Sprachlabor:Schneeleute im Soll

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Dass das Gendern nicht immer ganz einfach ist, hat so manch einer schon gemerkt. Dumm nur, dass politische Korrektheit das Momentum auf ihrer Seite hat.

Von Hermann Unterstöger

AUCH KLEINE PROBLEME sind Probleme, und so fragt denn Leserin Dr. B. dringlich nach, ob mit Pluralformen wie "Seemänner" oder "Fachmänner" verkappt gegen das Gendern gearbeitet werde: Bei "See-" und "Fachleuten" wären, so könnte man Frau B. verstehen, ja die Frauen eingeschlossen. Entwarnung! Die Tatsache, dass unser Archiv für den Zeitraum eines Jahres 1853 "Fachleute", aber nur 10 "Fachmänner" ausweist, zerstreut diesen Verdacht. Im Duden findet sich die Regel, dass -mann im Plural zu -leute wird, "wenn von Berufen, Ständen oder von Menschengruppen die Rede ist, die man - ohne Geschlechtsbezug - im Hinblick auf die Gemeinsamkeit ihres Tuns oder ihrer Funktion betrachtet". Also: Bergmann, Bergleute. Steht die Individualität im Vordergrund, so lautet der Plural -männer, was signifikant auf den Ehemann zutrifft: Ehemänner (beide Partner firmieren als Eheleute). Sollte der Winter, Gott bewahre, streng werden, wollen wir das Thema im Hinblick auf Schneemann/Schneeleute neu aufgreifen.

IM STREIFLICHT wurde kürzlich die besonders unter Fußballern verbreitete Marotte kritisiert, sich der präziseren Benennung von Fakten, Zuständen oder Fähigkeiten zu verweigern, indem man das aus dem Englischen importierte Momentum verwendet: "Das Momentum war nicht mehr auf Jogis Seite" (Per Mertesacker). Wo war es dann? Nach landläufiger Auffassung würde man unterstellen, es sei in Jogis Bilanzbuchhaltung nicht mehr auf der Haben-, sondern auf der Sollseite gestanden. Apropos "im Soll stehen": Dieser Formulierung begegnet Leser G. neuerdings immer wieder, und zwar in einem Sinn, der mit seinem Verständnis von Soll und Haben nicht übereinstimmt. Wenn aus Sportvereinen jetzt zu hören ist, sie seien "voll im Soll", ist damit in aller Regel aber nicht gemeint, sie hätten eine Belastung. Im Gegenteil wird angedeutet, dass sie es geschafft hätten, dass es gut für sie laufe, ja dass sie, anders als Jogi, das Momentum auf ihrer Seite hätten.

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