Leserbriefe:Braucht es mehr Forschung zu Long Covid?

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Karikatur Leserbriefe Long Covid (Foto: Michael Holtschulte)

Gesundheitsminister Karl Lauterbach will 100 Millionen Euro in die Forschung rund um Post-Covid stecken. SZ-Autor Werner Bartens sieht die Ankündigung kritisch - viele Leser halten dagegen.

Kommentar "Millionen fürs Falsche" vom 15. September:

Keine "Tendenz zur Selbstheilung" gespürt

Ich schreibe Ihnen im Namen der Selbsthilfegruppe Long Covid Duisburg und Umgebung. Fast alle von uns leiden seit weit mehr als einem halben Jahr an post-viraler Fatigue, Belastungsintoleranz, kognitiven Störungen und körperlichen Schmerzen. Im Gegensatz zur Depression, die zum Beispiel von Antriebs- und Interessenlosigkeit geprägt ist, empfinden wir sehr viel Antrieb und würden uns nichts sehnlicher wünschen, als schnellstmöglich wieder am Arbeits- sowie sozialem Leben teilhaben zu können.

"Eine Tendenz zur Selbstheilung" war keinem von uns vergönnt, und Sie können sicher sein, dass jede/r alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, zu heilen und das alte Leben wiederzuerlangen. Und dabei ist es uns egal, ob die Ursachen des Leids rein somatisch sind oder nicht.

Verena Meyer, Duisburg

Hoffnung auf Therapien

Der Autor Werner Bartens fühlt sich berufen, sich für Diabetes, Multiple Sklerose oder Parkinson einzusetzen, Krankheiten, bei denen er Forschungsgelder besser aufgehoben sieht als bei einer Krankheit, bei der die "körperlichen Symptome nach sechs Monaten oft nachlassen" und bei der "psychische Labilität als einer der Risikofaktoren gilt". Es soll "die Therapie eines diffusen Krankheitsbildes erstattet werden, für das es keine seriöse medikamentöse Behandlung gibt". Bravo Herr Bartens, genau darum geht es, um Forschungsgelder, mit deren Hilfe eine seriöse medikamentöse Behandlung gefunden wird.

Wie zynisch muss man sein, zu verlangen, dass Post-Covid-Betroffenen nicht geholfen werden darf, weil ansonsten 10 000 Zuckerkranken die Füße amputiert werden? Viele Menschen mit Diabetes oder auch Multipler Sklerose können heute durch Medikation und Therapien mit einer guten Lebensqualität ihrem Alltag nachgehen. Medikation und Therapien, die erst durch Forschung entwickelt wurden. Bei Post-Covid kann man momentan von einer Qualität des Lebens kaum sprechen.

Claudia Burau, München

Schritt in die falsche Richtung

Nach meiner persönlichen Erfahrung mit zahlreichen Gutachten und Begutachtungen lässt sich inzwischen leider der drängende Anspruch vieler vermeintlich "Betroffener" erkennen, unklare Beschwerdebilder als oft fremdverschuldete Diagnosen von Krankheitswert bestätigt zu bekommen. Die meist ursächlichen persönlichkeitsbedingten Probleme und anderweitigen familiären, beruflichen und biografischen Belastungen und Frustrationen werden dabei übersehen/vernachlässigt, was auch die schlechten nachhaltigen Behandlungsergebnisse erklären könnte. Gerade bei psychosomatischen Diagnosen ist die Identifizierung der tatsächlichen Kausalität für den Behandlungserfolg aber von essenzieller Bedeutung.

Es ist aber zu befürchten, dass das öffentlichkeitswirksame Auftreten des Prof. Lauterbach und die Aussicht auf Fördergelder sowohl bei Betroffenen als auch bei bestimmten Medizinerkreisen diese ungünstigen Tendenzen noch verstärken und verfestigen lässt; mit dem inzwischen regelmäßigen Gebrauch der völlig unspezifischen Diagnose "Post-Covid-Syndrom" wurde bereits der erste Schritt in die falsche Richtung gemacht, wie Sie völlig richtig diagnostiziert haben.

Dr. Roland Schelter, Vaterstetten

Erforschung der Versorgungslage

Sie übersehen, dass die avisierten 100 Millionen aus dem Gesundheitsressort nicht einmal für Therapie- und Medikamentenforschung eingeplant sind, sondern lediglich für die Erforschung der Versorgungslage und die tatsächliche Versorgung der Betroffenen. Verantwortlich für die Therapieforschung ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Bisher standen noch nicht einmal Mittel zur Verfügung, um die Anzahl erkrankter Menschen überhaupt zu erfassen.

Jakob Dauser, Aalen

Handreichungen für Ärzte wäre nützlicher

Wahrscheinlich liegt Werner Bartens richtig mit seiner Einordnung der Motive des Bundesgesundheitsministers. Dazu passt die aufwendige Plakatkampagne. Sie wirkte auf mich fast so, als würde das Ministerium bei den Versicherten dafür werben, Symptome von Post-Covid an sich selbst zu entdecken. Mein erster Gedanke war, dass einschlägige Handreichungen für Hausärzte doch wahrscheinlich nützlicher wären.

Axel Lehmann, München

Geld wäre gut angelegt

Abgesehen davon, dass das Ausspielen von Krankheiten untereinander problematisch ist, ist Geld dort sicher gut angelegt, wo die Lebensqualität eine der schlechtesten ist, Betroffene derzeit immer noch keine adäquate medizinische Betreuung und Behandlungsoption haben und man von vergleichsweise unterfinanzierter Forschung sprechen muss (eine andere Situation als bei den von Ihnen angeführten Krankheiten) und in Zukunft wirtschaftliche Probleme mit neuer Dringlichkeit und Brisanz zu erwarten sind. Wir als Betroffene kämpfen seit Jahrzehnten gegen das politische Herunterspielen auf "psychische Labilität" unserer schweren Erkrankung. Ja, das Krankheitsbild ist komplex, und trotzdem ist das kein Grund aufzugeben.

Dr. Judith Schoßböck, Mattighofen (Österreich)

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