Verkehrswende in München:Der Kampf um den Straßenraum geht weiter

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Mehr Platz für Autos, oder doch für Radfahrer? Die historische Aufnahme zeigt den Münchner Marienplatz. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Den einen geht es nicht schnell genug voran für die "Radlhauptstadt", den anderen verschwinden zu viele Autospuren und Parkplätze. Unversöhnliche Konstanz statt einer echten Wende.

"Verkehrswende im Schneckentempo" vom 20./21. April:

Fahrverbotsvermeidung

Wenn Bernd Kastner in seinem sehr guten und ausführlichen Artikel den Gedanken der SPD samt Oberbürgermeister (OB) anführt, Tempo 30 auf der Landshuter Allee auszuprobieren, so ist dies ganz sicher nicht auf den Willen zur Schadstoffbegrenzung und weniger Lärm und somit zur Gesundheit der Bürger zurückzuführen, sondern dient nur dazu, Diesel-Fahrverbote zu entschärfen oder zu umgehen.

OB Reiter, bekennender Autofreund, interessiert sich weder sonderlich für Verkehrswende noch für Umwelt oder Nahverkehr, soviel lässt sich nach den zehn Jahren, in denen er jetzt OB ist, sagen. Daher verstehe ich nicht, woher die "ratlosen" Betrachtungen im SZ-Artikel rühren: Von der autovernarrten CSU ist sicher nichts zu erwarten, vom OB aber eben leider auch nicht.

Dass OB Reiter, dem wir die fabelhafte IAA zu verdanken haben, sich für eine smarte Mobilitätspolitik (Zitat SZ) interessiert oder sich bei Verkehr und Mobilität an den Städten Barcelona oder Paris orientiert, bleibt ein frommer Wunsch der SZ; die ohnehin immer irritierend wohlwollend über diesen autofixierten OB berichtet. Herr Reiter dürfte sich vor allem für eines interessieren: Dass er für eine dritte Amtszeit gewählt wird. Dann sind weitere sechs Jahre Schneckentempo in der Münchner Verkehrspolitik programmiert.

Vera Deininger, München

Grünes Meinungspamphlet

So ein Lokalreporter hat es leicht: Zur Recherche geht's mit leichtem Gepäck per Radl oder MVV. Und wenn's regnet, schreibt man mal ein strikt grünes Meinungspamphlet über die Verkehrswende.

Die Hälfte der Münchner, die ein Auto haben und von denen viele es beruflich brauchen und oft in ihrer Straße keinen Parkplatz finden, die Leute, die etwas Schweres transportieren müssen, die Menschen, die behindert sind oder schlechte öffentliche Verkehrsmittel benutzen müssten, kommen da nicht vor. Die schlimmen Staus, die die aufwendigen, ewig dauernden Baumaßnahmen für die wahrscheinlich breitesten und sicher teuersten Fahrradwege Europas verursachen, vergisst er auch. Und er übersieht, wie viel Verkehr schon aus der Innenstadt durch die Verengung der großen Einfallstraßen und die Vernichtung von Parkplätzen verdrängt wurde.

Eine autofreie Stadt wird genauso eine öde Stadt sein wie eine autogerechte Stadt. Die richtige Mitte muss noch gefunden werden.

Dr. Florian Seidl, München

Große Klappe, große Emissionen

Großen Dank für Ihren Artikel. Drei Anmerkungen nur, und eine Anregung: Schade, dass Sie nicht en passant erinnert haben an den großmäuligen Slogan "Radlhauptstadt München". Ich glaub', 2017 war das, als Flyer und Stoffbeutel mit dieser Hochstapelei unters Volk gebracht wurden. Reiter trat auf dem Königsplatz bei einer großen Veranstaltung auf und sonnte sich in diesem Slogan. Man musste sich schwerst veräppelt fühlen. Dreist.

Dass die Stadt keinerlei Ehrgeiz hat, Radlhauptstadt zu werden, zeigen die vielen Beispiele anderer Städte, auch Kopenhagen gehört zu den Vorbildern, Amsterdam eh und sogar deutsche Städte wie Münster und Freiburg.

Im Gegenteil: Reiter versucht fortgesetzt, wie auch jetzt wieder nach dem Termin beim Verwaltungsgerichtshof im März, Gerichtsurteile zu unterlaufen. Lieber Tricks anwenden als Gesundheitsschutz für die Anwohner betreiben. Dabei sind die Grenzwerte hierzulande immer noch zu hoch angesetzt, höher als die WHO empfiehlt. Dabei geht's um unser aller Gesundheit! Ist das zu fassen?

Wenn man generell den Emissions-Spar-Ehrgeiz unserer Stadtregierung (und natürlich besonders der Grünen!) beurteilen will, braucht man nur mal Ausschau zu halten nach Photovoltaik auf städtischen Gebäuden.

Claudia Decker, München

Autofeindliches München

Wie ein kleines Besserwisserkind litaneit Bernd Kastner die große Radfahrer-Wunschliste herunter, die Realität lässt er dabei gerne außen vor. Zwar sind auch durch Corona und durch den massiven Anstieg bei E-Bikes mehr Menschen aufs Rad umgestiegen, es sind allerdings auch mehr Kfz als je zuvor in München zugelassen worden. Der Verfasser ist nur auf seinen eignen Vorteil bedacht, die jetzt schon starken Einschnitte für den Individualverkehr bleiben ungenannt. Am Bahnhof gibt es keine Parkplätze mehr, Menschen mit Gepäck zum Bahnhof zu bringen oder abzuholen, ist kaum möglich. Sendlinger-Tor-Platz, Maximilianstraße, Von-der-Tann-Straße und viele mehr sind um Fahrspuren reduziert, die Brienner Straße am Odeonsplatz gar ganz gesperrt - all das ist dem Verfasser noch zu wenig. Die Tatsache, dass München bereits 2023 Rekord-Staustadt war, wird völlig ignoriert. Statt weniger Stau, Lärm und Dreck wird es durch die gewünschten Maßnahmen noch mehr geben.

Ein Blick auf die Radwege zeigt, dass 90 Prozent der Zweiräder eigentlich nur im Sommer bei gutem Wetter unterwegs ist, bei Niederschlag oder kühlen Temperaturen fällt die Anzahl rapide oder tendiert gegen null. Die asphaltierte Fläche bleibt ungenutzt. Leider hat Rot-Grün es in den Jahren der Regentschaft auch nicht geschafft, die vorhandenen Radwege in einen besseren Zustand zu versetzen, da man/frau sich wohl besser darin gefallen hat, Autospuren zu sperren und als Radweg zu deklarieren. Der auch vom Verfasser als überfüllt deklarierte Isarradweg, ist seit mindestens 12 Jahren eine einzige Buckelpiste, ich benutze diesen selbst. Überfüllt ist er beileibe nicht, gehört aber dringend mal saniert.

Fazit: Die einseitigen Betrachtungen des Verfassers sind nicht zukunftsfähig. Die Chuzpe, mit der man Münchner 73 Stunden im Jahr in den Stau stellt, also fast zwei Arbeitswochen Lebenszeit wissentlich verschwendet, ist durch nichts zu rechtfertigen. Man beschwert sich über Parkplatzsuchverkehr, der übrigens 30 Prozent des innerstädtischen Verkehrs ausmacht, vernichtet aber Parkplätze im großen Stil, statt unterirdische Parkhäuser zu bauen oder die gerade nachts massenhaft ungenutzten Supermarkt- und Behördenparkplätze zu öffnen. Wir sind hier nicht in einem chinesischen Umerziehungslager, sondern in einer Stadt, wo bitte allen Verkehrsteilnehmern Augenmerk geschenkt wird.

Thomas Dassel, München

Keine echte Verkehrswende

Ist-Beschreibung perfekt, Ursachen-Analyse dünn, Zielbeschreibung super, bestes Beispiel daneben. Fußgehende und Radfahrende werden Bernd Kastner in seiner Ist-Beschreibung nur zustimmen können. Er beschreibt die Diskrepanz zwischen Koalitionsvertrag und Realität in vielen Details. Was leider fehlt, ist die Ursachen-Analyse: Woran oder an wem liegt es denn nun, dass in München nicht klappt, was in anderen großen Städten möglich ist? Obwohl wir eine grün-rote Stadtregierung haben? Wer macht denn Politik nicht mit genügend Mut angesichts der offensichtlichen Dringlichkeit? Man würde sich wünschen, dass unsere Stadtregierung des Autors Rollenverteilung übernähme, bei der beide Koalitionspartner gewännen und vor allem die Verkehrswende vorankäme.

Was Bernd Kastner allerdings dazu bringt, ausgerechnet die sogenannten "Schanigärten" als "bestes Beispiel für eine gelungene neue Aufteilung des öffentlichen Raums" zu beschreiben, bleibt wohl sein und der Grünen Geheimnis, die diese weitere Gastrofizierung des öffentlichen Raums ersonnen haben. Anstatt Straßenraum wirklich zugunsten des Fuß- und Radverkehrs umzuwidmen, war es also wirklich Münchens bestes Beispiel für Raumumverteilung, Menschen in den Sommermonaten gnädig zu erlauben, auf Parkplätzen teure Getränke zu trinken und dabei Abgase einzuatmen? Und darauf zu hoffen, dass kein verwirrter Autofahrender Bremse und Gaspedal verwechselt, weil es dann erst richtig gesundheitsgefährdend würde? Da scheint nicht nur unsere grün-rote Stadtregierung noch nicht ganz verstanden zu haben, wie eine echte Verkehrswende aussieht, sondern auch unser Autor. Allen sei der Besuch von Paris und Barcelona wärmstens empfohlen, oder, klimaschonender, die Lektüre von "Städte für Menschen" von Jan Gehl (der unserem OB ja auch schon Unterstützung angeboten hatte, aber schon an dessen Terminkalender gescheitert ist).

Dr. Thomas Michel, München

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