Neue Berliner Abgeordnetenbüros:Mehr als nur bunt

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Schöner arbeiten im "Luisenblock West": Das neue Bürogebäude für den Deutschen XXL-Bundestag überrascht mit farbigen Fassadenpaneelen. (Foto: Melanie Schwiewagner)

Der größte Bundestag aller Zeiten bekommt neue Büros: Der von den Architekten Sauerbruch Hutton entworfenen "Luisenblock West" bekennt Farbe.

Von Gerhard Matzig

Der Deutsche Bundestag leidet an Fettsucht. 736 Abgeordnete gibt es in diesem größten frei gewählten Parlament der Welt. Was unter anderem dazu führt, dass 736 Abgeordnete 736 Büros in Berlin-Mitte beanspruchen. Das bedeutet, abgesehen von Tausenden Tolomeo-Tischleuchten, und mit Blick auf das 18 Quadratmeter große Standardbüro im Jakob-Kaiser-Haus: 736 mal 18 mal 3, denn jedem Abgeordneten werden mindestens drei Räume zur Verfügung gestellt - das ergibt knapp 40 000 Quadratmeter. Putin kommt in seinem angeblichen Palast am Schwarzen Meer mit weniger als der Hälfte aus. Okay, die Krim kommt noch hinzu. Der von einer Ampel domestizierte Bundestag, das ist ein löblicher Beitrag zum Weltfrieden, verzichtet dagegen auf sonstige Annexionen.

Schon deshalb ist die Nachricht vom soeben vollendeten Neubau "Luisenblock West" eine gute Nachricht. Endlich müssen die Abgeordneten des adipösen Bundestags nicht mehr auf dunklen Fluren zwischen Kopierern und Umzugskisten ihr diätisches Dasein fristen. Zu diesem Bau, entworfen vom Berliner Büro Sauerbruch Hutton Architekten, lässt sich aber auch sonst positiv Überraschendes anmerken.

Zum Beispiel wurden die Kosten von 70 Millionen Euro eingehalten, was eine unerhörte Anomalie in der Berliner Bautradition markiert. Der Termin der Fertigstellung nach nur 20 Monaten Planungs- und Bauzeit, jetzt wird es endgültig magisch, wurde sogar um vier Wochen unterschritten. Vier Wochen weniger statt Minimum vier Jahre mehr - wie es eigentlich Sitte ist in Berlin.

Dass die Bevölkerung ab und zu werktätige Abgeordnete zu Gesicht bekommt, ist erwünscht

Das Ende Dezember übergebene, siebengeschossig neben dem "Band des Bundes" aufragende und klimafreundlich aus Holzmodulen vorgefertigte Gebäude bildet auf einem H-Grundriss zwei Höfe aus. Eine Glaswand bietet einerseits Schallschutz und andererseits zur S-Bahn hin eine Idee von Transparenz. Dass die Bevölkerung ab und zu werktätige Abgeordnete zu Gesicht bekommt, die man im Plenarsaal oft vermisst, ist erwünscht.

Übrigens ist man angesichts der Respektlosigkeit, mit der die Akteure des Politischen derzeit beschossen werden, froh um jede Frau und jeden Mann, die sich der Demokratie zur Verfügung stellen. Sie haben gute Arbeitsplätze verdient - auch wenn es vielleicht nicht so viele sein müssten, wie es Sitzplätze in der Turn- und Festhalle von Ehningen bei Böblingen gibt. Nämlich exakt 736. Wenn der Bundestag bis zur nächsten Wahl nicht endlich so entschlossen abspeckt wie Reiner Calmund, wird Ehningen bitte Bundeshauptstadt.

Man könnte hier noch weiter über Energieeffizienz, Recyclingfähigkeit und die Segnungen temporärer, demontierbarer Architektur sprechen. Schließlich dient der Bau, in seriell organisierter Bauweise, also gefertigt wie ein Auto in der Fabrik, der Bundestagsverwaltung als Provisorium. Für 15 Jahre. Doch was einen hier wirklich interessiert, ist das auf den ersten Blick Selbstverständlichste: Der Bau ist farbig gestaltet.

Matthias Sauerbruch sagt: "Sowohl das Regieren als auch der Kampf gegen den Klimawandel sind ernste Angelegenheiten, umso wichtiger ist es, für diese Arbeit Orte anzubieten, die uns an die Vielfalt und die Schönheit des Lebens erinnern." Dass das Ernsthafte auch leicht und das Gewichtige sogar elegant aussehen kann: Das ist auch der farbigen Fassade aus recyceltem Aluminiumblech als Witterungsschutz für das Holz zu danken.

Einerseits ist das für ein Abgeordnetenhaus logisch, denn Farbe gehört als Chiffre zum politischen Geschäft. Möglichst alle Abgeordneten sollen sich wiederfinden können. (Offen gesagt: Sehr viel leuchtendes Blau, politisch womöglich ein Widerspruch in sich, ist im Farbballett an der Spree nicht zu entdecken. Schwarz ist auch eher in der Opposition als im Farbschema zu finden.) Dass der neue Bau von Sauerbruch Hutton aber ein Beitrag zur Farbarchitektur ist: Das ist bemerkenswert - auch wenn das klingt, als würde man als Neuigkeit verkaufen, dass BMW Autos baut oder dass Karl Lauterbach im Fernsehen ist.

Zwischen Farbigkeit als Ausdruck kluger Gestaltung und beliebiger Buntheit liegen Welten

Trotzdem ist hier endlich mal klarzustellen, dass Farbigkeit und Buntheit nicht dasselbe sind. Dazwischen liegen Welten. Das eine ist kluge Gestaltung, das andere ist ein wahlloser Griff in den Malkasten. Insofern ist der Bau zur Ampel-Gegenwart auch ein Anlass, um Sauerbruch Hutton als Miterfinder der farbigen Moderne zu würdigen. Genau jetzt, in einer Zeit, da die zunehmende Buntheit in Architektur und Städtebau die Farb-Fraktion schon wieder in die Verzweiflung treibt. Denn das eine, das zunehmend Bunte, ist ein Ausweis von oft schreiend lauter Beliebigkeit. Das andere, das immer noch selten Farbige, ist dagegen ein Beitrag zur Baukultur.

Einen solchen findet man auch etwa in Münchner Museumsviertel. Wenn man entlang der betongrauen Fassade der Pinakothek der Moderne nach Norden schlendert, steht man plötzlich vor dem Museum Brandhorst mit seiner Fassade aus farbintensiv leuchtenden Keramikstäben. Selbst das Grauen nasskalter Dezembertage findet hier sein verblüffendes Ende.

Optisches Highlight: das mit dem internationalen Preis für nachhaltige Architektur ausgezeichnete Museum Brandhorst. (Foto: imago stock&people)

Es ist nicht gerade so, dass nun die Sonne aufgeht. Auch befindet man sich nicht am Ende des Regenbogens. Und doch steht man mit einem Mal vor einer Architektur, die einen fast in den Arm nimmt. Die finstere Gedanken an Pandemie und Gesellschaftslage davonpustet, die einem ein Lächeln schenkt, dazu Heiterkeit und Schönheit. Und Farbe. Eine Menge Farbe. Schöne Farben, intensive Farben. Ein Grün, ein Violett, ein Gelb, ein Orange, ein Rot, ein Blau. Im neuen Eberhofer-Krimi kann sich Susi fliesentechnisch nicht zwischen Super White und Crystal White entscheiden. Man würde ihr gern den Weg - statt zum Baumarkt- zum Museum Brandhorst weisen.

Bauen ist nicht allein eine Form-, sondern auch eine Farbkunst

Entworfen wurde auch dieses Farbreich von Sauerbruch Hutton. Vor Jahren. Das sind Architekten, die dem Sinnlichkeits-Entzugskoma der Moderne immer wieder renaissancehafte und gleichzeitig zeitgemäße Momente der Reanimation verschaffen. Es geht um die Erinnerung daran, dass das Bauen nicht allein eine Formkunst, sondern auch eine Farbkunst ist; dass die Welt, wenn sie glückt im Architektonischen und Stadträumlichen, immer auch eine farbige, ja anregend schöne und sinnlich begreifbare Welt ist. Diese Erkenntnis in einer Zeit, die immer mehr zur farbtoten Banalität einerseits oder auch zur delirierend missverstandenen, grellen Buntheit andererseits neigt, ist dem Büro Sauerbruch Hutton zu verdanken. Farbe ist für deren Architektur keine Option, sondern Wesenskern.

Farbe ist für sie keine Option, sondern Wesenskern: die Architekten Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch. (Foto: Robert Haas)

In Venedig, aber nicht dort, wo die Altstadt auf Touristen aus Schiffsbäuchen wartet, sondern dort, wo das Personal des Lagunen-Bühnenstücks Venedig wirklich wohnt, in Mestre auf dem Festland, ist noch bis Februar eine Ausstellung des Büros Sauerbruch Hutton mit Arbeiten aus 30 Jahren zu sehen. Auch das Museumsquartier in Mestre selbst, M 9, wurde vom Büro als vitalisierender, farbintensiver Herzschrittmacher geplant.

Die Schau "draw love build" zeigt die Hauptthemen, die die in Jahrzehnten geschaffenen Architekturen und Stadträume miteinander verbindet. Das sind zum Beispiel die postindustrielle Stadt, die schon früh pionierhaft erkannte Bedeutung von Nachhaltigkeit und Energieeffizienz - aber vor allem auch: der Wunsch, Häuser zu schaffen, die auch deshalb nachhaltig sind, weil man sie, wie Louisa Hutton in Mestre sagt, "lieben kann".

Dass das Wort "Liebe" in einer Architekturausstellung der Gegenwart auftaucht, ist übrigens so selten wie Bauprojekte in Berlin, die nicht aus dem Ruder laufen.

Dass die Moderne seit Bauhaus und Le Corbusier im Gewand der überstrapazierten Farbe Weiß daherkommt, ist ein krasses Missverständnis. Die Bauhaus-Meister waren zugleich solche der Farbe. Auch für die Ahnherren der Moderne, von Sullivan über Wright bis Le Corbusier, war der Einsatz von Farbe selbstverständlich. Genauso wie in der Antike, deren Tempel, wie man inzwischen weiß, von farbintensiver, prachtvoller Gestaltung zeugten.

Die Nichtfarbe Weiß wurde im Stadtbild der Moderne zum Symbol für alles, was "neu" sein wollte

Farbstoffe, in der frühen Baugeschichte analog zur Textilgeschichte teuer und daher auch später wie etwa das "Schönbrunner Gelb" der Repräsentation vorbehalten, wurden seit der Industrialisierung zugänglicher. Doch in den Stadtbildern der Moderne schlägt sich das kaum nieder. Nicht nur der formal überquellende Historismus, auch die Farbigkeit der Vergangenheit sollte, wie Tom Wolfe rückblickend über das Bauhaus moserte, einer Ideologie des "Hellen & Grellen & Reinen & Feinen" weichen. Eine Nichtfarbe, Weiß, wurde symbolisch für alles, was "neu" sein wollte.

Zudem war es billiger, auf Farbkonzepte zu verzichten, während man den Verzicht ironischerweise als Weniger-ist-mehr-Dogma wieder zu Mehrwert machen konnte. Die Häuser wurden auf diese Weise immer ärmlicher an Gestaltungsambition und, aussehend nun wie kartongraue Schuhschachteln, immer angesagter. Also teurer. Das Nichts wurde gesellschaftsfähig.

Als Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch vor 30 Jahren ihr bald internationales Werk begründeten, war von Anfang an die Rückeroberung der Farbigkeit von Bedeutung. Dabei bedienen sie sich nicht aus dem Malkasten der Möglichkeiten, die von bunten Beliebigkeiten kaum zu unterscheiden sind, sondern sie leiten ihre Farbkonzepte ab vom Ort und der je unterschiedlichen Bedeutung der Räume. Farbe ist in ihrem Denken mit Aufgabe, Kontext, Form und Konstruktion verbunden. Ihnen geht es um eine ganzheitliche Grammatik, die auf Farbe und Form als Einheit zielt. Nicht um regellos Buntmodisches.

Nach der Raufasertapeten-Ära, da Farbe längst wieder verwendet wird, gelegentlich so ausgehungert wirkend wie nach Jahren einer erbarmungslosen Farb-Diät, sind auch immer mehr Farbpeinlichkeiten zum Fremdschämen geeignet. Buntheit statt Farbigkeit, Beliebiges statt Konzeptionelles, Modisches statt Bleibendes: Bald wird man vor Verzweiflung wieder zur Raufasertapete greifen. Es ist also gut, wenn man anlässlich der neuen Abgeordnetenbüros in Berlin daran erinnert wird, dass Farbe mit Verantwortung und Können einhergehen sollte. Nicht nur im politischen, auch im architektonischen Raum.

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