Aleš Šteger: "Als der Winter verschwand":Held im Schafspelz

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Der Kurent ist eine wüste Figur, in Schaffelle gekleidet und ausgestattet mit magischen Kräften. (Foto: Karl Rauch Verlag)

Der slowenische Schriftsteller Aleš Šteger greift den Kurent, eine uralte Sagengestalt, auf und lässt sie gegen Klimawandel und Atomenergie antreten.

Von Michael Schmitt

In der slowenischen Stadt Ptuj wird seit 1960 Jahr für Jahr ein paar Tage vor Aschermittwoch in Gestalt eines lärmenden Karnevalsumzugs der Winter ausgetrieben. Die sagenhafte Gestalt, die dabei für altes Brauchtum und neuen Rummel Pate steht, ist der Kurent, eine wüste Figur, überlebensgroß, die, in Schaffelle gekleidet und ausgestattet mit magischen Kräften, dem Frühling den Weg ebnet. Um diesen Charakter herum hat der slowenische Schriftsteller, Lyriker und Übersetzer Aleš Šteger eine nicht minder wilde Geschichte erfunden, hat eine uralte Überlieferung aufgegriffen und die traditionelle Erzählung spielerisch mit brisanten Themen wie Klimawandel oder Atomenergie aufgeladen und in die Gegenwart fortgeschrieben.

Reduziert man das auf einen Plot, dann erzählt "Als der Winter verschwand" im Kern die Geschichte eines ökologischen und technischen Desasters mit bekannten Motiven: Als die Winter noch richtige Winter waren und den Menschen hart zusetzten, zog der Kurent als rauer und düsterer Geselle umher, läutete Glocken, die er aus Kuhställen entwendet hatte, und vertrieb so Kälte und Schnee. Als die Winter dann irgendwann ausbleiben, es immer wärmer wird und die Gegend sich in eine Art von Halbwüste verwandelt, verschwindet auch der Kurent - denn die Sagengestalt und die kalte Jahreszeit gehören zusammen, das eine ist ohne das andere nicht vorstellbar.

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Für die neue Zeit, die diese Veränderungen mit sich bringt, stehen in Štegers Geschichte zunächst eine gewaltige Fabrik für Speiseeis, deren Besitzer über die Kräfte eines Hexers verfügt und skrupellos seine Umsätze steigern möchte. Zusätzlich, am Ende einer Kette unglücklicher Ereignisse, droht dann auch noch ein Atomreaktor durchzubrennen. Gegen beide Gefahren tritt der Kurent als fast vergessene, fremdgewordene, aber zurückgekehrte Heldengestalt an, nunmehr mit Müll und Elektroschrott gerüstet und nicht mehr mit den Kuhglocken einer längst vergangenen Zeit.

Fast-Apokalypse, Satire, Action: Der Roman schert sich nicht um einen einheitlichen Duktus

Packend an diesem Buch, das Matthias Göritz aus dem Slowenischen ins Deutsche übertragen hat, ist aber nicht nur der Plot, sondern auch die kunstvolle Art, in der die Erzählweise Štegers und die großformatigen, meist in düsterem Blau angelegten Illustrationen der slowenischen Künstlerin Tina Dobrajc ineinandergreifen. Anekdotisch knapp springt der Roman von Handlungsort zu Handlungsort, führt den Kurent von alten eingeschneiten Hütten bis zu modernen Diskotheken oder mitten unter eine Rockerbande. Die Bilder, die Tina Dobrajc dazu entwirft, nutzen diesen Resonanzraum, den die Sätze öffnen, füllen ihn mal mit Szenen des Schreckens, mal mit Melancholie oder mit einer Einsamkeit, die fast allen Charakteren im Buch eigen ist.

Aleš Šteger: Als der Winter verschwand. Illustriert von Tina Dobrajc. Aus dem Slowenischen von Matthias Göritz. Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 2022, 176 Seiten, 18 Euro. Ab 10 Jahren. (Foto: Karl Rauch Verlag)

Realismus im Detail, Volksglaube und Magie verschmelzen, der Roman schert sich nicht um einen einheitlichen Duktus, er lässt sich auch kaum einem bestimmten Lesealter zuordnen - zu vielfältig sind die Anlehnungen, von der Sage als Rahmen bis zur Fast-Apokalypse, von Humor und bissiger Satire bis zu Action-Elementen. Altersunabhängige Neugier ist vielleicht der beste Schlüssel zum Vergnügen an diesem Buch, eine Kampfschrift für zeitgenössische Aktivistinnen und Aktivisten ist es jedenfalls nicht, auch wenn es deren Themen mit Sympathie aufgreift und eigenwillig ausgestaltet.

In das übrige Werk von Aleš Šteger fügt sich "Als der Winter verschwand" damit nahtlos ein, steht etwa neben seinem Projekt "Logbuch der Gegenwart" für das er immer wieder auf Reisen ist, ohne sich durch Recherchen vorab den Blick für Orte oder Menschen zu verstellen. Oder neben dem skeptisch-satirischen Near-Future-Roman "Neverend" (2017, dt. 2021) über das aktuelle Slowenien, in dem Erzählkonventionen auch nicht allzu wichtig genommen werden. "Alarmismus hat seine Berechtigung, aber Weltuntergangsnarrative bringen nichts", - so wurde vor Kurzem in der SZ der Wissenschaftler Olaf Eisen zitiert, der sich mit dem Abschmelzen der Gletscher in der Antarktis beschäftigt. Über "Als der Winter verschwand" lässt sich vielleicht etwas Ähnliches sagen: Aufmerksamkeit für Verluste und Gefahren ist unerlässlich, aber gelungene Erzählungen können Ängste bannen - mehr kann man von Literatur kaum verlangen.

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