"An ihrer Stelle" im Kino:Guckloch in ein Paralleluniversum

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Shira (Hadas Yaron) im Film "An ihrer Stelle". (Foto: ARP Sélection)

Die jüdisch-orthodoxe Filmemacherin Rama Burshtein erzählt in dem Film "An ihrer Stelle" von den sogenannten Gottesfürchtigen in Israel. Von der Welt der schläfengelockten Männer mit den großen Hüten, von der Beschneidung bis zur Beerdigung. Und von den Frauen, die meist im Hintergrund die Fäden ziehen. Es geht ihr um Aufklärung der säkularen Gesellschaft, nicht um Vermittlung.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Tel Aviv im Sommer ist die Summe aus schwüler Hitze und lässiger Laszivität. Textiltechnisch gesehen scheint die ganze Stadt ein Strand zu sein. Natürlich fällt Rama Burshtein hier auf mit ihrer weißen Kopfbedeckung, die kein einziges Haar freigibt, mit dem schwarzen Pulli, der die Arme bedeckt, und dem bodenlangen Rock.

Vorsichtshalber hatte die Filmfirma vor dem Treffen noch einmal schriftlich klargestellt, dass sie "nicht berührt werden will, auch nicht per Handschlag". Und dann setzt sie sich an den Tisch und sagt als Erstes mit einem breiten Lächeln im Gesicht: "Ich weiß, dass die anderen auf uns schauen, als wären wir keine richtigen Menschen. Von außen sieht es ja so aus, als gäbe es keine Gefühle."

Rama Burshtein ist angetreten, das Gegenteil zu beweisen. Die 46-Jährige lebt in Tel Aviv als Mitglied der hier - im Gegensatz zu Jerusalem - sehr kleinen ultra-orthodoxen jüdischen Gemeinde. Und mitten in ihrer Gemeinde, die im Trubel der Mittelmeer-Metropole ihren chassidischen Lebensstil pflegt, spielt auch ihr Spielfilm, der am Donnerstag unter dem Titel "An ihrer Stelle" in die deutschen Kinos kommt. "Jeder sieht den Film anders", sagt sie. " Aber für mich ist er eine Liebesgeschichte."

Es ist die Geschichte des Mädchens Shira, das mit 18 Jahren ins heiratsfähige Alter kommt und deshalb gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Supermarkt heimlich den ihr vorgeschlagenen Bräutigam in Augenschein nimmt. Shira ist angetan vom Auserwählten, sie ist aufgeregt und aufgedreht, alles könnte nun seinen normalen Lauf nehmen - doch dann stirbt ihre Schwester bei der Geburt des ersten Kindes.

Den Platz der toten Schwester einnehmen

Die Mutter kommt auf die Idee, dass Shira den Platz der toten Schwester einnehmen, den eigenen Schwager heiraten und das Kind großziehen könnte. Shira muss nun eine Entscheidung treffen - im Konflikt zwischen persönlicher Freiheit, dem Pflichtgefühl und den Erwartungen ihrer Familie und Gemeinde.

Mit all den ultra-orthodoxen Trachten und Traditionen ist dies ein Historienfilm aus dem Hier und Jetzt, ein Guckloch in ein Paralleluniversum, das sich ansonsten selbst streng abschirmt gegen die Außenwelt. Zu sehen ist das Leben der sogenannten Haredim, der "Gottesfürchtigen", von der Beschneidung bis zur Beerdigung. Streng genommen ist es sogar ein Blick in zwei Welten: die Welt der schläfengelockten Männer mit den großen Hüten und die Welt der Frauen, die meist im Hintergrund die Fäden ziehen.

Ausgeblendet wird im Film wie im richtigen Leben die Welt da draußen in der schwülen Hitze von Tel Aviv, und Rama Burshtein nennt dafür zwei Gründe: Erstens habe sie keinen Film machen wollen, der sich mit dem in Israels Gesellschaft tobenden Konflikt zwischen Säkularen und Frommen beschäftigt. Und zweitens habe der Film "genügend Selbstbewusstsein, um seine eigene Geschichte zu erzählen".

Sie selbst sieht sich nicht in der Rolle der Vermittlerin, sondern der authentischen Aufklärerin. "Alles, was sonst über Ultra-Orthodoxe gemacht wird, wird von außen gemacht", sagt sie. "Wir haben sonst keine Stimme in der Kulturwelt." Sie sagt das ohne Vorwurf, schließlich liegt die Schuld nicht außen, sondern im frommen System: "Meine Leute glauben nicht so sehr an Kultur", erklärt sie. "Sie haben zu viel zu tun."

Tatsächlich würde es den meisten ultra-orthodoxen Männern wohl im Traum nicht einfallen, einen Film anzusehen, wo doch in der Jeschiwa die täglichen Thora-Studien anstehen. Doch für die eigene Gemeinde hat Rama Burshtein ihren Film auch gar nicht gemacht: Er ist für den Rest der Welt, dem sie zeigen will, "dass wir Menschen sind mit Konflikten wie alle anderen auch".

Dabei bleibt die Welt, die Rama Burshtein zeigt, dem Betrachter fremd. Sie erklärt nicht die Riten und Regeln, sie heischt nicht nach Verständnis. Aber sie schafft Charaktere, deren Handeln nachvollziehbar wird. "Auch wenn du weit weg davon bist, kannst du etwas von dir darin finden", glaubt sie, "es geht um ein Dilemma, um Konfusion, um Ehrlichkeit zu dir selbst."

All das will Rama Burshtein zeigen, ohne zu urteilen - nicht über die handelnden Personen, und schon gar nicht über die Lebensform. Aber natürlich muss sie sich mit ihrem Film vielerlei Urteilen aussetzen, und die sind sehr unterschiedlich ausgefallen. In Israel und auch international ist sie mit vielen Preisen bedacht worden.

"Es geht mir nicht darum, gleich zu sein mit einem Mann"

Beim Filmfestival in Venedig wurde Hadas Yaron in der Rolle der Shira zur besten Hauptdarstellerin gekürt. Aber es gibt auch Kritik am Frauenbild, das der Film zeigt. Der Plot wirkt da als Steilvorlage für feministische Grundsatzdiskussionen. Für Rama Burshtein jedoch ist genau dies eines jener Missverständnisse, denen ihr Film durch Aufklärung entgegenwirken soll.

"Ich bin selbst sehr feministisch aufgewachsen", sagt sie. In ihrem jüdisch- liberalen Elternhaus, zunächst in New York, dann in Jerusalem, habe Religion keine Rolle gespielt. Religiös wurde sie erst mit 26 Jahren nach dem Abschluss an der Sam-Spiegel-Filmschule in Jerusalem. Seither betont sie auch den Unterschied der Geschlechter. "Es geht mir nicht darum, gleich zu sein mit einem Mann, sondern die Kraft meiner Weiblichkeit zu verstehen."

Die Frauen in ihrem Film - von der Mutter bis zur jungen Shira selbst -, werden tatsächlich als starke Persönlichkeiten gezeigt. Aber sie lehnen sich nicht auf gegen die Regeln der Männerwelt, sondern suchen innerhalb des fraglos akzeptierten Rahmens nach Wegen und Lösungen.

"An ihrer Stelle" ist Rama Burshteins erster Spielfilm für ein säkulares Publikum, und auch die Schauspieler sind mit wenigen Ausnahmen keine Ultra-Orthodoxen.

Zuvor hat sie ein paar Filme mit und für Frauen aus ihrer Gemeinde gemacht. "Keine Kunst, nur Unterhaltung", sagt sie, "wie Melodramen aus den Vierzigerjahren, und dabei sehr erzieherisch." Männer kamen darin nicht vor, und sie saßen auch nie im Publikum. Diesen Rahmen hat sie nun gesprengt, und filmisch will sie nicht mehr zurück in die alte Rolle. "Ich mache keine religiösen Filme mehr", sagt sie. "Sie brauchen mich dort weniger."

Ihre Mission ist es nun, der Außenwelt das Leben in ihrer Welt zu zeigen. Der nächste Film, so viel verrät sie schon, spielt wieder in einer ultra-orthodoxen Gemeinde. Doch diesmal nicht in Israel, sondern in New York. Rama Burshtein zieht ihre Kreise weiter.

© SZ vom 08.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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