Fatih Çevikkollu über Kölns Image:"Auf einmal ist es salonfähig, menschenverachtend zu sein"

Lesezeit: 4 min

"Das ist nicht Köln", sagt Fatih Çevikkollu. (Foto: Fatihland.de)

Fatih Çevikkollu liebt seine Heimat Köln, aber gerade wird sie ihm ungewohnt fremd.

Interview von Carolin Gasteiger

Was haben die Vorfälle von Silvester mit Köln gemacht? Haben sie das Image der Stadt nachhaltig ramponiert? Der Kabarettist Fatih Çevikkollu hat zusammen mit anderen Kölner Intellektuellen einen Appell formuliert, die "Kölner Botschaft", in der sie sich gegen fremdenfeindliche Hetze und Sexismus stellen und mehr Toleranz und einen verstärkten Kampf gegen bandenmäßige Kriminalität fordern. Çevikkollu will gegen die kursierenden Vorurteile auch mit Humor vorgehen - das sei momentan "der beste Weg".

SZ.de: Herr Çevikkollu, war die "Kölner Botschaft" nötig?

Fatih Çevikkollu: In dieser Stimmung, die gerade medial verbreitet wird, sind positive Statements sehr wichtig. Man könnte das Gefühl kriegen, der Mob übernimmt jeden Moment die Kontrolle und das wäre die Mehrheit und die Stimmung kippt. Das ist schlichtweg falsch. Als würden wir gerade komplett überrannt. Frauen werden vergewaltigt und die einzige Lösung soll sein, die Grenzen dichtzumachen, Leute abzuschieben und in Bürgerwehren Selbstjustiz zu üben. Das ist nicht Köln. Unser Appell versucht, zu deeskalieren und die Hysterie rauszunehmen.

Wenn Sie sagen, "Das ist nicht Köln", klingt das, als würde Ihnen die Stadt fremd. Wie ist denn Köln für Sie?

Köln ist meine Heimat, ein Ort, an dem ich mich wohl und zu Hause fühle. "Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss" hat Johann Gottfried von Herder mal gesagt. Zurzeit muss man aber leider eine ganze Menge erklären.

Sie spielen auf die aktuelle Flüchtlingsthematik und die Debatte darüber an. Was stört Sie daran so?

Sie entwickelt eine seltsame Eigendynamik. Bei den Vorfällen von Silvester geht es um Sexismus und Menschen, die etwas Unrechtes getan haben. Die Täter müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden, keine Frage. Aber die Sexismusdebatte verwandelt sich auf einmal in eine Rassismusdebatte - und die wird vorwiegend von Rechten und Konservativen geführt. Nach dem Motto: Vergewaltigung ist nur dann spannend, wenn der Täter Migrationshintergrund hat. Wer die Täter auf ihre ethnische Zugehörigkeit reduziert, ist ganz klar ein Rassist. Auch wenn es sich bei den Tätern um Arschlöcher handelt.

Auch Islam und Islamismus werden in der Diskussion wild durcheinandergeworfen.

Ja, es wird einfach nicht mehr differenziert. Jeder projiziert seine ganz persönlichen Ängste hinein und auf einmal ist es salonfähig, menschenverachtend zu sein. Das schockiert mich. Und das in meiner Heimatstadt. Unser Appell ist für mich als glühender, lebender, liebender Kölner eine Herzensangelegenheit.

Wenn sich Einzelne zu Wort melden und sich verteidigen, wie zuletzt die marokkanischstämmige Bundeswehrsoldatin Nariman Reinke, stoßen sie auf großen Zuspruch. Warum sind diese Stimmen plötzlich so wichtig?

Deutschland sucht gerade seine besseren Ausländer. In diesem Fall ist Reinke aus Marokko, muslimisch, und Bundeswehrsoldatin - besser geht es ja nicht. Wenn sie behauptet, wir wollen friedlich zusammenleben, sagt sie ja nichts anderes als jemand, der seinen gesunden Menschenverstand bemüht. Migrationshintergrund hin oder her. Aber wenn das von jemandem mit Migrationshintergrund kommt, hat es momentan viel mehr Gewicht. Weil es alle anderen mit Migrationshintergrund eben nicht sagen. Wenn sich jetzt auf einmal jeder mit arabischen Wurzeln von den Vorfällen in Köln distanzieren muss, geht die Selbstverständlichkeit verloren. Ich glaube nicht, dass der Großteil der Deutschen rassistisch ist und ein Großteil der Ausländer das wiederum still und heimlich hinnimmt. Aber die Debatte suggeriert das gerade.

Erleben Sie das auch persönlich?

Mit schwarzen Haaren und dunklen Augen würde ich selbst auch als böser Muslim durchgehen. Aber den Schuh ziehe ich mir erst gar nicht an. Ich bin kein muslimischer Vorreiter. Religiosität spielt in meinem Leben kaum eine Rolle, Köln dagegen schon.

Was hilft gegen die Rassisten?

Vor kurzem habe ich eine Sendung im NDR gesehen, in der ein bekennender Nazi über Ausländer sagt: "Ja, wenn man sie kennt, kann man sie ja nicht mehr hassen." Das mag naiv klingen, ist aber wahr. Das Problem ist nur, dass die meisten schön die Distanz wahren, die Fremden verteufeln und ihr Feindbild weiterpflegen, anstatt sich aktiv damit auseinanderzusetzen.

In Ihren Programmen gehen Sie ganz offensiv mit Vorurteilen gegenüber Ausländern um. Ist Humor momentan der richtige Weg?

Für mich ist das der beste Weg. Alles, was an Schwachsinn kursiert, lässt sich dadurch bloßstellen. Gemeinsames Lachen hat etwas Entladendes und Entlarvendes. Da habe ich wahrscheinlich eine spezielle Funktion, um die Menschen zusammenzuführen. Mit ganz bescheidenen Mitteln, nämlich lustige Sachen zu erzählen.

Ihr aktuelles Programm heißt "Emfatih" und meint Empathie. Fehlt die gerade?

Die fehlt sogar ganz extrem an manchen Stellen. Empathie bedeutet ja, dass man mitfühlt, seine Zugehörigkeit ausdrückt und sich solidarisch zeigt. Aber das geschieht so willkürlich. Nach den Anschlägen von Paris waren auf einmal ganz viele Franzosen. Aber bei einem Anschlag in Istanbul oder im Nahen Osten - wieso sind dann nicht auf einmal alle Türken oder Palästinenser? Warum ist die Empathie in dem einen Fall da, in einem anderen wird sie geleugnet?

Haben die Vorfälle von Silvester das Image Kölns dauerhaft ramponiert?

Nein. Köln wird sich davon wieder erholen. Was aber dauerhaft ramponiert sein wird, ist das Image der Polizei. Die zentrale Frage lautet doch: Wie konnte das passieren? Wo waren die Beamten? Warum hatten sie die Lage nicht im Griff? Wieder mal. Als sich im Oktober vergangenen Jahres 5000 Hogesa-Anhänger vor meiner Haustür versammelt haben, war die Polizei nicht da. Auf einmal war ein entfesselter Mob unterwegs. Da bekam ich schon ein ganz schön mulmiges Gefühl.

Auch Sie als heimatverbundender Kölner müssen zugeben, dass es durchaus Probleme gibt.

Klar. Über Köln kann man in dieser Hinsicht einiges sagen. Nicht umsonst ist der Ausdruck "Kölscher Klüngel" so geläufig. An manchen Stellen funktioniert das wie eine kleine, korrupte anatolische Schmierenkomödie. Aber wie es in letzter Zeit dargestellt wurde, ist schlichtweg falsch.

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In wenigen Tagen ist Karneval in Köln. Kann man jetzt noch ungezwungen feiern?

Man muss. Natürlich - und es wird großartig werden. Karneval ist herrlich, wenn man kostümiert zusammen schunkelt und singt. Momentan treiben die Nachrichten die Menschen auseinander: Karneval absagen, Schwimmbäder schließen. Alles klingt nach Trennung, nach Spaltung - und fördert die Angst. Das ist Quatsch. Wir müssen die Menschen zusammenführen, gerade an Karneval. Gerade in Köln. Unter Christen und Muslimen ist das einfacher als man denkt. Denn wenn die zusammen feiern, sagen die einen "Kölle" und die anderen "Allah".

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