Debattenkultur:Die Trump-Müdigkeit ist ein Dekadenzphänomen

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Verschiedene Magazine und Zeitungen zeigen Bilder des Präsidentschaftskandidaten Donald Trump auf ihren Titeln. (Foto: dpa)

Es häufen sich die Wortmeldungen derer, die genug haben von Anti-Trump-Texten und den dauernden Einlassungen zu Europas Populisten. Geht's noch?

Von Jens-Christian Rabe

Wenn einschneidende Veränderungen eher Prozesse als Ereignisse sind; wenn politische Situationen oder bedeutende gesellschaftliche Entwicklungen keine klaren zeitlichen Grenzen haben, sondern sich hinziehen, über Tage, Wochen, Monate, unendlich zäh und redundant und doch zu dominant, um bequem ignoriert werden zu können; wenn also Dinge passieren, die dem Regime der zeitgenössischen Aufmerksamkeitsökonomie auf die Dauer einfach nicht gehorchen wollen - dann drängelt sich der Überdruss zwischen die Aufregung und das Vergessen.

Dann begegnet man auf seinen Streifzügen durch die sozialen Medien, beim nächsten Essen mit Freunden oder gleich auf offener Straße ständig irgendwem, der mit großer Geste beteuert, nicht einmal mehr mit kleinen Münzen im Spiel bleiben zu wollen. Der nicht mehr mithören und mitlesen und mitreden will, denn - "Ach je!" - jetzt sei es genug. Es sei doch längst alles gesagt, und zwar von jedem. Zweimal. Mindestens.

Humor
:Sad. Super sad!

Medien, Politiker, eigentlich wir alle imitieren Donald Trumps Sprache immer häufiger. Nimmt man dem Populismus damit das Bedrohliche? Oder verharmlost man ihn?

Analyse von Jakob Biazza

Den prototypischen Post dieses Phänomens hat kürzlich der Kolumnist und offizielle Stellvertreter des von den unaufhörlichen Zumutungen der Gegenwart ermatteten Jedermanns im Magazin der Wochenzeitung Die Zeit, Harald Martenstein, geschrieben: "Immer wenn ich einen Anti-Trump-Text sehe, bekomme ich Kopfschmerzen. Die ersten 50, 60 dieser Texte habe ich mit Interesse gelesen, die nächsten 30, 40 zumindest überflogen. Dann war ich fertig. Es wiederholt sich ständig. Es ist wie diese Wasserfolter, wenn dir dauernd ein Tropfen auf den Kopf fällt, da wirst du wahnsinnig."

Die Tatsache, dass der Autor keinen blassen Schimmer davon haben dürfte, wie sich im Vergleich zum flüchtigen Scannen der Nachrichten eine Wasserfolter wirklich anfühlt, soll hier mit Rücksicht auf die Kopfschmerzen der übrigen Welt keine Rolle spielen. Über den absurden rhetorischen Überschuss, den der Überdruss längst nicht nur bei ihm auslöst, muss aber doch geredet werden.

Denn neben der Wahl eines Reality-TV-Königs wie Donald Trump zum mächtigsten Mann der Welt und neben den Triumphen, die auch in Europa den Populisten geschenkt werden, ist genau dieser Überdruss ein Dekadenz-Phänomen ersten Ranges. Und zwar von all jenen, die es sich in ihrem Wohlstands-Ennui offenbar so gemütlich gemacht haben, dass sie die Lage der Welt immer erst einmal danach beurteilen, ob es ein aktuelles Thema, über das sie schon vollständig Bescheid zu wissen meinen, unverschämterweise weiter wagt, irgendwie zu oft den Nahbereich ihrer Wahrnehmung zu touchieren. Geht's eigentlich noch? Könnte bitte die Unart enden, dass man seine Aufmerksamkeit und Interessen nach dem Panini-Prinzip organisiert: Den Trump-Aufkleber habe ich schon. Sogar schon dreimal zum Tauschen. - Danke.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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