Ausstellung "Ex Africa" in Paris:Die Epoche Post-Primitivismus

O trono de um mundo sem revoltas (Le trône dâÄÖun monde sans révolte), 2011

EX AFRICA. Présences africaines dans l'art d'aujourd'hui Jusqu'au 27 juin 2021 - Musee de Quai Branly--Jacques Chirac

Eine Pariser Ausstellung will mit den Klischees übers afrikanische Kunsterbe aufräumen. Das Museum Quai Branly zeigt, wie einflussreich das Schaffen der Künstler auf dem Kontinent ist - und wo es seinen Einfluss entfaltet.

Von Joseph Hanimann

Diese Schau zielt auf Konfrontation und hat ihren kritischen Biss auch nach zwei Monaten Lockdown-Starre nicht verloren. Ursprünglich war die Eröffnung von "Ex Africa" für Mitte Februar geplant. Jetzt, wo alle Museen Frankreichs wieder aufmachen dürfen, bleiben ihr noch knapp zwei Monate, um Besucher und Kritiker herauszufordern. Die Erwartung war groß auf diese erste Veranstaltung des Musée du Quai Branly unter seinem neuen Direktor, dem aus Neukaledonien stammenden Emmanuel Kasarhérou.

Es ist ungewöhnlich, dass eine Ausstellung sich offen polemisch auf eine andere Ausstellung bezieht. "Primitivism" hieß 1984 eine Schau des MoMA in New York, die zeigen wollte, wie vor einem Jahrhundert aus dem afrikanischen Kunsterbe bei Gauguin, Derain, Kirchner, Matisse, Nolde, Picasso die europäische Moderne entsprang. Dagegen erhebt die Pariser Ausstellung nun Einspruch. Dieser Begriff "Primitivismus" sei eine Erbverstümmelung und habe stets nur dazu gedient, die klassische afrikanische Kunst als Totmasse für die abendländische Avantgarde zu mobilisieren, protestiert der Kunstkritiker und Kurator von "Ex Africa", Philippe Dagen. Alle möglichen Stilrichtungen - Fauvismus, Expressionismus, Kubismus - habe man diesen alten Skulpturen und Masken aufgeschwatzt, statt auf ihre eigene Sprache zu hören. Mit Blick auf die Gegenwart dreht Dagen die Betrachtungsperspektive um. Seit gut zwanzig Jahren strahlten die schwarzafrikanischen Kunsttraditionen mit ihren Narrativen, Bildüberlagerungen und Synkretismen, so seine Überzeugung, zunehmend auf das internationale zeitgenössische Kunstschaffen aus. Und mit einem Panorama aus 150 Werken von drei Dutzend Künstlern, darunter die Hälfte als Erstpräsentationen direkt aus den Künstlerateliers, will er das in der Schau auch beweisen.

Die Holzskulpturen hocken im Halbdunkel auf ihren Sockeln

Schon als die MoMA-Ausstellung anlief, hatten A.R. Pencks hintersinnige Strichfiguren, James Browns und Jean-Michel Basquiats archaisierende Bildwelten oder die verspielt realistischen Rätselbilder des Kongolesen Chéri Samba die Idee des "Primitiven" gründlich zerzaust. Die Pariser Ausstellung konstatiert das trocken mit einem Dutzend pointiert ausgewählter Beispielwerke im klinisch weiß gehaltenen Eingangssaal und konfrontiert den Besucher im Folgesaal dann sofort mit der Gegenperspektive. Im schummrigen Halbdunkel blicken uns dort 34 polychrome Holzskulpturen auf ihren Sockeln entgegen. Es sind die Mitglieder der "Chapman Family Collection" von Jake und Dinos Chapman aus dem Jahr 2002, die in gekünstelt altafrikanischer Manier die Welt von McDonald's darstellen und die Londoner Tate, zu deren Sammlung sie gehören, noch nie verlassen haben. Ist das noch Pop Art oder schon etwas anderes?

Vue de l'exposition : Ex Africa, Présences africaines dans l'art aujourd'hui. Du 9 février au 27 juin 2021.

Die Mitglieder der "Chapman Family Collection".

(Foto: Léo Delafontaine)

Unter dem Stichwort "Pop" im Sinne von Aneignung und Verfremdung durch Konsum thematisiert die Ausstellung eine erste Kategorie des Fortlebens afrikanischer Kunsttraditionen in der zeitgenössischen Kunst. Hautfarbe und Herkunft der Künstler spielen da schon keine Rolle mehr. David Hammons' auf einen Wandhaken aufgespießte Maskensammlung, Bertrand Laviers Bronze-Maskottchen oder Jean-Michel Alberolas metallgestanzte Objekte "Masses africaines" suggerieren eine kommerziell gewordene Reproduzierbarkeit, wie sie bei Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Tom Wesselman auch mit westlichen Gebrauchsobjekten erfolgt war. Besonders augenfällig wird das in einem Originalbeitrag für die Ausstellung. Der französische Künstler Théo Mercier hat am Boden einen Berg aus Trümmern afrikanischer Masken aufgetürmt, die beim Transport für den europäischen Markt zu Bruch gegangen sind und nun als Ausschussware doch noch ins Museum gefunden haben.

"Metamorphose" nennt die Ausstellung einen zweiten Typus der Übernahme von afrikanischen Motiven in der zeitgenössischen Kunst. Über die artistische Verdinglichung von Kult- oder Gebrauchsobjekten hinaus werden die Gegenstände da gleichsam reanimiert, wenn etwa die Französin Orlan durch fotografische Doppelbelichtung Hybride aus afrikanischen Masken und realen Gesichtern schafft, wenn Annette Messager ihre "Portraits cubistes" mit offenen Augen und Mündern durchsetzt, wenn Gloria Friedmann Keramikstatuen von gehörnten Fabelwesen auf Sockel und Stühle stellt oder Leonce Raphael Agbodjelou aus Benin Frauen mit aufgesetzten Masken in kolonialem Ambiente fotografiert. Werden da aber nicht einfach die alten Stereotypen von Animismus, Bricolage und Folklore wieder bemüht? So ästhetisch reizvoll Romuald Hazoumés aus Plastikkanistern fabrizierte Masken sein mögen, wird Afrika in ihnen auf seine alten Spezialitäten festgemacht.

Tausende verwaschene Plastiksandalen erzählen von Migrationsschicksalen

Das Gegenargument sucht die Ausstellung im letzten Teil "Activation" zu liefern. Doch auch das überzeugt nur zur Hälfte. Vier Künstler wurden eingeladen, mit großen Auftragsinstallationen zu demonstrieren, wie sehr der Kontinent bei den großen Weltthemen heute mitzureden hat. Hazoumés am Boden ausgelegte Spiralwelle "No Return" aus Tausenden verwaschener Plastiksandalen, die der Künstler an den Stränden von Benin eingesammelt hat, erzählen auf ergreifende Weise von Migrationsschicksalen und ihren verschollenen Akteuren. Pascale Marthine Tayou aus Kamerun wiederum hat aus Bambusrohren, Glaspuppen und bunten Neonröhren einen Tempel installiert, der den Opfern eines Zugunglücks nahe der vom Goldfieber erfassten kamerunischen Kleinstadt Eséka - so auch der Titel der Installation - ein Denkmal setzt und zugleich die postkoloniale Bereicherungsgier denunziert.

Was beweist aber eine solche Demonstration, die ihre eigenen Zeugen aufbietet? Philippe Dagen wollte seine These von der Gegenwart Afrikas im zeitgenössischen Kunstschaffen untermauern und gab dafür entsprechende Werke in Auftrag. Hätte eine solche Ausstellung nicht besser ins Centre Pompidou als in den Quai Branly gepasst? Dagen winkt ab. Zu weit lägen dort die politische Reife und die kunstgeschichtliche Expertise noch zurück. So landete die Schau just in jenem Museum, das von seinen Beständen her am tiefsten in der Klemme sitzt. Denn unweigerlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage von Kulturgutbesitz und eventueller Rückgabe in die Ursprungsgebiete. Ein im Katalog dokumentiertes Begleitprogramm zur Ausstellung befragte alle beteiligten Künstler nach ihrem Verhältnis zu Afrika und zur Restitutionsproblematik. In der Vielfalt der Antworten spiegelt sich die Komplexität dieses Themas. Er sei gegen die Rückgabe, erklärt unumwunden der plastische Künstler Calixte Dakpogan aus Benin, denn die Werke hätten außer Landes einen größeren Wert. Eher, als museale Kunsträume in ihrem Land zu schaffen, sollte man die dort noch lebendigen Kulturoasen der Dörfer und Regionen vor zerstörerischen Entwicklungsprogrammen schützen, erklärt ihrerseits die Gabunerin Myriam Mihindou.

Der neue Quai-Branly-Direktor hat mit diesem noch von seinem Vorgänger angestoßenen Projekt die Messlatte der Kontroverse hoch angesetzt. Und das Berliner Humboldt-Forum sollte sich dieses Beispiel von offener Auseinandersetzung zwischen Forschung, Kunstgeschichte und Museumspolitik sehr genau ansehen.

Ex Africa. Présences africaines dans l'art d'aujourd'hui. Musée du quai Branly - Jacques Chirac. Bis 11. Juli. Der Katalog kostet 42 Euro. www.quaibranly.fr.

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