Ganz am Ende konnte Anna Maria Mühe sogar ein ziemlich sauberes Hakenkreuz an die Häuserwand in Jena sprühen. Ganz am Ende konnte sie endlich mal wieder Nudeln essen, die ersten nach drei Monaten Sportprogramm mit dem Trainingsziel Beate Zschäpe. Und ganz am Ende war Anna Maria Mühe auch selbst irgendwie ein bisschen am Ende.
In einer Nacht im Mai 2015 wurde die letzte Szene für "Heute ist nicht alle Tage" abgedreht, dem am Mittwoch gesendeten ersten Teil der NSU-Trilogie der ARD. Anna Maria Mühe, 30, spielt in diesem Film Beate Zschäpe. Als der Regisseur in jener Mai-Nacht in Jena ein letztes Mal "Danke!" in die Runde rief, passierten drei Dinge, in folgender Reihung.
Erstens: losplauzende Boxen, "Dog Days Are Over" von Florence + the Machine und natürlich glaubte jeder im Nachtdraußen, da werde nicht von Hunds- sondern von dunklen Tagen gesungen. Zweitens: Anna Maria Mühe stand allein da, ein wenig verloren, reichlich Wasser in den nun noch kräftiger funkelnden Augen. Drittens: Albrecht Schuch und Sebastian Urzendowsky rannten hinzu, ihre beiden Film-Uwes. Abklatschen, schütteln, geschafft. Die dunklen Tage sind vorüber.
Sprössling zweier Schauspieler
Regisseur Christian Schwochow sagt, die Rolle werde natürlich ein paar Jahre an ihr haften - und doch dürfte Anna Maria Mühe diesen Bruno-Ganz-Effekt gut überstehen. Zum einen, weil sie Beate Zschäpe nicht betont über äußerliche Ähnlichkeit spielt, sondern sich auch auf die Suche nach deren Wesen begeben hat. Zum anderen, weil sie in Leben und Laufbahn schon jetzt einiges mehr angesammelt hat als die Herausforderung, Beate Zschäpe zu spielen.
Mühe wurde 1985 in Ostberlin geboren, als Tochter der Schauspieler Jenny Gröllmann und Ulrich Mühe ("Das Leben der Anderen"). Mit 16 erhielt sie ihre erste Hauptrolle, in "Große Mädchen weinen nicht" versuchte sie das, was auch im echten Leben noch zu bewältigen war: Erwachsenwerden. 2008 folgte die erste Zusammenarbeit mit Christian Schwochow in dessen Diplomfilm "Novemberkind". Schon bekommen hatte sie da die Goldene Kamera als beste Nachwuchsschauspielerin (2006), noch bekommen würde sie den Shooting Star der Berlinale (2012).
Anna Maria Mühe hat eine kleine Tochter, sie lebt mit ihrer Familie in Berlin, sie spielt Klavier und Trompete - dass man viel mehr Privates über sie nicht weiß, hat auch mit Mühes eher schwierigen Erfahrungen mit der Boulevardpresse zu tun. Für die Reklame-Interviews zu "Heute ist nicht alle Tage" aber gab es ja auch genug anderes zu besprechen.
Dem Stern etwa sagte Mühe, der Film solle natürlich auch provozieren. Wie provoziert man mit einem Gegenstand, der für sich schon über alle Maße provozierend ist? Mit Empathie zum Beispiel. Anna Maria Mühe sagt, der Zuschauer würde dann vielleicht auch mal erschrecken, wenn er sie als Zschäpe sehe - und denken: "Oh Gott, ich fand die gerade ganz nett."