Vergessen wir mal die Musik. Vergessen wir Pop, Schlager, cool, tief, flach, authentisch. Diese ganzen Schubladen. Reden wir angesichts des neuen Albums von Helene Fischer lieber über Sehnsüchte. Über diese quälenden Stimmen, die uns einflüstern, dass wir nicht genug Leidenschaft, Liebe und Leichtigkeit in unserem Leben haben. Und reden wir über die Lebensbereiche, in denen Kinder gewickelt werden müssen, die Jobs von 9 bis 17 Uhr gehen und dann die Überstunden kommen, das Auto in die Reparatur gebracht werden muss, die Nachtschichten auslaugen, der Hund raus will und der Alltag die Liebe tötet. Jene Bereiche also, in denen das Vokabular quasi zwangsläufig ins Phrasige kippt, weil die Flucht vor ihnen immer schon Klischees waren.
Man belächelt das alles gerne. Dabei kennt es ja jeder. Es sind schließlich diese Fluchttendenzen, an denen Beziehungen scheitern, Aussteiger geboren werden und größere Romane und Filme ansetzen. Und ohne die es keine Pop-Kultur gäbe. Pop-Stars funktionieren ja mindestens auch, weil sie gelebte Sehnsüchte darstellen. Weil sie sie überhöhen, als Projektionsfläche widerspiegeln und auf ihre Fans zurückwerfen.
Das perfideste Stück (Pop-)Musik seit langem
Wobei das alles Kindergarten ist. Die wirklich großen Sehnsüchte verkauft Schlager. Deshalb verkauft Schlager sich. Und seit heute kann man womöglich auch den Schlager an sich wenigstens für ein paar Wochen vergessen und direkt sagen: Sehnsüchte verkauft ausschließlich Helene Fischer.
Denn "Helene Fischer", ihr neues Werk, das so heißt wie sie, ist das vielleicht perfideste Stück (Pop-)Musik, das seit vielen Jahren veröffentlicht worden ist. Auf jeden Fall ist es die reinste Hörermanipulation dieses inzwischen doch schon fortgeschrittenen Pop-Jahres.
Es ist also, man kann das jetzt auch nicht anders sagen, brillant. Und das hat nichts mit der Musik zu tun. Die Musik ist auf "Helene Fischer", dem Album, absurd egal. Noch mehr als sonst bei Helene Fischer, der Künstlerin, verhält sie sich zum Gefühl, das vermittelt werden soll, nur wie der Stecken zur Zuckerwatte: für den Geschmack völlig unerheblich, aber ohne gibt es Probleme beim Transportieren.
Das Album enthält also, je nachdem wie viel man für die Ausführung zahlt, bis zu 24 Stücke, die alle auf völlig gleiche Art unterschiedlich klingen: mal nach Cello-Klavier-Ballade, mal nach Club mit eher günstig eingekaufter Lichtanlage. Mal nach fußballstadiongroßer Woohoo-Euphorie, mal nach Country. Der Stecken eben. Landet nach dem Verzehr in der Tonne.
Perfide ist nun das Gefühl, das an diesem Stecken hängt. Die Zuckerwatte. In "Helene Fischer" steckt nämlich wirklich jede Sehnsucht, die viele sich zwischen 17 und 23 Uhr noch zu erträumen trauen.