Anna-Amalia-Bibliothek:Scannen für die Ewigkeit

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Eine Million Dokumente lagern in dem Weimarer Archiv, das vor zwei Jahren abbrannte. Nun haben sich die Bibliothekare daran gemacht, alles digital für die Nachwelt zu erhalten - und schaffen ein Buch pro Tag.

Christopher Stolzenberg

Die Steinzeitmenschen wussten offenbar genau, was sie taten. Noch heute können wir ihre Inschriften auf den Felswänden von Höhlen ablesen. Doch anders ist es mit Papyrus oder Papier - günstig zu beschaffen, platzsparend zu lagern, aber leicht vergänglich und zerstörbar. Schon die Bibliothek von Alexandria hatte darunter zu leiden. Und ebenso die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar, die vor zwei Jahren abbrannte. Zeit für die Archivare, über neue Wege nachzudenken, um auf Papier gebanntes verlässlich für die Nachwelt zu konservieren.

Leicht vergänglich - die Unterschrift Johann Sebastian Bachs auf einer seiner frühesten Musikhandschriften aus der Zeit um 1700. (Foto: Foto: AP)

Bald schon nach dem Brand kam die Digitalisierung von Dokumenten ins Gespräch, um dem erneuten Verlust vorzubeugen. Seit Mai wird die gesamte Anna-Amalia-Bibliothek elektronisch erfasst. Das bietet wichtige Vorteile, aber doch auch Risiken, sagt Direktor Michael Knoche.

Kulturelle Ideen, für die Ewigkeit gesichert

Zum einen will die Anna-Amalia-Bibliothek dem kulturellen Gedächtnis dienen, indem sie nach der Digitalisierung ihre Bestände ins Netz stellt. "Anders als Google scannen wir nicht willkürlich gesamte Bibliotheksbestände ein", sagt Knoche. Wenn man dort nach einem Buch suche, finde man alle möglichen Versionen und Ausschnitte, aber nur mit Glück den Text, den man brauche. Wer erfährt so aber schon, dass beispielsweise der "Doktor Faustus" nicht von Goethe ausgedacht, sondern eine historische Figur ist und seit dem 16. Jahrhundert als Vorbild in der Literatur verwendet wird?

Es geht um mehr als die bloße Konservierung eines Goethe-Originalbandes, nämlich um den Erhalt kultureller Ideen. Der Bibliothekar hat nunmehr eine qualitative Schlüsselposition, weil er wichtige Metadaten liefert. Somit erschließt sich im Falle des "Doktor Faustus" dem Wissenschaftler die Gesamtheit der Texte, die sich der Figur annehmen.

"Mikrofilm können sie sogar mit der Lupe lesen"

Das digitale Format ist potenziell geeignet, um Texte für die Ewigkeit zu bewahren, weil sie sich einfacher auf physische Datenträger übertragen lassen, die in der Zukunft erst noch entwickelt werden. "Es muss aber gewährleistet sein, dass das auch wirklich geht," sagt Knoche. Dieses Problem ist nicht neu, denkt man an Tonbänder aus den fünfziger Jahren, für das man heute nur selten ein Abspielgerät findet.

"Bei jeder technischen Neuentwicklung wird heute die Übertragbarkeit der Daten mitgeeinplant", sagt Malte Rademacher von EMC, der Firma, die die Software für die Digitalisierung der Anna-Amalia-Bibliothek programmiert. Das pdf-Format ist für diesen Zweck der Standard geworden, sagt Christoph Sahner von Adobe. "Das Dokument trägt alle wichtigen Daten mit sich und kann auch in ferner Zukunft noch verwendet werden." Ein Problem wie bei den Tonbändern stelle sich also nicht. Um den physischen Datenträger und dessen Probleme kommt man aber trotzdem nicht herum.

Allerdings sind pdf-Dateien so groß, dass die Deutsche Nationalbibliothek die Zukunftsfähigkeit des derzeitigen Formats bezweifelt. Eine neue, kleinere Form der Datenkomprimierung sei aber noch nicht in Sicht, sagt Pressesprecher Stephan Jockel.

In der Anna-Amalia-Bibliothek fotografiert man traditionellerweise zusätzlich auf Mikrofilm. "Den können sie sogar mit der Lupe lesen", sagt Knoche. Man brauche also nicht notwendigerweise ein eigenes Abspielgerät. Anschließend werden die Mikofilme im so genannten "Kulturstollen" im Schwarzwald eingelagert. Das schien lange Zeit das sicherste Verfahren.

Speichern auf Glas ist schon wieder passé

Doch viele Speicherfilme korrodierten mit der Zeit und wurden unbrauchbar. Neue Materialien wurden erwogen, die Platz sparend und schwer zerstörbar sind. So entdeckte man vor einiger Zeit Glas als Speichermedium. "Doch die Kosten für die Verwendung liegen zehnmal höher als die Formatierung auf Plastik", sagt Birgit Dietz von der Firma Plasmon, die sich lange Zeit auf Glasspeicher spezialisiert hatte. Heute ist das Unternehmen dazu übergegangen, eine Technik anzubieten, die Daten hoch komprimiert per Laser auf Plastikdisketten bringt.

Und damit liegen sie offenbar im Trend. "Der primäre Augenmerk liegt auf der Komprimierung, nicht auf der Dauerhaftigkeit des Datenspeichers.", sagt Malte Rademacher. "Dafür sind heute Festplatten noch immer das beste Speichermedium." Nur der lokale Zugriff auf den Bestand der Anna-Amalia-Bibliothek sei so preiswert und schnell zu gewährleisten.

Am Beispiel der Weimarer Bibliothek leuchtet ein, warum die Komprimierung weiterentwickelt werden muss: 24 Terrabyte Speicher stehen ihr zur Verfügung, das entspricht 48 modernen Rechnern mit einer Festplatte von 500 Gigabyte. Doch bieten die Speicher nur genug Platz für einige tausend der mehr als eine Million Dokumente in der Bibliothek. In Zukunft müssen also noch mehr Speichermedien hinzukommen.

Um ganz sicher zu gehen, verwendet die Anna-Amalia-Bibliothek trotzdem noch einen korrosionsfreien Speicherfilm. Einen ganzen Tag braucht es zusätzlich, um nur ein Buch zu digitalisieren. Eine Arbeit für die nächsten Jahrzehnte - wie gut hatte es doch der Steinzeitmensch.

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