"Blue Jasmine" im Kino:Aberwitziger Selbstbetrug

Lesezeit: 5 Min.

Cate Blanchett liefert in "Blue Jasmine" eine Tour de Force ab - als Gattin eines Milliardärs, der alles verloren hat (Foto: Imago Stock&People)

"Blue Jasmine" heißt der neue, gefeierte Woody Allen. Große Frauenrolle, großes Drama, und dann noch von einem Meister. Müsste man eigentlich gut finden. Wenn der Film nicht vor allem eines zeigen würde: Allens fortschreitenden Weltverlust.

Von Tobias Kniebe

Jasmine also. Das hier ist ihre Show. Klassische Chanel-Jacke, weiß mit schwarzen Bordüren. Perlen, doppelt gehängt. Die Haare Ton in Ton mit dem Goldschmuck, Hermès-Handtasche, First-Class-Ticket, Koffer mit Monogramm. Reich und schön, zwar mit Geschmack, aber ohne Persönlichkeit. Modisch ganz auf der sicheren Seite. Das wäre hier, unter normalen Umständen, die Ansage.

Nur sind die Umstände nicht normal. Jasmine muss reden, egal mit wem. Tief durchatmen, sich Luft verschaffen, die Panik niederkämpfen. Ihre Hände flattern, verkrampfen sich, berühren beschwörend die pochenden Schläfen. Gelegentlich, von Pein überwältigt, formt ihr Mund einen Krater aus Fassungslosigkeit. Manchmal blinkt auch Hass aus ihren Augen, die ein bisschen zu glänzend sind, wie mit Xanax glasiert.

Alles verloren

Jasmine hat alles verloren. Vor allem ihren Mann, einen Investment-Tycoon, der Milliarden vernichtet hat, hochkriminell per Schneeballsystem. Der ist nun tot, er hat sich im Gefängnis erhängt. Aber auch das Penthouse am Central Park, die Hamptons-Villa, die Kunst, die Konten, ein Großteil des Schmucks - alles weg. Eine Flüchtige und Verstoßene ist sie nun, die nur noch bei ihrer Schwester Unterschlupf findet. Die ist Kassiererin in einem Supermarkt, in San Francisco, wo Jasmine nun ankommt.

Und ja, sie ist wirklich eine Tragödin im Tennessee-Williams-Format. Eine Blanche DuBois für die Depressionen der Gegenwart, die klassische Diva am Rand des Nervenzusammenbruchs. Woody Allen hat sie erfunden, und Cate Blanchett haucht ihr nun flackerndes Leben ein, eine bebende, überspannte, Aufmerksamkeit fordernde Tour de Force.

Muss man so etwas nicht lieben? Große Frauenrolle, großes Drama, und dann noch von Woody Allen, der sich endlich mal wieder aufgerafft hat, Ernst zu machen. Der zurück nach Amerika gegangen ist, wo er sich auskennt, der mal wieder ein echtes Thema anpackt, hochaktuell, geradezu politisch. Die Kritiker, die "Blue Jasmine" bisher rezensiert haben, sind sehr weitgehend einig: man muss.

Und es klingt ja auch alles gut. Woody Allens längere touristische Werkperiode, diese Ausflüge von Barcelona über Paris bis Rom, diese lustigen Pappkameraden vor Fremdenverkehrskulisse - endlich vorbei. Teile des neuen Films, die Rückblenden in Jasmines früheres Leben, spielen jetzt sogar an einem Ort, wo er wohnt und sich wirklich auskennt: Upper East Side, Manhattan.

Dort aber, das kommt noch bonusmäßig dazu, residierte bis zu seiner Verhaftung im Jahr 2008 auch Bernie Madoff, der größte Finanzbetrüger in der Geschichte Amerikas, mit seiner Frau Ruth. Und wenn diese Ruth nun kein Vorbild für Jasmine und ihr Schicksal ist - wer bitte dann? Madoff lebt zwar noch, eingesperrt für 150 Jahre - anders als die Filmfigur. Dafür hat sich Madoffs Sohn erhängt . . .

Der Stoff, aus dem Meisterwerke sind?

Fasziniert, schon im Vorgriff, denkt man an die Intimität, die Allens New-York-Stories immer ausgezeichnet hat. Wie das jetzt passen würde! Madoff führte sein Betrugsgeschäft bekanntlich als Friends & Family-Betrieb: Spielbergs Stiftung hat Millionen bei ihm verloren, genau wie die Elie Wiesel Foundation oder die Women's Zionist Organization of America. Und wer könnte das nun besser (und böser und lustiger) beschreiben als Woody Allen - diesen gruselig-menschelnden, schaurig-schönen Familienaspekt?

So nah vor der Haustür, dass es wehtut. Ist das nicht der Stoff, aus dem Meisterwerke sind?

Aber ach, dieser Traum zerplatzt schon mit der ersten Rückblende. Da taucht nämlich Alec Baldwin auf. Er spielt Jasmines Ex-Ehemann - als glatten, seelenlosen Betrüger. Serielle Untreue durchseucht sein Geschäft, genau wie sein Eheleben. Bernie Madoff spielt er eindeutig nicht. Im Gegenteil, der Film gibt ihm so wenig wiedererkennbare Eigenschaften wie möglich, und das gilt dann auch für Jasmine. Schade - wieder nur zwei Phantasiefiguren, im stillen Kämmerlein in die Schreibmaschine gedonnert. Macht Woody Allen das aus Vorsicht, weil ihm die echte Madoff-Nummer zu heiß ist? Nein, die Antwort ist vermutlich banaler: Er interessiert sich nicht mehr für die Wirklichkeit. Schon lang nicht mehr.

Kaum vorstellbar, dass er von Madoff und seinen Eskapaden gar nichts mitbekommen hat. Seine Erklärung in einem Interview, der Film basiere auf einer wahren Geschichte, die ihm seine Frau mal beim Abendessen erzählt habe, und mehr hätte er dann auch gar nicht wissen wollen, klingt absurd und lässt doch zugleich tief blicken.

Jasmine jedenfalls lebt nun von der Freundlichkeit ihrer Schwester Ginger (Sally Hawkins, wie üblich festgenagelt auf ihren Fusselpony und ihre patentierte Quirligkeit) und kann trotzdem in keiner Sekunde verbergen, wie deplatziert sie sich in der Welt der Verlierer fühlt. Die Wohnung beengt sie, ihren Job als Empfangsdame hasst sie, die Avancen des Zahnarzts, bei dem sie arbeitet, findet sie einfach nur widerlich. Standesdünkel vergiftet noch ihren flüchtigsten Gedanken, was wieder mit viel Wodka und Xanax bekämpft werden muss.

Leider spürt man den fortschreitenden Weltverlust, der Allens Werk seit Längerem plagt, auch hier wieder in jeder Szene. San Francisco zum Beispiel: Hier tummeln sich strikte Heteros, die jeden Dollar zweimal umdrehen, das Herz auf dem rechten Fleck haben und das Internet nur vom Hörensagen kennen. Ihre aggressive Vitalität wirkt so echt wie Ersatzkäse. Gerade da, wo er das "wahre Leben" zeigen will, erstickt der Film fast an der eigenen Künstlichkeit. Traurige Erkenntnis: Auch in Amerika ist Woody Allen inzwischen Tourist. Womöglich wäre er das sogar in New York, sollte er sich dazu entschließen, doch noch einmal eine Art Fortsetzung des "Stadtneurotikers" zu drehen.

Verdrängen bis zum Untergang

Bleibt Jasmines Innenleben. Das fasziniert dann schon eher. Verdrängen bis zum Untergang lautet hier das Motto. Sollte diese Frau wie das Land sein, in dem sie lebt? Es gab da einen Moment, vor Jahren schon, wo die Anzeichen nicht mehr zu ignorieren waren, wo sie hätte aufwachen müssen.

Was aber nicht passiert ist. Und obwohl jetzt alles in Scherben liegt, so schlimm zerschlagen wie überhaupt nur vorstellbar, ist es für jede Erkenntnis zu spät. Das ist die Pointe hier: Jasmine lauert nur auf den nächsten reichen Ehemann, um genau da weiterzumachen, wo sie aufgehört hat. Mehr kennt sie nicht, mehr geht in ihren schönen Kopf nicht hinein. Und dafür kann man Cate Blanchett dann wirklich bewundern - dass sie aus dieser eintönigen Prämisse noch gewaltige Funken schlägt.

Aber muss dann wirklich noch eine Art Prinz auftauschen, der Jasmine allen Ernstes sofort heiraten will? Und muss dieser Plan dann gleich wieder scheitern, an neuen Lügen, die sie spinnt, um ihre Schmach zu verschleiern? Jeden anderen Drehbuchautor, der damit ankäme, würde man faul nennen. Das trifft es aber nicht ganz - Woody Allen arbeitet schließlich ohne Unterlass. Nur hat er inzwischen nur die Kunst perfektioniert, seine Kräfte altersgerecht einzuteilen. Bei seinem erklärten Ziel, weiterzudrehen bis in alle Ewigkeit, jedes Jahr einen Film, ergibt diese Sparsamkeit Sinn.

Prinzipieller Fatalismus

Was außerdem zum Tragen kommt, ist Allens prinzipieller, wohl dokumentierter Fatalismus. Er trifft hier glücklich auf ein Publikum, das vom Treiben der Superreichen ohnehin die Schnauze voll hat. Wenn das Leben der oberen Zehntausend nicht prinzipiell auf Betrug basiert, dann mindestens auf aberwitzigem Selbstbetrug. Ist es nicht so?

Es ist so, der Meister nickt. Warum also dieser Frau noch Facetten gönnen, die über ihr unmittelbares Dilemma hinausgehen? Warum eine Ahnung von Zweifel in ihr Herz sähen, einen Hauch von Erkenntnis aufkeimen lassen, ihren Panzer aus Ignoranz und Angst durchbrechen? Richtig, das wäre ja Arbeit.

Wir Zuschauer sollen uns für Jasmine interessieren, aber doch nicht allzu sehr. Knapp hundert Minuten eben - solang ihr Fall Unterhaltung verspricht. Und dann? Was wird aus ihr? Wo soll sie hin? Das weiß am Ende keiner, aber da läuft dann auch schon der Abspann - was man als Zeichen deuten muss, dass wir sie jetzt guten Gewissens allein lassen dürfen. Wird sie sich etwas antun? Möglich. Ist aber nicht unser Problem.

Blue Jasmine , USA 2013 - Regie und Drehbuch: Woody Allen. Kamera: Javier Aguirresarobe. Mit Cate Blanchett, Alec Baldwin, Sally Hawkins, Bobby Cannavale. Warner, 98 Minuten.

© SZ vom 06.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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