"Kurz und schamlos" vom 15./16. Juli, "Nicht zu fliegen ist auch keine Lösung" vom 24./25. Juni:
Umgerechnet
In dem Beitrag über den Vielflieger mit dem Status HON (die Abkürzung "HON" steht für die Vielflieger-Kategorie "Honorary Circle"; d. Red.) beschreibt die Autorin das fliegerische Leben dieses Herrn auf gut lesbare Weise, sodass man die nicht ausgesprochene Missbilligung in jedem Absatz spüren kann. Wenn es allerdings um die Mengen an CO₂ geht, die dem Klima schaden, so versucht die Autorin eine Relativierung, die auch unter Politikern gerne benutzt wird, um eigene Interessen zu erklären.
Man kann natürlich die CO₂-Menge auf die Person umrechnen, was dann einen ultimativen Handlungsbedarf in Deutschland erklärt. Allerdings ist es dem Klima total wurscht, ob die Chinesen pro Kopf nur circa acht Tonnen pro Jahr ausstoßen, wenn von dort insgesamt 11 256 Millionen Tonnen CO₂ ausgestoßen werden. Das sind 30 Prozent des weltweiten Ausstoßes, für Deutschland zwei Prozent bei 728 Millionen Tonnen pro Jahr. Es wäre schön, wenn dieses Thema auch in den Medien realistischer vermittelt würde.
Norbert Vollmeyer, Aschau am Inn
Nachgerechnet
Der im Übrigen gut gemachte Artikel gibt ein Vielflieger-Argument wieder, wonach der CO₂-Ausstoß im innerdeutschen Flugverkehr nur 0,3 Prozent ausmache. Das wird im Artikel jedoch nicht näher kommentiert. Weil die physikalischen Zusammenhänge unerwähnt bleiben, ist für den Leser nicht erkennbar, dass diese Aussagen eine nicht hinnehmbare Verniedlichung des Klimaproblems sind, für die der Flugverkehr verantwortlich ist.
Das Problem ist ein zweifaches: Erstens ist es schon lange Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass CO₂, welches in Reiseflughöhe emittiert wird, klimawirksamer ist als eine CO₂-Emission am Boden. Daher ist die durch CO₂-Emissionen beim Fliegen verursachte Klimaerwärmung meines Wissens nach bis zu fünf Mal höher, als sie es am Boden wäre.
Zudem ist hier eine Mengenbetrachtung angebracht dazu, wie groß die Klimabelastung insgesamt ist, die durch innerdeutsche Flüge verursacht wird. Berechnungen des Umweltbundesamtes für das Jahr 2017 zeigen nämlich sehr klar: Fliegen erzeugt 201 Gramm Treibhausgase (CO₂, CH4, N2O) pro Personenkilometer, und innerdeutsche Flüge bewirkten eine Gesamtemission von 2,5 Millionen Tonnen an Treibhausgasen!
Helmut Schumacher, Hennef
Ungerecht
Die Ignoranz des Vielfliegers macht sprachlos. Es ist aber nicht nur dieser Fluggast. Es sind insbesondere auch die verantwortlichen Politiker, die nicht eingreifen und das Vielfliegen auf kurzer Strecke weiterhin billigen. Wie im Artikel beschrieben, emittiert ein Fluggast auf der Strecke Frankfurt - München etwa 15-mal so viel CO₂ wie ein Fahrgast der Bahn auf der gleichen Strecke.
Die Meldungen über Extremwetterereignisse überschlagen sich dieser Tage. Temperaturen bis fast 50 Grad werden in Europa erwartet. Der Aufmacher in der heutigen Ausgabe wirft die Frage auf, ob das Klima schneller kippt als bisher erwartet, und schildert plastisch und drastisch die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels. Das Eis der Antarktis sei um 20 Prozent zurückgegangen, Hitzewellen suchen Europa heim, Temperaturrekorde allenthalben.
In Regionen, in denen die meisten Menschen leben, die kaum zur globalen Erwärmung beigetragen haben, in Afrika und weiten Teilen Asiens, sind die Folgen für die betroffenen Menschen zumeist ungleich dramatischer: Dürren, Überflutungen und oft daraus resultierende Hungerkatastrophen.
Vielflieger und Menschen mit einem extrem hohen CO₂-Verbrauch, zumeist reiche und sehr reiche Menschen, tragen in drastischem und beschämendem Umfang zur Klimaerwärmung bei. Das ist keine Petitesse. Das ist ein Angriff auf unsere gemeinsamen Lebensgrundlagen. Hier muss die Politik endlich ansetzen, gemäß dem Verursacherprinzip. National und international.
Reiner Gorning, Hamburg
Kognitive Dissonanz
Ja, Sonja Salzburger hat recht, wenn sie schreibt: "Eine relativ kleine Gruppe ist [...] für einen überproportional großen Teil der weltweiten Emissionen verantwortlich." Dass Sie aus dieser zutreffenden Analyse nicht den Schluss zieht, als Teil dieser kleinen Gruppe auch einen klaren Beitrag dafür zu leisten, dass nicht noch mehr (Flug-)Emissionen entstehen, kann ich nicht verstehen. Ich kann es nur erklären.
Es handelt sich um den typischen Fall von kognitiver Dissonanz. Wir wissen eigentlich, was richtig ist, handeln aber nicht danach. Wir wissen, dass der Verzicht auf Flugreisen gut fürs Klima ist. Jeder Flugkilometer zerstört unsere persönliche CO₂-Bilanz, da kann man im Alltag noch so umweltbewusst und nachhaltig leben.
Ich finde es daher überhaupt nicht falsch, "mit dem Finger auf all jene Reisenden zu zeigen, die auch im Jahr 2023 [...] mit dem Flugzeug verreisen". Ihr Verhalten führt dazu, dass mein Leben und das aller nachfolgenden Generationen negative Auswirkungen spüren werden. Ich fühle mich daher wie der Passivraucher, der durch den Raucher geschädigt wird, nur mit dem Unterschied, dass ich den Raum, in dem der Raucher sich befindet, nicht verlassen kann.
Wir alle leben auf diesem einen Planeten. Daher sollte es unsere rationale und moralische Pflicht sein, alles dafür zu tun, damit dieser Planet für uns Menschen noch lange bewohnbar bleibt. Der Verzicht auf eine jährliche Urlaubsflugreise sollte uns vor diesem Hintergrund eigentlich leichtfallen.
Jochen Staudacher, Überlingen
Ein Runde Mitleid
Der Herr HON ist ein bedauernswerter, armer Kerl. Er muss einfach mithalten im Club der VIP-Flieger, sonst bricht sein Selbstwertgefühl zusammen. Er hat sogar Angst davor, sich von seiner Familie zu entfremden, wenn er mal eine Nacht nicht zu Hause ist. Er ist im Gruppenzwang der jungen Aufsteiger gefangen, die zur Upperclass gehören wollen. Seine Kollegen, die er auf diversen Tagungen mit den Kurzflugreisen trifft, ticken sicher ähnlich. Es erfordert ungeheuren Mut, sich aus dieser Luftblase zu befreien, und wäre in etwa vergleichbar mit dem Ausstieg des Ex-Atommanagers Klaus Traube.
Eine Lösung des Problems wäre aber ganz einfach. Der Lufthansa werden Kurzstreckenflüge ab sofort untersagt wie in Frankreich und in vielen anderen europäischen Ländern auch. Dann muss sich unser HON für Bahnreisen zwar etwas mehr Zeit nehmen. Er kann sich dabei aber viel gründlicher auf das bevorstehende Meeting vorbereiten. Er verhandelt erfolgreicher, und das trägt mehr zu seiner Karriere bei. Seine Frau und Kinder werden ihm schon die eine oder andere Hotelübernachtung verzeihen. Herr HON wird sich dann einfach besser fühlen, weil er jetzt einen echten Beitrag zum Klimaschutz leistet und nicht mehr in der Süddeutschen Zeitung veräppelt wird.
Ulrich Pfeiffer, Schwetzingen
Sicht aus dem Cockpit
Wer fliegt, zahlt keine Energiesteuer. Dem Staat entgeht auch die Mehrwertsteuer. Für internationale Flugtickets ist überhaupt keine fällig, und selbst CO₂-Abgaben sind für die Flüge außerhalb der EU nicht vorgesehen. Flughäfen und Autos stecken mehr Subventionen ein als die Bahn. Würden für Flüge ähnliche Steuersätze gelten wie für Autos und ÖPNV, dann wäre auch Geld da, um die Bahn pünktlicher zu machen.
Ich bin selbst Flugkapitän bei einer großen Airline und verdiene sehr gut an der Werbung, die in den Medien fürs Fliegen läuft, und an der Tatsache, dass internationale Flüge vollkommen mehrwertsteuerfrei sind! Mit Mehrwertsteuer im Auto oder ÖPNV zum Discounter, aber mehrwertsteuerfrei im Flugzeug zur Kreuzfahrt, nach Bali oder New York - sozial und zeitgemäß ist das schon lange nicht mehr.
Wirft der Artikel nicht die logische Frage auf, ob es noch moralisch und volkswirtschaftlich zu verantworten ist, dass in Medien Dinge positiv besprochen werden, deren Herstellung und Betrieb besonders klimaschädlich sind? So zum Beispiel der Bau des Tesla-Werks im wasserarmen und Waldbrand-geplagten Brandenburg?
Durch prominente Darstellung der Produkte "Fliegen" und "SUV" steigen Bekanntheit und Nachfrage. Das Fliegen und SUVs werden als Fortbewegungsmittel normalisiert und begehrenswerter. Mit keiner Silbe wird diskutiert, inwiefern es die Wahrnehmung der Leser beeinflusst, wenn vorgeblich neutrale Medien fortlaufend klimaschädliche Werbung abdrucken.
Mir wird wiederholt gesagt, dass neutrale Medien finanziell von klimaschädlicher Werbung abhängig sind, um unabhängigen Journalismus machen zu können. Aber selbst wenn formell Redaktion und Verlagsgeschäft strikt getrennt sind, entsteht für den Leser dennoch der Eindruck: "Die Leitmedien finden es auch okay, wenn ich noch ein SUV kaufe und noch viele Fernreisen buche."
Der Gesamteindruck, der zum Beispiel durch die SZ-Reihe "Einmal im Leben" erzeugt wird, lässt sich meiner Meinung nach so zusammenfassen: Die SZ will, dass ich mehr Wasser verbrauche und weniger auf das Klima achte und mehr an meinen eigenen Vorteil denke, so wie es mir die darin geschaltete Werbung suggeriert.
Klaus Siersch, München, Flugkapitän
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