist gerade zurück von einer Weltreise und stromert durch Paris, als sie eine kleine Tür entdeckt, durch die sie in den Bahnhof Gare d'Orsay gelangt. Der soll zum Museum umgewandelt werden und das dazugehörige Hotel steht schon eine Weile leer, als ausgerechnet Sophie Calle dort im Jahr 1978 heimlich einzieht. Zwei Jahre lang ist Zimmer 501 für sie der Ausgangspunkt ihrer fast archäologischen Untersuchungen. Zwischen toten Katzen und kaputten Treppenstufen sammelt sie Rechnungsbücher ein und schraubt die rot-emaillierten Zimmernummern ab. Ihre Fundstücke hat Sophie Calle, heute eine der bedeutendsten Künstlerinnen Frankreichs, unter dem Titel "Sophie Calle. The Ghosts of Orsay" nun im Museum Gare d'Orsay ausgebreitet (die Ausstellung läuft bis zum 12. Juni). Und weil diese Kunst so privat wie literarisch wirkt, ist auch der begleitende Katalog mehr als eine Dokumentation: ein höchst lesbares Werk. Catrin Lorch

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