Favoriten der Woche:Sommerfreuden und -leiden

Lesezeit: 4 min

Phlegma auf zwei Beinen: Tina aus "Bob's Burgers - Der Film". (Foto: Disney+)

Ein Zeichentrickfilm zum Schockverlieben, ein Comic aus dem Freibad, eine Klavier-CD-Box der Luxusklasse und eine Säusel-Offensive bei den Salzburger Festspielen. Dazu ein Kriegstagebuch, aber ein sehr humanistisches.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Gelegenheit zum Schockverlieben: "Bob's Burgers - Der Film"

Wer die herrlich unbeholfene Familie Belcher und ihr Burger-Büdchen nach zwölf Staffeln der Zeichentrickserie noch nicht kennt, hat mit "Bob's Burgers - Der Film" (auf Disney Plus) jetzt Gelegenheit, sich schockzuverlieben. Allen voran in die zwölfjährige Tina, ein dick bebrilltes Phlegma auf zwei Beinen, das Pferde und Zombies schon immer genauso anschmachtet wie den Sohn der benachbarten Pizzakonkurrenz. Dass der nun in ihren Tagträumen anfängt, philosophische Fragen zu stellen, obwohl sie doch nur mit ihm in den Sonnenuntergang reiten will, passt ihr gar nicht. Bis sie eine Lösung für das Dilemma hat, schleppt sie sich mit ihrem Standardseufzer in Richtung Sommerferien. Wer kann es ihr verdenken, Wunsch und Wirklichkeit haben ja oft nichts miteinander zu tun und das macht ihr kehliges Ächzen universell einsetzbar: Uuuhh! Sofia Glasl

Ästhetische Forscherarbeit: Der Pianist Vladimir Ashkenazy

Box-Set mit 89 CDs: Die limitierte Edition versammelt die kompletten Solo-Klavieraufnahmen von Vladimir Ashkenazy. (Foto: Decca)

Vor knapp zehn Jahren erschien bei Decca schon einmal eine CD-Edition des Pianisten Vladimir Ashkenazy. Eine kleinere, die aber auch den Dirigenten berücksichtigte. In der aktuellen Edition, die nun zu seinem 85. Geburtstag erscheint, geht es dagegen ausschließlich um den Pianisten Ashkenazy, der zu den bekanntesten Musikern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört. Auf 89 CDs kann man nun im Detail nachhören, wie er die ganze Bandbreite des deutsch-russischen Repertoires beherrscht, von Bach bis Skrjabin, von Beethoven bis Schostakowitsch. Selbst wenn er manchmal etwas freundlich-pauschalisierend wirkt, wie etwa in Franz Schuberts B-Dur-Sonate, so musiziert er doch nie oberflächlich, unbeteiligt, sondern führt den Hörer sanft heran an das Werk, um es gleichsam gemeinsam zu erkunden. Diese ästhetische Forscherarbeit nimmt er dem Hörer nicht ab, der muss schon mit dabei sein, wenn es darum geht, die Musik quasi aus dem Nichts wirken zu lassen, mithin auch erzählen zu lassen. Ashkenazy ist dabei Freund und kundiger Begleiter, aber keiner, der emotional bevormundet.

Deshalb ist sein Spiel selten extrovertiert und niemals übersteigert. Selbst in Frédéric Chopins Études op.10, die immer dazu verführen, etwas zu viel zu geben an Ausdruck und Effekt, sodass die Komposition oft gerade deshalb musikalisch unterkomplex wirkt, behält Ashkenazy die Nerven und lässt es perlen, als wäre es das Allernatürlichste. Andere zeigen hier den feurigen Virtuosen, Ashkenazy eher den warmherzigen Gentleman. Das ist nicht aus der Not geboren, schlichtweg kein Extremvirtuose zu sein, sondern das ist auch musikalisches Grundverständnis. Das kann im Einzelfall dazu führen, dass es etwas herunterbuchstabiert klingt, disparat, ungebunden. Wie etwa in Robert Schumanns Fantasiestücken, wo sich Ashkenazy trocken zurückhält. Aber es gibt Klaviermusik, da passt seine Auffassung, zum Beispiel für die Sonaten von Wolfgang Amadé Mozart, oder Schuberts G-Dur-Sonate, die noch seltener gespielt wird als die in B-Dur. Und das ist auch gut so. Allein die eröffnenden, lang gehaltenen Liegeklänge verlangen Nerven und ein musikalisches Gespür für großräumige Spannung, wie sie nicht alle Musiker vorweisen. Helmut Mauró

Der demokratischste Ort der Stadt: Comic "Freibad"

Vorbild für Paulina Stulins Comic "Freibad" ist Doris Dörries gleichnamiger Film. Der kommt aber erst im Herbst ins Kino. (Foto: Jaja Verlag)

Wer ins Freibad geht, muss das Wasser teilen, und als Ausweis von Klasse und Besitz taugen Badehose oder Bikini kaum. Das Freibad ist einer der demokratischsten Orte der Stadt und ein wunderbarer Schauplatz für eine Komödie. Das hat auch die Regisseurin Doris Dörrie so gesehen, deren Film "Freibad" dort spielt. Der ist die Vorlage für Paulina Stulins gleichnamigen Comic (im Jaja-Verlag): Im Buch wie im Film müssen sich in einem Frauenfreibad Besucherinnen, die sich oben ohne sonnen, mit vollverschleierten Frauen im Burkini arrangieren. Das geht nicht ohne sehr lustige Friktionen und trifft den Nerv unserer woken Zeit. Und weil Paulina Stulin eine genaue Beobachterin von Alltagsdingen und eine ebenso tolle Zeichnerin ist ("Bei mir zuhause"), lohnte sich der Comic auch dann noch, wenn man den Film schon gesehen hätte. Der kommt allerdings erst am Ende der Freibadsaison Anfang September in die Kinos, während das Buch bereits erschienen ist. Es passt perfekt in die Hitzewelle - ab zum Wasser also, dem auf Papier. Martina Knoben

Ansage vom Chef: Salzburger Festspiele

Markus Hinterhäuser ist seit 2016 Intendant der Salzburger Festspiele. (Foto: Barbara Gindl/dpa)

Durchsagen vor Beginn der Vorstellung sind ja immer so eine Sache. Da freut man sich auf die Kunst und ihre Freiheit, und dann hat doch das Behördliche und Vorschriftsgemäße das erste Wort: Handys aus! Masken auf! Fotografieren verboten! Natürlich wird das freundlich formuliert. Viele greifen da auf ordnungs- und ohrgerechte Standardansagen zurück, mit einer normiert klingenden Alexa- oder Navi-Stimme. Umso verdutzter, ja: bezirzter horcht man nun bei den Salzburger Festspielen auf - und hin. Eine leise, weiche Männerstimme gebietet, nein: empfiehlt das Tragen einer FFP2-Maske und untersagt "jegliche Bild- und Tonaufnahmen". Auch bittet sie darum, uns "zu versichern", dass unsere "Mobiltelefone ausgeschaltet sind". Aber wie sie das tut, ist so samtig, sanft und zugewandt, so lächelnd fast und einladend, dass sich alle Poren öffnen: für das Ge- und Verbotene wie für das Gemeinschaftserlebnis Kunst. Wo haben die Salzburger bloß diesen Smooth Operator her? Keine geheime Sache: Der hier spricht, ist der Festspielintendant Markus Hinterhäuser. Ein Musiker und Mann der feinen Töne. Christine Dössel

Das Kriegstagebuch von Hanns Cibulka

"Nachtwache": Hanns Cibulka schrieb sein Tagebuch 1943 auf Sizilien, wo er Nachrichtensoldat war. (Foto: Matthes&Seitz)

Hanns Cibulka (1920 bis 2004) war einer der großen Lyriker der DDR und ein Diarist von Ernst Jünger'schem Format. Die Erlebnisse des Tages wurden ihm zu Gedanken- und Beschreibungsbüchern, die er nachträglich sorgfältig stilisierte, nicht weniger dicht als Lyrik, am besten langsam zu lesen. Sein 1989 kurz vor dem Ende der DDR in letzter Fassung erschienenes Tagebuch vom Zweiten Weltkrieg im Sommer 1943 auf Sizilien, den Cibulka als Nachrichtensoldat miterlebte, kommt jetzt erst zu einem gesamtdeutschen Publikum, in der schönen Reihe der "Naturkunden" bei Matthes & Seitz ("Nachtwache. Tagebuch aus dem Kriege. Sizilien 1943"). Ein tiefgründiges Nachwort von Sebastian Kleinschmidt begleitet es. Beschreibungen der hochsommerlichen sizilianischen Landschaft, des vor allem aus gespanntem Warten bestehenden Soldatenalltags in einem Waldversteck unterhalb des Ätna, während oben am Himmel silbrige Flugzeuge Luftschlachten schlagen, Lektüren von Empedokles, Goethe und - ja - von Ernst Jüngers "Auf den Marmorklippen" erzeugen eine Atmosphäre von gespannter Reglosigkeit ähnlich der in Dino Buzzatis "Tatarenwüste", nur menschlicher.

Die Humanität des Textes entwickelt sich in der Spannung von Ruhe und Gefahr, im Geheimen eines Krieg und Diktatur kühl analysierenden Bewusstseins, in der Überwältigung durch die Schönheit der Landschaft. Erstaunlich ist das Buch auch als historisches Zeugnis seiner Entstehung, denn die Zitate von Ernst Jünger ließen sich umstandslos auf die untergehende DDR beziehen. Dabei fehlt alles ästhetische Kokettieren mit dem Schrecken, das Jüngers Schreiben so zweideutig macht. Cibulkas Schilderungen von Offizieren und Kriegshandlungen kommen ohne Kumpanei aus, ohne schnarrenden Ton. Seine Liebe zu den Menschen des vom Krieg überrollten Landes ist unverbrüchlich. Am Ende, im Juli 1943, zieht das Tempo an, die Riesenflotten von Amerikanern und Briten landen im Süden, in Rom stürzt Mussolini, die Deutschen müssen fliehen, die originalen Wehrmachtsberichte, die das Tagebuch regelmäßig einfügt, werden panisch. Der Tagebuchautor erlebt die Tage der Niederlage im Fieber einer Malaria-Infektion. Hanns Cibulka überlebte in britischer Gefangenschaft. Gustav Seibt

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSkandalsong "Layla"
:Jan Pillemann Layla

Das Stimmungslied ist eine der letzten Bastionen deutschen Handwerks. Jetzt ist es in Gefahr. Schuld trägt mal wieder die Junge Union.

Von Micky Beisenherz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: