"Das Tagebuch der Anne Frank" im Kino:Es gibt kein draußen mehr

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Eine Welt ohne draußen - Anne (Lea van Acken) auf dem Weg ins Amsterdamer Versteck. (Foto: Universal Pictures/dpa)

Aus dem Leben eines Teenagers: Hans Steinbichler hat "Das Tagebuch der Anne Frank" neu verfilmt - behutsam, aber doch mit neuen Akzenten.

Von Susan Vahabzadeh

Mehr als zwei Jahre, genau 25 Monate lang, hat Anne Frank im Versteck ihrer Familie in einem Hinterhaus in Amsterdam Tagebuch geführt, bis zum 1. August 1944. Sie hatte das Büchlein zu ihrem 13. Geburtstag bekommen.

Ihre kindlichen, besorgten, hoffnungsvollen, aufgebrachten Aufzeichnungen lassen nicht ahnen, wie ihre Geschichte enden wird. Eigentlich müssten sie genügen zu zeigen, was Verfolgung heißt; gerade weil hier von den kleinen Schrecken erzählt wird und wir das Wissen um die großen selbst mitbringen müssen. Anne Frank wurde Anfang 1945 in Bergen-Belsen ermordet. Hätte sie überlebt, wäre keine Zeile darin anders. Vielleicht wäre das Tagebuch dann weniger berühmt. Zu Unrecht.

Hinter den Kulissen, "Das Tagebuch der Anne Frank" (Video: Universal Pictures)

Das Tagebuch ist immer wieder verfilmt, illustriert und auf die Bühne gebracht worden - aber, obwohl Anne Franks Familie aus Frankfurt stammte, nie als deutscher Film.

Hans Steinbichler hat sich jetzt daran gewagt, was gar nicht so einfach ist. "Das Tagebuch der Anne Frank" ist die Art von Literaturvorlage, an der man nicht beliebig herumdramatisieren kann; aber eine reine Bebilderung kann man sich auch sparen.

Wenn man Anne Frank für jede Generation neu entdecken will, jeder neuen Generation nahebringen will - dann muss sie, wenn auch zaghaft, neu interpretiert werden. Hans Steinbichler hat eine ganz gute Balance gehalten zwischen Angst und Furchtlosigkeit, er ist behutsam mit der Geschichte umgegangen, aber er betont sie neu.

Der Film setzt lange vor dem Einzug ins Hinterhaus ein. Die Franks sind in der Schweiz, im Urlaub. Otto (Ulrich Noethen) verteidigt gegen die Verwandtschaft, dass er Amsterdam nicht verlassen will, seine Frau (Martina Gedeck) hat da ihre Zweifel.

Ihre ganze Welt nur Innenraum

Die Kinder sind noch unbeschwert. Damit ist es dann aber nach der Besetzung der Niederlande 1940 vorbei. Anne ist aufmüpfig, und sie würde gern mit den Jungs auf der Straße flirten - doch ein normales Leben ist nicht mehr möglich.

Martina Gedeck über "Das Tagebuch der Anne Frank"
:"Ihr war klar, in was für einer Falle sie sitzen"

Martina Gedeck spielt die Mutter von Anne Frank. Ein Gespräch über einen Dreh unter klaustrophobischen Umständen - und warum die Mutter in den Tagebüchern so schlecht wegkam.

Interview von Paul Katzenberger

Dann, 1942, kommt die Nachricht, Annes ältere Schwester soll abgeholt werden. Die Kinder sollen ihre Koffer packen, im Morgengrauen geht es los - der Vater hat zusammen mit Angestellten seiner Firma, die der Familie helfen werden, das Hinterhaus seiner Firma in der Prinsengracht heimlich vorbereitet. Und hier werden sich die Franks nun verstecken - draußen verbreitet sich das Gerücht, sie seien nach Belgien gezogen. Von nun an ist ihre ganze Welt nur Innenraum.

Das ist dann, für einen Teenager, alles sehr schwierig: Anne muss leise sein, keiner darf rausgehen, die Eltern nehmen noch ein Paar mit Sohn und einen Arzt in den beengten Räumen auf.

Wie sehr ihr das alles auf die Nerven geht, acht Menschen unter einem Dach, vertraut Anne dem Tagebuch an. Lea van Acken spielt das Mädchen hier, und Steinbichler hat sie ordentlich ausstaffiert. Meistens sieht sie ein bisschen verkleidet aus - Mädchen machen das: Modenschau vor dem Spiegel, das gehört dazu, den eigenen Körper zu entdecken.

Anne kann sich nicht herausputzen, um sich mit Freundinnen zu treffen, also macht sie es eben hier. Es gibt hier allerdings nur einen einzigen Jungen, dem das auffallen könnte: Peter, dem Sohn der van Daans, die auch ins Hinterhaus gezogen sind.

Steinbichler legt die Akzente auf genau jene Passagen im Tagebuch, die Anne Franks Vater Kopfzerbrechen bereiteten, als er es nach dem Krieg zur Veröffentlichung freigab - die erwachende Sexualität, am Ende der Geschichte ist Anne immerhin fünfzehn.

In den 25 Monaten benimmt sie sich auch ansonsten oft wie ein Backfisch - spritzt Gift gegen ihre Mutter, von der sie sich auf dem beengten Raum noch schlechter abnabeln kann, als Teenager es ohnehin können; und aller Klatsch und Tratsch, der sie beschäftigt, hat auch immer nur mit dem Hinterhaus zu tun.

Anne Frank hat das nicht aufgeschrieben, damit es jemand liest - sie hat dieses Tagebuch geführt, um damit die Freundin zu ersetzen, die sie im Versteck nicht haben konnte. Und so ist sie dann in diesem Film auch kein kleiner Engel, sondern genau die Sorte Nervensäge, die Teenager nun mal sind.

In ihr ist alles, was draußen wäre

Denen wird, wenn sie den Film sehen, wahrscheinlich nicht mal auffallen, wie selbstgerecht Anne gegenüber ihrem Vater ist, wie größenwahnsinnig sie sich selbst zur Erwachsenen erklärt, und wie unbeholfen und rücksichtlos ihre Abnabelungsversuche von den Eltern sind.

Das ist dann auch ganz schön an dem Film, den Hans Steinbichler aus dem Tagebuch gemacht hat: Wie man sieht, wie hier ganz normale Teenager-Entwicklungen und Nöte wie unter einem Brennglas sich verstärken, weil in Anne Frank alles ist, was draußen wäre. Aber um sie herum ist keinerlei Freiheit, Rückzugsmöglichkeit, kein Platz für Distanz. Nicht zu den Eltern, nicht zu den Mitbewohnern.

Einmal geht sie mit Peter zum Knutschen auf den Dachboden, und prompt kommt ihr Vater die Treppe herauf und tobt. Sie kann ja nicht auf eine Waldlichtung, um sich dort ihren ersten Kuss abzuholen.

Was Steinbichler da gelingt: Er schiebt die Legende beiseite und beschreibt Anne Frank als ganz normales Mädchen, und so sollte er es tun. Es mag schon sein, dass sie besonders begabt war und vielleicht eine große Schriftstellerin geworden wäre, hätte sie überlebt. Für die Frage aber, wie ungerecht ihr Schicksal war, spielt das keine Rolle.

D as Tagebuch der Anne Frank, Deutschland 2016 - Regie: Hans Steinbichler. Drehbuch: Fred Breinersdorfer. Kamera: Bella Halben. Mit: Lea van Acken, Ulrich Noethen, Martina Gedeck, Stella Kunkat, André Jung, Leonard Carow. Universal, 128 Minuten.

© SZ vom 03.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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