"Der Mann, der seine Haut verkaufte" im Kino:Tausche Körper gegen Freiheit

Lesezeit: 3 min

Ausgestellt wie ein Gemälde: Yahya Mahayni in "Der Mann, der seine Haut verkaufte". (Foto: dpa)

Ein Syrer lässt sich zum Kunstwerk tätowieren, um ein Visum zu bekommen: die böse Kinosatire "Der Mann, der seine Haut verkaufte".

Von Annett Scheffel

Dieses Kunstwerk hat Beine. Im seidenen Morgenmantel läuft es durchs Museum. Vorbei an den Ölgemälden der alten Meister. Schließlich nimmt es in seinem eigenen Ausstellungsraum Platz. Dort wendet es den Besuchern den Rücken zu, der eine lebendige Leinwand ist. Das Kunstwerk ist ein Mensch, der syrische Geflüchtete Sam Ali, oder genauer: seine Haut. Auf ihr trägt er das tätowierte Bild eines gefeierten Konzeptkünstlers. Spannender als die künstlerischen sind natürlich die politischen Hintergründe. Denn der junge Mann hat in einem wahrhaft mephistophelischen Tauschgeschäft seinen Körper für die Freiheit hergegeben. Obwohl Freiheit hier das falsche Wort ist, wie sich schnell herausstellt.

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Die Kunstwelt ist für Realsatire immer gut gewesen. Für "Der Mann, der seine Haut verkaufte" hat sich die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania von einer Aktion des belgischen Konzeptkünstlers Wim Delvoye inspirieren lassen. 2006 tätowierte er den Rücken des Schweizers Tim Steiner, der mit ihm durch die Galerien reiste und an Einnahmen beteiligt wurde - alles vertraglich geregelt. Das Kunstwert wurde schließlich für einen Kaufpreis von 150 000 Euro an einen privaten Sammler verkauft. Für ihren zweiten Kinofilm hat Ben Hania diese Geschichte noch weiter zugespitzt. Im vergangenen Jahr gab es dafür eine Oscarnominierung als "Bester internationaler Film".

Ein Pickel auf dem Rücken ist ganz schlecht, so kann man das lebende Kunstwerk nicht ausstellen

Wir begegnen der Hauptfigur kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs. Um dem Gefängnis zu entgehen, muss der junge Syrer seine Geliebte Abeer zurücklassen und nach Beirut fliehen, wo er jahrelang feststeckt und sich mit Billigjobs und kostenlosen Häppchen auf Vernissagen durchschlägt. Dort macht ihm der Künstler Jeffrey Godefroy schließlich ein Angebot: Wenn er sich von ihm ein Schengen-Visum auf den Rücken tätowieren lässt, bekommt er im Gegenzug ein tatsächliches Visum für die EU und darf nach Brüssel reisen, wo seine verlorene Liebe mittlerweile wohnt. Sam willigt ein. Und wird so zu einem Kunstobjekt, ein Werk in einer Ausstellung. "Waren zirkulieren in dieser Welt leichter als Menschen", bemerkt Godefroy zynisch.

Wie weit darf die Kunst gehen? Wie weit ein Mensch in Not? Und wem gehört ein Mensch, wenn die Haut auf seinem Rücken zum Gegenstand des Kunstmarkts wird? Die Filmemacherin hat aus den verschwimmenden Grenzen zwischen Kunst- und Menschenhandel vor allem eine Parabel auf die Ignoranz der westlichen Welt gemacht. Ihre Satire ist unterhaltsam, bildgewaltig und provokativ. Was wohl auch daran liegen mag, dass die außereuropäische Blickrichtung der Regisseurin einen Bruch mit der Opferperspektive erlaubt. Stattdessen ist der von Yahya Mahayni gespielte Geflüchtete eine herrlich widerborstige, ambivalente und nicht einmal durchgehend sympathische Hauptfigur.

"Wegen Restaurierung geschlossen": Auch und gerade menschliche Kunstwerke sind gar nicht so leicht auszustellen, zeigt der Film. (Foto: dpa)

Einmal in Europa angekommen muss Sam die Perversionen des Kunstbetriebes ertragen. Alle wollen seine Haut sehen. Auf seinem Rücken werden buchstäblich die ganz großen Debatten ausgetragen. Aber niemand blickt ihm ins Gesicht. Überall wird er mit großer spätkolonialistischer Geste empfangen, aber nie auf Augenhöhe betrachtet. Diese entlarvende Künstlichkeit hat der Film mit Ruben Östlunds Satire "The Square" von 2017 gemein. Trotz viel Witz tut es beinahe weh, dabei zuzugucken, weil man sich auf beschämende Weise an die auf den Völkerschauen ausgestellten Menschen aus anderen Zeiten erinnert fühlt. Sam ist "das Kunstwerk", "das Ausstellungsstück", das gegen Schäden versichert, auf Auktionen versteigert und von Godefroys aalglatter Assistentin gemanagt werden muss (Monica Bellucci in einer bravourösen Nebenrolle mit bizarrer Perücke). Kaouther Ben Hania und ihr Kameramann Christopher Aoun zeigen die Grotesken dieser Welt in präzise komponierten Bildern, die in ihren satten Farben und Texturen immer wieder auch eine malerische Qualität haben.

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"Der Mann, der seine Haut verkaufte" ist ein Fest der Widersprüchlichkeiten. Nicht alle Pointen gehen auf. Dafür hat sich Ben Hania ein zu wildes Gemenge aus Themen vorgenommen: der Krieg in Syrien, die Liebesgeschichte, die Kunstwelt, die europäische Migrationspolitik. Aber gerade in der Überspitzung entwickelt der Film einen einzigartigen Sog. So absurd die Akte der Entmenschlichung auch seien mögen, die Realität bleibt immer in Sichtweite. Irgendwie könnte das alles in Teilen auch wahr sein. Trotzdem verzichtet Ben Hania auf den moralischen Zeigefinger, zugunsten des Humors. In einer der besten Szenen wird der menschliche Körper zum konservatorischen Problem: Ein hässlicher Pickel auf Sams tätowierter Haut wird von einem Arzt leinwandfüllend ausgedrückt. Im Museum entschuldigt derweil ein Schild seine Abwesenheit: "Wegen Restaurierung geschlossen".

The Man Who Sold His Skin , Tunesien/ Frankreich/ Belgien/ Deutschland/ Schweden 2020 - Regie und Buch: Kaouther Ben Hania. Kamera: Christopher Aoun. Schnitt: Marie-Helene Dozo. Mit: Yahya Mahayni, Koen De Bouw, Monica Bellucci, Dea Liane. Eksystent, 108 Minuten. Kinostart: 24. Februar 2022.

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