Debatte um "Black Swan":Schwanenkämpfe

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"Wenn die Realität so aussähe, wären wir eine kriminelle Vereinigung": Im düsteren Tanzfilm "Black Swan" geht es um Magerwahn, Besetzungscouch und mörderischen Wettbewerb. Die Ballettwelt ist alles andere als begeistert.

Dorion Weickmann

Wenn es seinem Metier an die Ehre geht, ist auf John Neumeier Verlass. Ehe er ein Flugzeug nach San Francisco bestieg, hat der Hamburger Ballettdirektor noch schnell den neuesten Hollywood-Import öffentlich abgebügelt. Darren Aronofskys Thriller "Black Swan", der eine Nachwuchs-Ballerina auf dem Weg zum "Schwanensee"-Debüt ins paranoische Inferno stürzt, zeige, so Neumeiers Kritik, "eine Welt von Kranken" und bediene "ein billiges Ballettklischee nach dem anderen". Als da wären: Magerwahn, Bulimie, Besetzungscouch, Drogen, überambitionierte Mütter, despotische Intendanten und mörderischer Wettbewerb - alles dazu angetan, jedes Verständnis dafür abzutöten, warum "diese Kunst es überhaupt wert ist, sich ihr hinzugeben."

Ist das Ballett wirklich ein so menschenverachtendes Geschäft, wie uns das der Film Black Swan mit Natalie Portman glauben machen will? Die Tanztheater zumindest sind über die Darstellung nicht gerade erfreut. (Foto: 20th Century Fox)

Neumeier befürchtet einen Imageverlust, sollte das Publikum "Black Swan" als Milieustudie verstehen, was durchaus passieren kann. Ahnungsvoll lehnte die Leitung des New York City Ballet jede Mitwirkung an den Dreharbeiten ab, obwohl ihr Solist Benjamin Millepied als Set-Choreograph und Nebendarsteller bei Aronofsky anheuerte. In Dortmund wird der neuerdings mit Promi-Faktor gehandelte Millepied seine nächste Premiere bestreiten, was Kompaniemanager Tobias Ehinger auf zusätzliche Zuschauer hoffen lässt. Gleichwohl sieht auch Ehinger "Black Swan" mit gemischten Gefühlen: "Schön, dass der Tanz auf diese Weise mehr Aufmerksamkeit bekommt, aber mit der Wirklichkeit hat der Film nichts zu tun, und das ist schon problematisch."

Weil die wenigsten Kinogänger eine Ahnung davon haben, was professionelles Tanzen bedeutet und wie Tänzer ticken: "Das sind nicht die kapriziösen Irren, die Aronofsky über die Leinwand jagt", erklärt Marie-Therese Volkmer vom Berliner Staatsballett, "sondern Hochleistungssportler!" Obwohl der Film ihrer Meinung nach als Horrortrip funktioniert, missfällt Volkmer, "dass nicht ein einziger Normalo auftaucht, der das Negativklischee aufweicht." Was eine pathologische Karikatur des Alltags zur Folge habe: "Eine magersüchtige Tänzerin hält keine drei Wochen durch - und heutige Ensembles sind schlicht Betriebe mit hoher Routine."

Genauso sieht das Bettina Wagner-Bergelt, stellvertretende Direktorin des Bayerischen Staatsballetts. Wer Tänzer sein will, sagt sie, "braucht innere Balance, ein intaktes Privatleben, Selbstbewusstsein und eine gesunde Lebensführung - also das Gegenteil von dem, was Aronofsky vorführt." An ihrem Haus sorgen Ernährungsberater, Physiotherapeuten und Osteopathen für die Fitness der Tänzer, die "ganz bestimmt rackern, aber sich nicht kasteien." Das Dasein der Staatsballett-Mitglieder sei eher bürgerlich als bohemehaft: Es gebe viele Heiraten und so viele Geburten, dass der Betriebskindergarten ständig Nachschub bekomme. Nichts davon im "Black Swan"-Soziotop, das Wagner-Bergelt für ein Gespenst aus dem neunzehnten Jahrhundert hält: "Wenn die Realität so aussähe, wären wir eine kriminelle Vereinigung - und ein Fall für den Staatsanwalt."

© SZ vom 24.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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