Die Übergriffe in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof bewegen Deutschland. Wie sicher fühlen sich Frauen in der nordrhein-westfälischen Millionenstadt? Kaufen Sie Pfefferspray, treffen sie andere Sicherheitsmaßnahmen? Oder leben sie ihr Leben wie bisher? Hat Silvester etwas in ihnen verändert? Was ist ihnen jetzt besonders wichtig? Sieben Frauen aus Köln erzählen.
"Die Opfer zu instrumentalisieren ist zweifacher Missbrauch"
"Das Thema bewegt gerade jeden. Ich habe nicht mehr Angst als vorher, ich glaube jedoch in der Stadt hat sich seit Silvester definitiv was verändert. Mit meinen Kollegen spreche ich viel über das Thema. Was mich in der öffentlichen Diskussion besonders stört, ist die Aufregung und dass viele Menschen, die sonst ganz sicher keine Frauenrechtler sind, die Situation nutzen, um Stimmung gegen Flüchtlinge und Migranten zu machen. Ich bin zurzeit nur aufgebrachter als sonst, weil über die Opfer der Silvesternacht nicht in angemessener Weise gesprochen wird. Die Opfer werden vielmehr benutzt für eine Argumentation gegen Flüchtlinge - das ist in meinen Augen zweifacher Missbrauch und eine unzulässige Instrumentalisierung. Was ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis bemerke: Viele sind der Meinung, wir sollten uns als Gesellschaft noch mehr um Verständnis und Integration bemühen, viele überlegen, wie sie sich gerade jetzt engagieren können. Sehr kurios erscheint mir, dass für viele in Köln offenbar das drängendste Problem ist, den Karneval auch genau so feiern zu können wie die Jahre zuvor."
Bettina, 48, Geschäftsführerin
Köln:"Ich habe noch nie so viele heulende Frauen gesehen"
Als Steffi an Silvester am Kölner Hauptbahnhof aus der Bahn steigt, herrscht Chaos. Schilderungen einer verstörenden Nacht.
"Da ätzt der Mob - das treibt mich mehr um, als alleine nach Hause zu laufen"
"Pfefferspray? Nee, hatte ich noch nie. Und trage ich auch jetzt nicht in der Handtasche mit mir rum, nicht tagsüber und auch nicht nachts. Klar, ich kenne Gleichaltrige, die ihre Sicherheit seit der Silvesternacht als gefährdet empfinden. Und natürlich ist es schlimm, was da passiert ist - für mich selbst und meinen Alltag hat es aber keine Konsequenzen; ich bin grundsätzlich kein besorgter Mensch. Wobei doch: Ich sorge mich darum, wie es nun in der Flüchtlingsdebatte weitergeht. Persönlich glaube ich nach wie vor, dass wir 'das' schaffen. Noch am Wochenende haben wir mit einer Gruppe Helfer einem syrischen Paar beim Renovieren geholfen, fast aus Trotz. Leider haben die Vorfälle den ohnehin schon rassistisch denkenden, islamophoben Menschen Zunder gegeben. Da muss man nur bei Facebook schauen, da ätzt der Mob jetzt noch schlimmer. Das treibt mich viel mehr um als die paar Meter, die ich nachts allein von der U-Bahn nach Hause laufe. Nach wie vor übrigens."
Julia, 24, Studentin
"Ich würde nicht zum Hauptbahnhof gehen, wenn ich nicht müsste"
"Zugegeben, ich würde mich gerade nicht am Hauptbahnhof und überhaupt der Gegend dort aufhalten, wenn ich nicht müsste. Ich denke aber, dass das ein ganz natürlicher Schutzreflex ist: Wenn hier in der Straße in drei Wohnungen eingebrochen worden wäre, würde ich ja auch darauf achten, dass ich beim Weggehen die Haustür richtig zusperre und dass die Fenster geschlossen sind. Dass hier Bürger patrouillieren und plötzlich jeder mit Pfefferspray bewaffnet ist, das halte ich für übertriebene Panikmache. Wenn ich zur Arbeit oder einkaufen gehe, fühle ich mich keineswegs ungut. Am Wochenende war ich noch mit einer Freundin etwas essen, in der Stadt - alles wie immer. Ich wünsche mir trotzdem eine schnelle Aufklärung des Geschehens. Lange war ja gar nichts bekannt, seit einigen Tagen liest man Informationen häppchenweise, immerhin. Und ich hoffe, dass die Polizei an Karneval gut vorbereitet ist. Ich werde nicht hingehen, aber das hat nichts mit den Angriffen auf die Frauen zu tun. Ich mag Karneval nicht."
Miriam, 34, Bankkauffrau
"Bald ist Karneval, wir können uns jetzt nicht zu Hause einschließen"
"Ich habe nun auch nicht mehr Angst als vorher, wenn ich nachts alleine unterwegs bin und mir ein zwielichtiger Typ entgegenkommt. Und ich schaue jetzt auch nicht jeden nordafrikanischen Mann misstrauisch an. Den meisten Kölnerinnen geht es, glaube ich, ähnlich. Trotzdem bin ich natürlich froh, dass ich an Silvester nicht am Hauptbahnhof war und auch niemanden kenne, der dort gewesen ist. Vergangenen Freitag und Samstag war ich abends in Köln feiern und es waren genauso viele Leute unterwegs wie immer. Auch die Stimmung war nicht anders als sonst. Bald ist Karneval, wir können uns jetzt nicht zu Hause einschließen. Mir macht allerdings Angst, dass die Vorfälle von Silvester so viele Pegida-Demonstranten anlocken. Die passen eigentlich gar nicht zu uns, Köln ist eine fröhliche und weltoffene Stadt und wird es hoffentlich auch bleiben."
Carolin, 29, Pflegedienstleiterin
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Im Maghreb-Viertel in Düsseldorf leben seit Jahrzehnten Nordafrikaner. Inzwischen ist es aber auch Rückzugsort für Taschendiebe und Einbrecher.
"Ich möchte nicht, dass Köln ein zweites Dresden wird"
"Wenn ich nachts alleine unterwegs bin und auf betrunkene Männergruppen treffe, habe ich immer ein komisches Gefühl - egal, ob es sich dabei um Nordafrikaner oder um Deutsche handelt. Die Ereignisse von Silvester haben für mich persönlich nichts geändert. Ich hoffe nur, dass an Karneval alles ruhig bleibt, ansonsten könnten die Rechten das ausnutzen und Pegida immer stärker werden. Davor habe ich Angst, denn ich möchte nicht, dass Köln ein zweites Dresden wird. In meinem Bekanntenkreis habe ich in den letzten Tagen auch ausländerfeindliche Töne gehört - sogar von Menschen aus der Mittelschicht, denen ich das nie zugetraut hätte. Ich wüsste nicht, wie ich damit umgehen sollte, wenn enge Freunde so reden. Hoffentlich beruhigt sich bald alles wieder. In Köln leben seit langer Zeit viele Menschen mit Migrationshintergrund. Sie werden schnell integriert und sind eine Bereicherung für die Stadt. In meiner Straße wohnen Flüchtlinge und ich hatte noch nie Probleme mit ihnen. Die sind alle sehr freundlich und zurückhaltend."
Julia, 26, Krankenschwester
"Ich erlaube mir nicht, mich zu fürchten"
"Ich bin beruflich und privat viel unterwegs und darum auch sehr häufig am Hauptbahnhof. Mir war immer schon klar, dass es nicht der sicherste Ort der Stadt ist, doch dass die Probleme dort so massiv sind, ist mir erst seit Silvester richtig bewusst geworden. Aber ich habe keine Angst. Oder besser gesagt: Ich erlaube mir nicht, mich zu fürchten und ich will auch mein Verhalten nicht ändern oder gar den Bahnhof meiden. Meine Mutter, die nicht in Köln lebt, sondern in einer hessischen Kleinstadt, macht sich jetzt allerdings große Sorgen um mich. Ich habe gestern lange mit ihr telefoniert und musste ihr versprechen, auf mich aufzupassen. Aber ich finde es schwer, vorsichtig zu sein, wenn ich gar nicht weiß, wovor ich eigentlich Angst haben muss. Umso wichtiger ist es mir, dass die Polizei aufklärt, wer hinter den Übergriffen steckt."
Victoria, 29, Journalistin
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Die Übergriffe in der Silvesternacht verstärken Zweifel an der Asylpolitik und helfen den Rechten. Wie lassen sich die Täter aus Köln bestrafen, ohne dass Unschuldige für diese Taten büßen müssen?
"Ich glaube nicht, dass Angst mich weiterbringt"
"Ich habe nicht mehr Angst als vorher und sehe es gar nicht ein, dass ich jetzt mein Leben ändern soll. Ich glaube nicht, dass Angst mich weiterbringt. Meinen Freundinnen in Köln geht das genauso. Ich merke, dass ich ganz bewusst nichts anders mache. Als ich am Wochenende Feiern war, bin ich zum Beispiel erst recht nachts mit dem Fahrrad durch den Park gefahren. Es ärgert mich aber, dass ich gezwungen werde, drüber nachzudenken, ob mir etwas passieren könnte - obwohl ich gar nicht darüber nachdenken will. Nicht nur, weil mir Freunde aus dem Ausland Whatsapp-Nachrichten schicken und mich fragen, wie es mir geht, sondern vor allem, weil das Thema in den Medien so breitgetreten wird. Eine richtige Panikmache. Dass Frauen angegrapscht werden, ist ja nichts Neues, auch wenn das eigentlich nicht passieren dürfte. An sich finde ich es auch gut, dass mal über das Thema geredet wird, aber ich finde es schlimm, wie das instrumentalisiert wird gegen Flüchtlinge. Ich bin mir nicht sicher, ob es so etwas nicht auch schon mal beim Oktoberfest gab, nur dass es in der Öffentlichkeit nicht so breitgetreten wurde. Und eigentlich geht es kaum um die Frauen, die wirklich davon betroffen waren, sondern um eine größere Diskussion um 'unser Land' und um 'unsere deutschen Frauen'. Ich finde es schlimm, was passiert ist, aber was daraus gemacht wird, finde ich fast noch schlimmer. "
Sophie, 26, Psychologiestudentin
Protokolle: Sophie Burfeind, Gianna Niewel, Sonja Salzburger, Jana Stegemann
*Die Nachnamen sind der Redaktion bekannt
Lesen Sie dazu auch die Seite Drei "Das bleibt" - mit SZ Plus: