"Eine Revolution - Aufstand der Gelbwesten" im Kino:Wut von ganz unten

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Brüderlich allein in ihrem Los der Armut: Szene aus "Eine Revolution - Aufstand der Gelbwesten". (Foto: Drop-Out Cinema)

Der Dokumentarfilmer Emmanuel Gras hat die französische Gelbwesten-Bewegung mit der Kamera begleitet - bis zurück zu ihrem Ursprung.

Von Philipp Stadelmaier

Natürlich denkt man beim Zusammenspiel aus Kreisverkehr und Revolution erst mal an einen ganz anderen Film. Am Anfang von "Zu früh, zu spät" von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet von 1981 umkreist ein Auto die Place de la Bastille, mit jenem Ort im Rücken, an dem vor der Französischen Revolution das symbolträchtige, von den Aufständischen niedergerissene Gefängnis stand.

Dazu erzählt Huillet aus dem Off, wie einst das niedere Volk der Bourgeoisie die Arbeit abnahm und die Revolution für sie machte, damit aber auch an einem Traum arbeitete, der ihnen selbst verwehrt blieb: "égalité" und "fraternité" gab es nur für die Besitzenden; jene, die nichts hatten, waren gleich und brüderlich allein in ihrem Los, weiterhin ausgebeutet zu werden.

Emmanuel Gras' Film "Eine Revolution - Aufstand der Gelbwesten", oder, wie er im französischen Original heißt: "Ein Volk" scheint den unvermindert aktuellen Konsequenzen dieser Diagnose von Straub/Huillet nachzugehen. Er begleitet eine Gruppe der französischen Protestbewegung der "Gilets Jaunes", der Gelbwesten, die ab November 2018 über mehrere Monate hinweg neben Mautstellen an Autobahnen vor allem Kreisverkehre besetzt hielt.

Dort und in den Großstädten demonstrierten sie gegen "die da oben", die bürgerliche Politik, Emmanuel Macron. Ausgangspunkt war die Erhebung einer Öko-Steuer auf Benzin, aber bald ging es um mehr, um die Armut jener ganz unten. Der Schriftsteller Edouard Louis, der selbst von unten kommt, hat das damals in einer existenziellen Frage zusammengefasst, die auch die Gelbwesten in Gras' Film stellen: "Werde ich am Ende des Monats noch Geld haben, um essen zu können?" Der Zynismus des bürgerlichen Lagers gegenüber dieser Not wird auf einer Bürgerdebatte deutlich: Zehn Milliarden Euro habe die Regierung lockergemacht, behauptet ein Parteigänger Macrons; eine Aktivistin rechnet ihm vor, dass davon genau 6,47 Euro bei ihr landen würden.

Wenn sich bei Straub/Huillet zu Anfang das Auto konzentriert um die Bastille drehte, mit einer in den Kreisverkehr gerichteten Kamera, fährt bei Gras ein Auto die verschiedenen Straßen einer heruntergekommenen Ortschaft ab, während ein altes Chanson zu hören ist. Wir sind nicht mehr in Paris, sondern in einem kleinen Provinzstädtchen namens Chartres. Wir sind nicht im Zentrum, sondern in der Peripherie. Und wir sehen nicht "das Volk" oder "die Revolution", sondern eben nur "eine Revolution", einen Ausschnitt daraus und eine Möglichkeit unter vielen.

Was bedeutet es, dass hier nur weiße Franzosen zu sehen sind?

Die Menschen, die hier wohnen und demonstrieren gehen, sind Ex-Alkoholiker, Ex-Obdachlose, Arbeitslose. Nun kommen sie aus der Scham der Armut heraus, erheben ihre Stimmen. Der Film ist nicht arm an Parolen, über die Armen und die Reichen, das Elend und den Zorn, Macron und seine Spießgesellen. Aber was bedeutet es, wenn hier nur weiße Französinnen und Franzosen zu sehen sind? Was ist mit den Schwarzen, den Arabern, den Migranten? Ist das ein Zufall oder Rassismus, welcher der Bewegung immer wieder vorgeworfen wurde? Wenn hier Schilder mit "Frexit" hochgehalten, Parolen wie "France au peuple" gegrölt und Frankreichfahnen geschwenkt werden, wie "rechts" und nah am Front National ist das alles?

Die Kreisverkehrsfahrt in "Zu früh, zu spät" war radikal, essentiell und poetisch, wie das ganze Kino von Straub/Huillet. Eine Inszenierung des Mechanismus der gescheiterten Revolutionen als ewige Wiederkehr. Die dialektischen Kräfte der Geschichte, gebündelt in einer Kamerafahrt. Mit Gras' Dokumentation haben wir diese klare und innovative Formsprache des alten politischen Kinos hinter uns gelassen, tauchen wir ein in die unreinen politischen Diskurse der Gegenwart. Der Hass auf das Finanzsystem, den Neoliberalismus und die Globalisierung sind notwendig, aber auch umkehrbar ins Ressentiment. Wie sehr will und kann sich Gras mit den Gefilmten solidarisieren? Wie "militant" kann sein Film sein? Schwer zu sagen. In jedem Fall dokumentiert er die Schwierigkeiten, heutzutage politische Filme zu machen.

Und doch deckt Gras dabei immer wieder auf, was nur eine Kamera aufdecken kann. Etwa, wenn er die langsam sich steigernden Eskalationen zwischen Demonstranten und Polizisten in den Straßen von Paris filmt, gefolgt von einer surrealen Kaffeepause: Eine Demonstrantin telefoniert, ihr Mann wurde von der Polizei verletzt ins Krankenhaus eingeliefert, während die Polizisten im Hintergrund frühstücken. Die aneinander desinteressierten Konfliktparteien sind in einer Einstellung zu sehen. Es geht also nicht um einzelne Personen, sondern um dahinterliegende Strukturen, eine allgemeinere Dynamik.

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Diese Dynamik lässt sich mit einem Wort beschreiben: Depression. Sie ist so umfassend, dass sie von allem Besitz ergreift. Von den ausgemergelten Gesichtszügen, den kranken Körpern, dem Lagerfeuer auf den Kreisverkehren, den armseligen Parolen und dem Tränengas. Der Populismus trifft auf eine sture, gepanzerte Staatsgewalt, die über die Demonstrierenden hinwegrollt, während die Macronisten davon schwafeln, 6,47 Euro mehr pro Kopf und Monat seien doch schon mal "etwas."

Die sich anbahnende Apokalypse ist das Ende jeder "Politik", der Beginn einer staatlich verwalteten, repressiv durchgeboxten Ökonomie des Elends. Am Ende erleben wir das Verschwinden der Bewegung, gesehen vom polizeilichen Auge einer Überwachungskamera aus, hoch oben über einem nicht mehr besetzten Kreisverkehr, auf dem ein paar verkohlte Stellen von längst verloschenen Feuern erzählen.

Un peuble , F 2022 - Regie und Kamera: Emmanuel Gras. Schnitt: Karen Benainous. Drop-Out Cinema, 104 Min. Kinostart: 12. 01. 2022.

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