Oper-Happening:Zurück in die Zukunft

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"Einstein on the Beach" in Basel, links die Sopranistin Álfheiður Erla Guðmundsdóttir. (Foto: Ingo Hoehn)

Susanne Kennedy inszeniert in Basel den Avantgarde-Klassiker "Einstein on the Beach" von Philip Glass und Robert Wilson als immersives Musiktheatererlebnis.

Von Egbert Tholl

Als Erstes begegnet man einem seltsamen Wesen, das mit verzerrter Stimme spricht und eine Lampe auf dem Kopf hat wie ein Tiefseefisch. Wirkt wie ein Avatar, dieses Wesen, ist aber sehr echt, nur spricht es halt merkwürdig, ein technischer Trick, den man nicht ergründen muss. Das freundliche Wesen jedenfalls gibt den Weg frei, und man sieht: einen vollkommen offenen Bühnenraum, in welchem sich die Drehbühne dreht und diverse Leinwände und riesige Projektionsflächen flackern. Auf der Drehbühne steht ein Tempel, der mal ein ägyptischer gewesen sein könnte, daneben ein großes rundes Ding wie ein Chassis eines abgestürzten Ufos, irgendwo ist eine Urmenschenhöhle, seltsame, priesterartige Menschen mit Maskenschilden vor dem Gesicht stehen herum, der Boden ist ausgelegt mit einem bedruckten Teppich, darauf digital hergestellte Bilder, Knochen, Troboliten, Fraktale. Diese Welt kriegt man nicht vorgesetzt, man taucht in sie hinein, das nennt man ein immersives Erleben, und genau das will Susanne Kennedy erreichen. In Basel inszeniert sie "Einstein on the Beach" von Philip Glass und Robert Wilson.

Überbordende Bilderfülle auf Basels offener Bühne. (Foto: Ingo Hoehn)

Seit seiner Uraufführung 1976 beim Festival in Avignon hat das Werk einen Kultstatus. Glass und Wilson nannten "Einstein" eine Oper, was es auch ist, doch unterläuft es die Parameter des Genres. Es gibt keine Handlung, nur enigmatische Sätze des autistischen Dichters Christopher Knowles. Es gibt keinen Beach, also keinen Strand, Einstein kommt nur in Form von Geigensoli vor, er war ein passionierter Violinist. Und doch ist die Struktur der pausenlos vor sich gehenden vier Stunden (in Basel braucht man nur dreieinhalb) genau definiert.

Glass schreibt Patterns, stur ablaufende Klanggebilde, die sich permanent wiederholen, ihre Aggregatszustände ändern, mal eine elektronische Orgel, mal zwei Saxofone in den Vordergrund rücken. Das Material wird verteilt auf großformatige Abschnitte, der Sound ist stets harmonisch, es gibt weder Dissonanzen noch Synkopen, die Achtel ist die Keimzelle der rhythmischen Organisation. Dazu singen Chor und Solisten Zahlen und do-re-mi-fa-so-la-di-do, die Bezeichnungen der Tonhöhen in genau diesen Höhen, der Gesang meint sich selbst und sonst nichts. Zusammen mit der Musik bildet er ein elastisches Netz, das sich organisch dehnt und zusammenzieht. Im Höhepunkt setzt die Musik aus, ein Sopransolo erklingt, Männerstimmen setzen ein, aus do-re-mi etc. wird eine Art Madrigal.

André de Ridder dirigiert so emphatisch wie möglich

André de Ridder sitzt mit den sieben Musikanten des Ensemble Phoenix in einem kleinen Graben in der Mitte der Bühne und organisiert das Geflecht aus Chorstimmen (Basler Madrigalisten), Solistinnen und Musik, live und zugespielt, mit bewundernswerter Präzision, aber auch lässig, so emphatisch wie möglich. Das ist fabelhaft, so fabelhaft wie die Sologeigerin Diamanda Dramm.

Warum Einstein? Der krempelte die Physik um, Glass und Wilson tun dies mit der Oper, Susanne Kennedy mit deren Umsetzung. Kennedy stammt aus Friedrichshafen, lernte ihr Handwerk in Holland, inszenierte 2011 zum ersten Mal in Deutschland, an den Münchner Kammerspielen, Auftakt zu einer Reihe von Inszenierungen, in denen sie sich konsequent und radikal immer weiter von einem Bühnenrealismus entfernte und Assoziation als höchste Stufe der Erkenntnis suchte. Sie wurde mehrfach zum Theatertreffen eingeladen, war die einzige Theaterfrau an Chris Dercons Volksbühne in Berlin und blieb, als der schon längst das Weite gesucht hatte.

2015 hatte sie bei der Ruhrtriennale einen "Orfeo" als psychosomatisch wirksame Installation herausgebracht - ihre erste Musiktheaterarbeit. Jetzt ist sie zusammen mit dem Bühnenbildner Markus Selg freundlicher. Wie immer bei ihr ist die Aufführung ein technisches Wunderwerk, hier randvoll mit sich permanent neu ereignenden Bildern von Natur und deren Zerstörung. Man muss sich den Ort denken wie ein archaisches Bild nach einer Apokalypse. Ein Neuanfang. Und man sollte eines tun: Jedes Verstehenwollen unterbinden, sonst könnte man belästigt werden von seltsamen esoterischen Anwandlungen. Am besten setzt man sich auf die Drehbühne, einmal rundherum dauert acht Minuten, und versinkt im Klangbildrausch. Dann ist es wundervoll, ein gemeinschaftliches Glück. (Am 10. und 11. Juni ist "Einstein" bei den Wiener Festwochen zu sehen.)

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