Disney: Streit mit Kinos:Alice zwischen den Stühlen

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Wer hat von meinem Kuchen gegessen? Kinos und Filmstudios streiten um den frühen DVD-Start von Tim Burtons Alice im Wunderland.

S. Vahabzadeh

Lewis Carrolls Alice sieht im Wunderland ein Zerrbild der Welt: Sie rennt einem weißen Kaninchen hinterher, trinkt aus einem Fläschchen, isst ein Stück Kuchen, wird erst winzig klein und dann riesengroß. Man kann es natürlich auch andersherum sehen: Der Raum kommt ihr erst riesengroß vor und dann sehr klein.

Deswegen bezeichnet man solche Wahrnehmungsstörungen als Alice-im-Wunderland-Syndrom. Bei der Schlacht, die sich Kinobetreiber und der Disney-Konzern in England gerade wegen der jüngsten "Alice im Wunderland"-Version liefern, verhält es sich so ähnlich. Abwechselnd meinen jedenfalls das Studio und die Kinobesitzer, sie hätten aus dem falschen Fläschchen getrunken, und sehen ihre Einnahmen aus dem zu erwartenden Erfolgsfilm dahinschmelzen.

Kampf gegen Disney

Tim Burtons Verfilmung, mit Johnny Depp als "Mad Hatter", dem Hutmacher, dem Alice auf der verrückten Teeparty begegnet, startet bei uns am kommenden Donnerstag und feiert vorab in dieser Woche in London Premiere. Nach langem öffentlichen Krach. Disney will nämlich die DVD zum Film schon drei Monate nach dem Kinostart in den Handel bringen. Üblich sind in England eine Frist von vier Monaten.

Mehrere britische Kinoketten, die fürchteten, ihre potentiellen Zuschauer würden dann doch eher abwarten, bis sie sich den Film auf dem heimischen Sofa anschauen können, haben vor zwei Wochen mit einem Boykott des Films gedroht. Odeon, die wichtigste Kinokette in England, hatte mit den zwei kleineren Konkurrenten Vue und Cineworld zum Kampf gegen Disney aufgerufen, wollte den Boykott auf Irland und Italien ausweiten. "Alice" sei nur der Anfang, die Studios wollten den Kinos die Exklusivrechte an Filmen in den ersten Monaten grundsätzlich streitig machen.

Doch Odeon stand bald allein da. Und ausgerechnet das Flaggschiff unter den Odeon-Kinos, jenes am Leicester Square in London, hatte Disney für die Gala-Premiere gebucht.

Bei Disney hat man sich bemüht, zu einer Einigung zu kommen. Bei Odeon gab man sich kriegerisch. Sie hätten sich bei Disney wohl nicht vorstellen können, was auf sie zukommt, tönte noch am Dienstag im Guardian ein Kinobesitzer. Inzwischen ist die Sache gelaufen. Einen Boykott des Films wird es nun nicht geben, die DVD nach drei Monaten aber schon.

Letztlich wird Disney bei den Verhandlungen am längeren Hebel gesessen haben. Von Burtons "Alice" wird erwartet, dass er zu den einträglichsten Filmen des Jahres wird, besonders in seiner Wahlheimat England. Odeon aber hätte auf ein wichtiges Geschäft verzichtet.

Effekte statt Materialschlachten

Es wird dieses Szenario nicht zum letzten Mal gegeben haben, auch wenn der Kampf zwischen Filmverleihern und Kinobetreibern nicht jedes Mal im Boykottaufruf münden wird. Die Studios versuchen seit Jahren, die Zeitspanne zwischen Kino-Auswertung und DVD-Start zu verkürzen. Die Kinos sind eben nur noch ein Ort von vielen, wo Filme gezeigt werden. Die Gewinne aus DVD-Auswertung und Fernsehausstrahlung sind fester Bestandteil jeder Kalkulation.

Es gibt gute Gründe, warum Disney ausgerechnet jetzt eine solche öffentliche Diskussion riskiert. Nach einer jahrelangen Boom-Phase des DVD-Markts, in der die Profite hier oft größer waren als in den Kinos, sind die Zahlen neuerdings rückläufig. In den USA sind die Erlöse aus Verleih und Verkauf von DVDs in 2009 um 11 Prozent gefallen. Das Geschäft mit Blu-ray und legalen Film-Downloads steigert sich zwar, im Vergleich zur DVD sind beide aber noch kleine Fische.

Die Produktionskostenexplosion aber ist nicht aufzuhalten. "Alice im Wunderland", eines der großen 3D-Spektakel für 2010, ist der mit Abstand teuerste Film, den Tim Burton je gedreht hat - die Kosten werden auf 250 Millionen Dollar geschätzt. Etats von mehr als 200 Millionen Dollar, vor wenigen Jahren noch die Ausnahme, gibt es nun immer häufiger, besonders dann, wenn Special Effects und Computertechnologie ins Spiel kommen, die ja, dachte man einmal, die Filme billiger machen würden als die Materialschlachten von früher.

Feldzug gegen den geheimnisvollen Feind

Nun muss man nicht allzu viel Mitleid haben mit den Filmstudios, immerhin steigen fast überall in der Welt die Kino-Besucherzahlen. Und natürlich geht es zum Teil auch darum, dass man sehr viel Geld für Werbung sparen kann, wenn man Filme überall auf der Welt gleichzeitig startet und die DVD möglichst schnell hinterher schiebt. Aber hier wird vor allem gegen den großen geheimnisvollen und unberechenbaren Feind zu Feld gezogen, den die Studios längst als Schuldigen für die rückläufigen DVD-Verkäufe ausgemacht haben - die Filmpiraten.

Disney will sich mit seinem frühen DVD-Start das Geschäft nicht von Raubkopierern verderben lassen. Je schneller die DVD auf dem Markt ist, desto kürzer ist die Phase, in der der Film nur illegal zu haben ist. Länger als acht Wochen läuft gewöhnlich kaum noch ein Film im Kino, bleiben bei sechs Monaten Frist bis zur DVD also vier Monate, während der die Piraten nicht mal die Konkurrenz des Originals fürchten müssen. Nur bei der Teegesellschaft im Wunderland ist es egal, ob man drei, vier oder neun Monate auf die DVD warten muss: Dort steht die Zeit still.

Im Video: Schauspieler Johnny Depp und Regisseur Tim Burton haben es wieder getan. Das Traumpaar des märchenhaft-gruseligen Kinovergnügens hat nach "Edward mit den Scherenhänden" und "Sweeney Todd" nun einen Kinderbuch-Klassiker verfilmt - "Alice im Wunderland".

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© SZ vom 26.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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