Die CDs der Woche - Popkolumne:Bittersüß

Obwohl es von Tobias Jesso noch keine Platte gibt, empfiehlt Superstar Adele schon seine Lieder - zu Recht. Techno-Surrealist Aphex Twin fasziniert, mit Menace Beach kann man auch ohne Nachdenken Spaß haben. Und dann wäre da noch die Sache mit den berühmten Egomanen.

Von Annett Scheffel

Tobias Jesso Jr.

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(Foto: N/A)

Beginnen wir mit einer dieser schönen Geschichten, die uns Schicksal, Zufall oder andere unsichtbare Kräfte immer mal wieder in die Hände spielen: Die Geschichte eines jungen Songwriters, die so zart und bittersüß schmeichelnd auf der Zunge zergeht, weil sie, bevor sie in erfolgreicheren Bahnen verlief, zunächst einmal eine Geschichte vom Scheitern war, und zwar mit allem drum und dran: Vor ein paar Jahren nämlich zog Tobias Jesso Jr. aus, um als Musiker Karriere zu machen. Von Vancouver nach Los Angeles, ins Zentrum der Träume. Dort lief es alles andere als gut, nichts als künstlerische Reinfälle, eine schmerzhafte Trennung, ein Autounfall. Und nach der Krebsdiagnose seiner Mutter zog er wieder zurück zu seinen Eltern. Seltsamerweise ging's dann aber doch weiter: Chet "JR" White, Produzent und Ex-Mitglied der Indie-Rockband Girls, gefiel ein Demotape des Kanadiers so gut, dass er ihn sofort zu sich ins Studio holte, wo die Beiden an den Pianoballaden werkelten, die mal an Lennon und McCartney erinnern, mal an Harry Nillson und seit vergangenem Jahr in schöner Regelmäßigkeit ins Netz purzeln. Im November hörten wir mit "Hollywood" schon seinen wunderbar sentimentalen Abgesang auf einen alten Traum und nun erschien "How Could You, Babe". Eine weitere Popballade, die vor allem deswegen so schön ist, so federleicht schwebend und zugleich melancholisch schwer, weil sie keine Angst davor hat, rührselig zu sein. Es sind altmodische Geschichtenlieder für Städte mit all den großen Träumen hinter den erleuchteten Fenstern. So bezaubernd, dass keine geringere als Superstar Adele jetzt ihren fast 22 Millionen Followern auf Twitter Jessos Single, als "fantastic" anempfahl. Was das für sein angekündigtes Debütalbum "Goon" bedeutet, kann man sich denken.

Aphex Twin

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(Foto: N/A)

Noch mehr Klaviermusik gab es in der vergangenen Woche von jemandem zu hören, von dem man es am allerwenigsten erwartet hatte: vom mythenumrankten Techno-Surrealisten Aphex Twin. Nach seiner Rückkehr mit "Syro", seinem ersten Album nach 13 Jahren, scheint Richard D. James sein musikalisches Archiv noch ein bisschen weiter ausräumen zu wollen. Der Titel der neuen EP, "Computer Controlled Acoustic Instruments Pt 2" (Warp), ist dabei ebenso bezeichnend wie irreführend: Er passt ganz gut zu den elektronisch verzerrten, düsteren Pianoetüden, zu den schrägen, gezupften Streichern, jazzartigen Instrumentals und steif polternden Drum Beats. Andererseits ist er Teil des großen Rätselratens, der großen Gehirnwäsche, die keiner so gut beherrscht wie dieser Elektro-Klabautermann. Denn natürlich werden wir nicht nur vergeblich nach einem erklärenden "Part 1" suchen, sondern auch nie erfahren, ob die Töne akustisch sind oder nicht, ob James die Drums selbst bespielt oder wirklich die rätselhaften, elektromechanischen Percussion Robots des belgischen Tüftlers Godfried-Willem Raes am Werk sind, wie die Tracktitel kryptisch andeuten. Der Meister verrät seine Tricks nicht. Das Beste daran: Ist das Gehirn von den vielen Fragen und Gedankenschleifen erst mal lahmgelegt, kann man sich von diesen spitzfindigen Geklimper und angenehm verschrobenen Ambient-Experimenten wunderbar einwickeln lassen.

Menace Beach

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(Foto: N/A)

Umso schöner ist es dann, mit "Rat World" (Memphis Industries), dem Debütalbum der Indie-Rockband Menace Beach, in dieser Woche auch neue Musik zu haben, mit der man ganz ohne Nachzudenken Spaß haben kann. Was die Band aus der Arbeiterstadt Leeds da zusammengepuzzelt hat, ist rumpeliger Britrock-Pastiche mit Fuzz-Gitarren und viel Sinn für Melodien - und für sehr, sehr gute Laune.

Kanye West und Paul McCartney

Und dann wäre da noch die Sache mit Kanye West und Paul McCartney. Nachdem Anfang des Jahres das gemeinsame Stück "Only One" erschienen ist, überraschten die beiden nun mit einer weiteren Zusammenarbeit: "FourFiveSeconds". Prompt hieß es, der Ex-Beatle würde auch Kanyes neues Album produzieren. Das wurde mittlerweile dementiert. Ein kleines, banges Gefühl bleibt trotzdem. Denn es ist natürlich schön und gut, einmal zu hören, was bei einem Aufeinandertreffen zweier Pop-Giganten herauskommt. Aber dass der gesamte "Yeezus"-Nachfolger so klingt wie die Single mit McCartney - das will man dann doch nicht hoffen. Für so ein Album braucht es - bei allem Respekt, Sir McCartney - mehr als flauschige Pianotupfer und ein paar süße Melodien. Es braucht Kanyes blanken Größenwahn, es braucht Verrücktes, Abwegiges und Himmelhohes. Mit anderen Worten: Den Job erledigt ein Egomane besser allein.

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