Ausstellung "Jeff Wall in München":Denker aus dem Niemandsland

In Jeff Walls Fotografien findet man die gesamte Kunstgeschichte wieder: Tafelbild und Schlachtenpanorama, Stillleben und klassisches Porträt. Die Pinakothek der Moderne zeigt nun "Jeff Wall in München" - mit Fotos, die dort seltsam vertraut wirken.

Von Andrian Kreye

1 / 7
(Foto: Jeff Wall)

In Jeff Walls Fotografien findet man die gesamte Kunstgeschichte wieder: Tafelbild und Schlachtenpanorama, Stillleben und klassisches Porträt. Die Pinakothek der Moderne zeigt nun "Jeff Wall in München" - mit Fotos, die dort seltsam vertraut wirken. In der Pinakothek der Moderne sind derzeit 19 der 20 Bilder des kanadischen Fotokünstlers Jeff Wall zu sehen, die Münchner Museen und Sammlern gehören. Mit dem Ausstellungstitel "Jeff Wall in München" feiert sich bei dieser Gelegenheit eine Sammler- und Kunststadt, die sich ihren Weltstatus vor allem durch Ankäufe erarbeitet hat. Das wäre natürlich eine schamlose Eitelkeit, hätte die Ausstellung nicht diesen doppelten Boden, der einem nicht nur viel über Jeff Walls Werk, sondern auch über München erzählt. Aber genau solche Subtexte und Spiele mit den Wahrnehmungsebenen erwartet man ja auch von ihm. Dass der Subtext der Ausstellung aber nicht nur aus den Bildern, sondern auch aus der Hängung kommt, zeigt hier umso deutlicher, mit welchem Tiefgang Jeff Wall arbeitet. Das funktioniert so gut, weil es sich nicht um eine Retrospektive, sondern um eine von Inga Graeve Ingelmann klug kuratierte Kabinettsausstellung handelt. 18 der 19 Bilder stammen aus der Hauptphase seiner Arbeit, als er seine Fotografien als Leuchtkästen inszenierte. So schafft er mit jedem Bild die Klammer von der frühen Malerei bis zum digitalen Kino. So funktionieren ja vor allem die Bilder, die er als "cinematografische Fotografie"' bezeichnet, inszenierte Monumentalaufnahmen, die voller kunsthistorischer Zitate, Symbol- und Handlungsebenen stecken. Jeff Wall: "A Fight on the Sidewalk", 1994

2 / 7
(Foto: Jeff Wall)

"The Eviction" ist so ein Bild, das gleich im ersten Saal die Ausstellung eröffnet, die Aufnahme einer Vorstadtstraße bei Vancouver, in der Bildmitte ein junges Paar, das sich mit Gewalt gegen zwei Polizeibeamte wehrt, die eine Zwangsräumung durchführen. Ringsherum wie beiläufig die Nachbarn. Drumherum die Bungalows und Häuser, die parkenden Autos, die Bürogebäude und Hochgleise jenes unbestimmten Ortes, den die Stadtforschung "middle landscape" nennt - nicht mehr Stadt, noch nicht Vorort, ein flaches Hybrid aus Schlafstadt, Leichtindustrie und Infrastruktur, in dem die Kiefern, Koniferen und Zierbuschreihen nur noch eine leere Geste sind, um dem Wildwuchs liebloser Zweckbauten einen Rahmen zu geben. Jeff Wall: "An Eviction", 1988

3 / 7
(Foto: Jeff Wall)

Es funktioniert aber auch in den enger fokussierten Bildern, den Innenräumen, Stillleben, Straßenrandblicken. Von Saal zu Saal ziehen sich Beklemmung und Melancholie dabei immer stärker um den Betrachter, bis er letztlich beim "Doorpusher" ankommt, einem jungen Mann, der eine verkohlte Holztür zudrückt. Das ist Hängung als Kino. Allerdings eher Autorenkino als Hollywood. Bei Jeff Wall gibt es kein Happy End, eigentlich gar kein Finale. Die Spannung liegt in der Ereignislosigkeit. Und da liegt auch der Kern der Ausstellung. "Jeff Wall in München" zeigt außer "The Eviction"' keines der typischen Wall-Bilder. Da fehlen die urbanen Elemente, das Drama der Straße, das er so virtuos inszeniert, die Abgründe in der Armut. Nur die Gewalt bleibt, die in der Abfolge wie ein kaum hörbarer Grundton bleibt, nur selten ausbricht, eher wie ein Moment der Befreiung von der Agonie und der Leere. Weil die Ausstellung aber rund drei Jahrzehnte Münchner Sammelgeschichte dokumentiert, kann man sie auch als Psychogramm einer Stadt lesen, die sich in Jeff Walls Bildern immer wiedergefunden hat. Sie hängen ja nicht nur in einer Sammlung, in einem Museum. Sicher gibt es einen kunsthistorischen Impetus. München ist eine kunsthistorisch hochgebildete Stadt. In den Fotografien dieser Ausstellung findet man die gesamte Kunstgeschichte wieder - das Tafelbild und das Schlachtenpanorama, das Stillleben, die Tierstudie, klassisches Porträt und Skulptur. Jeff Wall: "Doorpusher", 1984

4 / 7
(Foto: Jeff Wall)

Wenn Christa Döttinger im Katalog schreibt, Jeff Walls Bild seines rauchenden Sohnes "The Smoker" erinnere sie an Rembrandt, dann ist das nicht nur ein plumper Vergleich, sondern eine durchaus realistische Analyse der Bildelemente. Als Psychogramm einer Stadt aber funktioniert die Ausstellung so gut, weil die organisch gewachsene Auswahl Jeff Wall ungeplant als Chronisten der Malaise vom Leben im Speckgürtel zeigt. Das vermeintliche Bürgeridyll ist in diesen Bildern längst nicht mehr das Versprechen vom Leben im stadtnahen Grün, sondern die suburbane Ödnis, die im Zersiedelungsprozess des "urban sprawl" zum kulturellen Niemandsland geworden ist. Jeff Wall: "The Smoker", 1986

5 / 7
(Foto: Jeff Wall)

Wenn Wall Rodins Denker mit einem ärmlichen Mann auf dem Hügel über dem Güterbahnhof von Vancouver nachstellt, dem ein Bajonett im Rücken steckt, dann lässt er jede Hoffnung fahren, dass an diesem verlassenen Ort jemals noch Gedanken zum Höhenflug ansetzen. Ganz deutlich sieht man die Parallelen zwischen Walls Heimat Vancouver und der Stadt seiner bayerischen Sammler. In beiden Städten fraß sich die suburbane Ödnis aus dem eher kleinen Stadtkern heraus in eine grandiose Landschaft. Zwei unerreichbare Horizonte tun sich dort auf - die Skyline mit der Verheißung des urbanen Lebens und die Gipfel der alpinen Pracht. Jeff Wall: "The Thinker", 1986

6 / 7
(Foto: Jeff Wall)

Dazwischen verliert sich die Stadt in Bildern wie "The Pine on the Corner", der Aufnahme einer Straßenecke mit Schneematsch und Kiefer, durch die der nasskalte Hauch eines Winternachmittages weht, an dem das einzige Geräusch das Knirschen des Streuguts unter den Sohlen bleibt. Walls Bilder verklären diese "middle landscape" nicht. Das ist die Domäne von Amerikanern wie Stephen Shore oder Lee Friedlander, die im Spannungsfeld zwischen der wilden Landschaft ihres Kontinents und den oft so rechtwinkligen Formen von dessen Besiedelung ästhetische Größe entdecken. Das ist die Kunst von William Eggleston, der im urbanen Detail eine Wucht entdeckt, die nur wirken kann, weil sich Amerika immer selbst romantisierte. Jeff Wall: "The Pine on the Corner", 1990

7 / 7
(Foto: Jeff Wall)

Doch Wall ist Kanadier, seine Stadt ist wie München nur ein Satellit des amerikanischen Kulturzeitalters. Da fehlt die Größe der Selbstüberschätzung und der Heimatliebe der Amerikaner, die Weite des Himmels und der "open road", die so viele schon vergeblich auf andere Teile der Welt übertragen wollten. Wenn er also die gesamte Kunstgeschichte aufbietet, um seine Welt zu porträtieren, öffnet er den Blick nicht auf die Weite des Horizonts, sondern lenkt ihn auf den Moment des Stillstandes zurück, der keine Ruhe bedeutet, sondern Bedrohung. Da steckt dann auch keine Hoffnung mehr im Seitenblick der Miniatur vom "Sapling held by a post", dem jungen Trieb eines Baumes, der von einer Schlaufe an einem Pfosten aufrecht gehalten wird. Im Kontext der anderen Werke ist das kein Aufbruch, sondern die reine Erschöpfung. So aber bekommt Jeff Walls Kunst der Überwältigung eine literarische Qualität, die ihn für immer vor der Gefahr des Effekts bewahren wird. Jeff Wall: "A sapling held by a post", 1999

© SZ vom 09.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: