"Gold" von Alabaster DePlume:"Weil die Menschen das brauchen"

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"Vergiss nicht, wie kostbar du bist": Alabaster DePlume will, dass sich alle Menschen erst mal selbst lieb haben. (Foto: Chris Almeida)

17 Stunden Studiomaterial, immer neue Musiker, maximal einer durfte das Material kennen: Der grandios verrückte Alabaster DePlume hat ein neues Album - randvoll mit Liebe.

Von Andrian Kreye

Das Gespräch dauert schon eine Weile, als Alabaster DePlume seinen Redefluss bremst und sehr unvermittelt sagt: "Du hast eine wirklich wunderschöne Vibe." Was soll man nun bitte mit so einem Satz anfangen? Noch dazu kommt seine Stimme mit einem Säuseln daher, bei dem man nicht richtig einschätzen kann, ob der Mann sehr bedröhnt oder sehr beseelt ist. Was sich übrigens mit seinem Gesang deckt, mit seiner Art, Songs zu schreiben, Platten aufzunehmen, sein Saxofon zu spielen. Nachdem er aber gerade durch Amerika tourt und es in Chicago zu diesem Zeitpunkt noch Vormittag ist, nachdem er für solche Sprüche erst in Manchester und dann in London bekannt wurde und er daraus sogar ein paar Singles gemacht hat, soll es mal beim Beseelten bleiben.

Sagen wir es also so: Alabaster DePlume, der eigentlich Angus Fairbairn heißt, ist so etwas wie ein Zeitreisender. Irgendwo aus dem Sommer der Liebe ist er in dieser Weltuntergangsstimmung gelandet, um den Menschen seine Botschaften zu überbringen. Früher sagte er gerne "Be nice to people". Sei nett zu Leuten. In letzter Zeit verabschiedet er alle und jede eher mit: "Don't forget you're precious." Vergiss nicht, wie kostbar du bist. Und : "Go forward in the courage of your love." Geh voran mit dem Mut deiner Liebe. Das ist auch der Untertitel seines neuen Albums "Gold". Die Worte "Love", "Courage" und "Respect" verwendet er eh in fast jedem zweiten Satz. "Weil die Menschen das brauchen", sagt er und schaut in die Ferne. Dann schaut er wieder direkt in die Webcam und sagt, ohne einen Funken Ironie: "Oder vielleicht auch einfach, weil ich ein prätentiöser Arsch bin."

Der Splitter Sarkasmus täuscht. Seine Botschaften von der Selbstliebe, dem Respekt und der Sanftmut als Tonikum gegen Ironie und Zynismus sind ganz ernst gemeint. Darüber können auch die rhetorischen Gauklertricks, alles sofort infrage zu stellen, und seine Feenhaftigkeit nicht hinwegtäuschen, die zu der Kunstfigur gehören, in die er sich verwandelt hat. Spätestens mit seinem Umzug nach London vor ein paar Jahren hat er seine bürgerliche Identität als Angus Fairbairn in seiner Geburtsstadt Manchester hinter sich gelassen. Im Total Refreshment Center im Stadtteil Hackney fand er seine neue Heimat - ein Aufnahmestudio, das gleichzeitig als Kulturzentrum, Session Hall und Club funktioniert. Shabaka Hutchings hat dort aufgenommen, Rozi Plain und Makaya McCraven. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Komplex als Knoten einer multibegabten Kulturszene aus Musikern, Grafikern und Filmern etabliert. Und Alabaster DePlume war mit seinen regelmäßigen "Peach"-Sessions so etwas wie der Angelpunkt dieser Welt.

"Du musst mit mir spielen", sagt Alabaster DePlume. Lustige Idee. Doch, wirklich lustig

Die Offenheit, mit der er seine Musik dort anging, hatte oft radikale Züge. Die Professionalität der Popwelt ist ihm nicht geheuer. Er hat als Saxofonist zwar auch als Begleitmusiker gearbeitet, für die Singer-Songwriter Rozi Plain und Liz Greene, für die Band Cymbals. Aber das waren sowieso keine traditionellen Studiogigs. Selbst sein Saxofonspiel entzieht sich den Konventionen. "Ich spiele mein Instrument quer", sagt er. Anstatt das Mundstück, wie es sich gehört, Spitze voraus auf die Zähne zu legen, schiebt er es mit der gesamten Seite in den Mund, was den Ton mit einem Hauchen und Eiern ins Schlingern bringt. Er spielt auch keines dieser perfekt geschraubten Saxofone, sondern ein Conn aus den Zwanzigerjahren. "Ich liebe mein Conn", sagt er. "Es ist furchtbar langsam. Aber ich spiele halt einfach nicht schnell."

Musik ist für ihn sowieso weniger Handwerk und stattdessen vor allem sozialer Prozess. Mit seinen Texten ist das anders. Da kommt er auch eigentlich her. Gedichte hat er schon immer geschrieben und vorgetragen. Das merkt man seiner Stimme an, die meistens im Rezitativen bleibt. Die Musik aber hat einen so organischen Entstehungsprozess, wie man ihn sonst nur aus dem Jazz kennt. Was vielleicht auch der Grund dafür ist, dass er "Gold" auf dem Überhipsterjazzlabel International Anthem in Chicago veröffentlicht und auch sonst gerne mal in eine Jazznische gestellt wird, in die er mit seiner Produktionsweise ja auch irgendwie hineingehört, auch wenn die Musik sicherlich irgendwo zwischen Folk und Kunstmusik mäandert. Wer da einen Swing sucht, kann lange suchen.

DePlume bettet sich stattdessen lieber in Chöre, Perkussion, Streicher, Gitarren und allerlei Instrumentarium, in eine Klangwelt, die eher ins Theater gehört als in den Jazz. Tom Waits konnte so was ganz früher gut, der späte Lou Reed. In ihren ruhigen Momenten. Selten, dass da mal was aufbricht, das weht alles durch die Harmonien, wie Sandspuren durchs Strandhaus. Aber Vergleiche greifen da allesamt zu kurz, weil Alabaster DePlume eine sehr eigene Sprache gefunden hat in der Dichtung und in der Musik.

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"17 Stunden Musik hatte ich", erzählt er. Immer wieder neue Konstellationen aus Musikern stellte er sich zusammen, ähnlich wie bei seinen Sessions. "Ich habe ihnen Respekt gegeben", sagte er. "Das Gefühl, dass sie da zu etwas dazugehören. Aber keine Musik." Manche kannte er schon vom Spielen, manche nicht. Manche waren Profis, manche nicht. Proben gab es keine. Bei jeder Session gab es außer ihm selbst nur eine Musikerin oder einen Musiker, die das Material vorher kannten. Alle anderen sollten sich selbst hineinfinden, improvisieren. "Wir haben uns die Aufnahmen auch nie danach angehört. Das Einzige, was ich immer hatte, war ein Clicktrack." Das ist in Aufnahmestudios eine Art Metronom, das über die Kopfhörer und auf einer eigenen Tonspur den Takt vorgibt. "So konnte ich jedes Stück immer wieder neu mit immer neuen Musikern aufnehmen und es dann schließlich zusammenschneiden."

Ähnliche Aufnahmeverfahren sind im Jazz Tradition. John Coltrane probte nie vor Plattenaufnahmen, um das Maximum an Ideen aus seinen Musikern herauszuholen. Teo Macero wiederum ließ Miles Davis in seinen wüsten elektrischen Jahren stundenlang spielen und schnitt dann aus dem oft brachialen Material die besten Momente zu Alben zusammen. "Ah", sagt Alabaster DePlume. Nein, wusste er nicht. Wollte er immer so machen. "Das Album ist der Höhepunkt von vielen Jahren, in denen ich darauf hingearbeitet habe", sagt er.

Alabaster DePlume: "Gold". (Foto: International Anthem / Indigo)

Live geht das gleich so weiter. Auf seiner Amerikatournee stellt ihm in jeder Stadt jemand anders die Band zusammen. In New York war das die Trompeterin Jaimie Branch, in Chicago Monique Golding und in Los Angeles Carlos Niño. Und nein, auch von den Livemusikern kriegt immer nur eine Person das Material vorher. Wenn man die Kritiken liest, funktioniert die Methode ganz hervorragend. Die Rezensierenden sind jedenfalls ganz beseelt.

"Du musst mit mir spielen", sagt Alabaster DePlume plötzlich. Lustige Idee. Doch, wirklich lustig. Wäre als journalistischer Ansatz für diese Sorte Musik gar nicht so verkehrt. "Du hast ein sehr schönes Lachen", sagt er dann mit einer Ernsthaftigkeit in der Stimme, als hätte er einem gerade ein Kompliment für einen guten Einfall gemacht. Aber inzwischen ist man ja irgendwie in seinem Kosmos angekommen. Also erst mal: Danke. Und: Jederzeit.

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