Sprachlabor:O schmölze doch ...

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Ferner: Warum sich gewundert werden darf

Von Hermann Unterstöger

DIE ALTE FRAGE, wie sakrosankt die Texte externer Autoren sind, betrifft auch deren stilistische Eigenheiten. Auch hier ist, soweit es sich nicht um Albernheiten handelt, Respekt geboten, und es sieht so aus, als habe dieser Respekt folgenden Satz eines renommierten Historikers vor dem redaktionellen Zugriff gerettet: "Lieber wurde sich an dem Phantasma abgearbeitet ..." Leserin Dr. H. ist der Ansicht, dass "ein derartiger Sprachgebrauch" - die Verwendung des Passivs reflexiver Verben - sowohl unschön als auch regelwidrig sei. Das Thema spielt in den Grammatiken keine große Rolle. Übereinstimmend stuft man dieses Passiv als irregulär ein, lässt es aber umgangssprachlich gelten, etwa bei Aufforderungen wie "So, und jetzt wird sich gewaschen". Mit souveräner Gelassenheit schließt Dr. Stephan Bopp auf seinem Blog den Komplex ab: Ja, es gibt reflexive Verben im Passiv, "aber es darf sich gewundert werden".

GEWUNDERT WURDE SICH aber auch im Sprachlabor, und zwar über die Einsendung von Leser A., die sich zunächst wie ein Text gewordener Begeisterungssturm ausnahm. Es ging um die Formulierung "Schmölze der ganze grönländische Eisschild ...", genauer gesagt um die aus dem "Hamlet" geläufige Verbform schmölze, über die Herr A. sich derart freute, dass er sie gleich dreimal wiederholte: "Schmölze, schmölze, schmölze." (Hierher passt, was Ulrich Seidler einmal in der Frankfurter Rundschau schrieb: dass, wer "schmölze" mit ein bisschen Genuss spricht, sich selbst einen Zungenkuss schenke.) So ging das noch eine ganze Weile weiter, im hohen Ton und mit Konjunktiv-II-Bildungen vom Feinsten, bis dann des Pudels Kern ans Tageslicht kam. Herr A. war nämlich nur vom zitierten Halbsatz angetan. Der ganze Satz hatte so gelautet: "Schmölze der ganze grönländische Eisschild, würde der Meeresspiegel um etwa sieben Meter steigen." Worauf A. hinauswollte, das war nichts Geringeres als ein Parallelismus membrorum, also ein mit schmölze korrespondierender Konjunktiv II von steigen, auf dass der Nachsatz so begönne: "... stiege der Meeresspiegel." Stäke doch in allen Briefen so viel Stoff zum Tüfteln!

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