Bayerische Staatsoper:Spielen mit den Menschenmännern

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Derzeit das Maß der Operndinge: Die Bayerische Staatsoper und ihr Intendant Serge Dorny, hier die Inszenierung "Das schlaue Füchslein". (Foto: Wilfried Hösl)

Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla und Regisseur Barrie Kosky bezaubern an der Bayerischen Staatsoper mit der Erotikoper "Das schlaue Füchslein".

Von Reinhard J. Brembeck

Keine Oper ist rätselhafter als die "Kleine Füchsin Schlaukopf" - auf Deutsch verharmlost bekannt als "Das schlaue Füchslein"- von Leoš Janáček, eine kurz nach dem Ersten Weltkrieg komponierte Erotikfantasie, die sich kindlich gibt, unbefangen Tier- und Menschenwelten mischt, Natur und Leben mit angeschärften Klängen feiert und den Tod stoisch hinnimmt. Was hier nicht alles angedeutet wird, was hier nicht alles gemeint sein könnte! Regisseure haben ihre Not mit diesem alle Genregrenzen und alle Sicherheiten torpedierenden Stück. Im Münchner Nationaltheater hat sich Regisseur Barrie Kosky jetzt in einer Neuinszenierung für Reduktion und Offenheit entschieden. Vor und in meist flittrigen Lamettavorhängen zeigt er eine Truppe im Wald verwildernder Jugendlicher, der fabelhafte Kinderchor des Hauses und viele Statist(inn)en sind quirlig beschäftigt. Sie sind Frosch und Dachs und Mücke und Grille und Specht und Eule, aber in erster Linie pubertierende Kinder.

Barrie Kosky ist ein in Cabaret und Musical verliebter Spielemacher, aber durchaus nicht harmlos. Weil er die Füchsin und die anderen Waldtiere so gar nicht als Tiere zeigt, alle tierische Verkleidung genauso wie tierische Bewegungsmuster unterbindet, wird ein gern unterschlagener Aspekt dieser Ausnahmeoper unüberseh- und unüberhörbar. Denn in nur 100 Minuten wird hier ein Riesenpanorama an Liebeskonzeptionen vorgeführt.

Kosky verweigert das Explizite, er überlässt alles der Musik

Liebesunglücklich sind die meisten Menschenmänner, allesamt Säufer: Pfarrer, Lehrer, Förster. Letzterer, der herrliche Wolfgang Koch gibt ihn abgründig als scheinbar resignierten älteren Herrn, fängt sich im Liebesfrust eine junge Füchsin. Das ist ein in vielen Kulturen gängiges erotisches Motiv, Christine Wunnicke hat das in ihrem wundervollen Roman "Der Fuchs und Dr. Shimamura" beschrieben. Aber Kosky verweigert alles Explizite, er überlässt die Natur- und Tierassoziation der in diesem Punkt unmissverständlichen Musik.

Der Regisseur zeigt sich an diesem Abend als ein Meister der Andeutung, der das Erschließen der tieferen Sinnschichten dieser mit Sinn nur so befrachteten Oper der Fantasie seines Publikums überlässt. Kochs Förster ist bei Kosky deshalb ein lächelnder Erotikabgrund. Und das Publikum feiert lang und ausgiebig diese leichte und verspielte Aufführung.

Bei den um ihren Gockel gruppierten Hühnern aber kennt Kosky kein Halten, die dürfen sich hemmungslos glucksend im eigelbgrellen Federflimmer als Gogo-Girls zeigen, die von der verfressenen wie freiheitsliebenden wie frechen Füchsin eine um die andere massakriert werden. Federn, Beine, Blut und Köpfe wirbeln über die Bühne, ein halbgeschlüpftes Küken tanzt in der lädierten Schale seine Verzweiflung. Begeisterung beim Publikum.

Diese Füchsin nimmt sich, was sie will, es ist die Emanzipation einer Frau

Elena Tsallagova als Füchsin zelebriert die schon bei Janáček angelegte Emanzipation einer Frau, sie nimmt sich, was und wen sie braucht, sie spielt schamlos mit den Menschenmännern und verfällt dann unsterblichst verliebt dem Sexappeal des Fuchses, den Angela Brower so ganz unmachohaft staunend ob so viel Füchsinnenpower singt. Tsallagova und Brower sind herrlich unopernhaft ineinander und den Sex verliebt, tollen herum und können doch ganz große Operntöne produzieren, wenn es diese ganz Frühlingserwachen, Blühen und Naturlaute produzierende Partitur gelegentlich doch einmal erfordert.

Der Förster (Wolfgang Koch) jagt sich im Liebesfrust eine Füchsin. (Foto: Wilfried Hösl)

Womit die Rede auf die Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla kommen muss, die derzeit Chefin der Sinfoniker in Birmingham ist, bei dem schon Simon Rattle und Andris Nelsons ihre Weltkarriere begründet haben. Mirga Gražinytė-Tyla kann Ruhe. Selbst in den aufgeregtesten Momenten dieser aufs Ende hin zunehmend todesklangdurchwehten Oper verausgabt sie sich nie völlig, findet immer sich wieder in die Pausen, in denen sie die locker gehaltene Spannung des Abends nie verliert. Das Unsentimentale der Janáček-Klänge liegt ihr, das Salonferne, bei der selbst der Tod der Füchsin als naturhaft natürlich erlebbar wird, nur mit ein paar herben Dissonanzen mehr als sonst.

Aber der Tod ist, Janáček predigt den zyklischen Kreislauf der Welt, hier nur eine Spielart des Kreatürlichen. Wie der ihm ästhetisch nahestehende Olivier Messiaen bietet auch Janáček eine unablässig sprudelnde Naturfeier, unablässig produziert seine Musik Freude, Licht, Vitalität. All das erschafft die Dirigentin mit klaren sparsamen Gesten und liefert noch mehr: einen bei Gustav Mahler erborgten Tonfall der Weltentrauer, der den Tod der Füchsin umflort und die Musik in ein großes Klageadagio überführt. Das überhöht die Partitur und korrigiert Janáček, der sich gegen den exzessiven Ich-Kult der Romantik stellt. Wo der Komponist die Gattung Fuchs sieht, erlebt die Dirigentin die Füchsin als Individuum. Aber auch das hält diese singuläre Partitur aus.

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