GDL-Streik:Wer bleibt auf der Strecke?

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Denis Metz Bahnstreik (Foto: Illustration: Denis Metz)

Claus Weselsky setzt die Deutsche Bahn mit Streiks unter Druck. SZ-Leserinnen und -Leser finden komplett unterschiedliche historische Vorbilder für den Gewerkschaftschef der GDL.

Kommentar "Es lebe Claus Weselsky" vom 25. Januar und Kommentar "Der Scharfmacher" vom 23. Januar:

Belastet Fahrgäste

Wie weltfremd kommt der Kommentar von Kathrin Werner daher? Sie feiert das Ego eines Mannes, der ein ganzes Land tagelang mit überzogenen Forderungen lahmlegt. Dass dies für die Fahrgäste nur belastend sei, nicht mehr, halten wir nicht nur für eine Untertreibung, sondern eine Unverschämtheit.

Welche Dramatik sich durch den Streik für viele Menschen ergibt, nicht nur psychischer, sondern auch finanzieller Art (etwa den Arzt nicht erreicht, Familie nicht gesehen, Urlaub ausgefallen und alles mit Kosten verbunden), erkennt sie genauso wenig wie die Folgekosten für den gebeutelten Staat und die Wirtschaft. Selten hat uns ein Kommentar so verärgert.

Brigitte und Bernd Broßmann, Neubiberg

Wie Michael Kohlhaas

Allein bei der Ankündigung eines langen Streiks durch den Spartengewerkschaftsführer Weselsky verbunden mit verbalen Attacken gegen den Bahnvorstand, um diesen zur "Besinnung" zu bringen, sträubten sich mir die Nackenhaare. Wer muss hier zur Besinnung gebracht werden? Hier will sich ein Spartengewerkschaftsführer ein Denkmal vor seinem Abgang setzen.

Natürlich hat jede Gewerkschaft das verbürgte Recht, durch einen Streik Forderungen durchzusetzen, aber bei Weselsky geht es um Maximalforderungen und die Verweigerung von Verhandlungen über Angebote der Bahn.

In seiner Maßlosigkeit erinnert Weselsky an die bekannte literarische Figur Michael Kohlhaas, dem Unrecht angetan worden war und der dann das Land mit Selbstjustiz überzog. Das Recht auf Streik wird jedoch in diesem Fall nicht infrage gestellt. Es ist die Maßlosigkeit und Unverhältnismäßigkeit mit der Weselsky seine Maximalforderungen durchsetzen will.

Bahnfahren gehört zur Daseinsfürsorge und ist für viele Menschen alternativlos. Bahntransporte sind für das Funktionieren der Wirtschaft unabdingbar. Jetzt geht der Schaden in die Milliarden. Und schon ruft die Wirtschaft nach Veränderung des Streikrechts. Es muss einem Staat doch möglich sein, einen Gewerkschaftsführer, der den Sinn für Kompromisse verloren hat und die Sozialpartnerschaft massiv beschädigt, zu einem Schlichtungsverfahren zu verpflichten.

Oder das Streikrecht muss entsprechend verändert werden. Man versteht den Bahnvorstand, dass er, nachdem er vor dem letzten Streik vor Gericht verloren hat und angesichts der Schmähungen von Weselsky, seinen erpresserischen Forderungen nicht nachzugeben breit ist. Es ist Weselskys Maßlosigkeit und die Unverhältnismäßigkeit des Streiks sowie sein egoistisches Interesse, das die Menschen gegen ihn aufbringt.

Jürgen Einhoff, Hildesheim

Das Gemeinwohl sichern

Der Kern der Fehleinschätzung ist, dass Herr Weselsky glaubt, wenn die Arbeitszeit verringert würde, dann kämen mehr Arbeitskräfte zur Bahn. Die fehlen aber dann anderswo! Wenn er recht hat, fordern dann die Arbeitnehmer anderer Branchen auch verkürzte Arbeitszeiten, sie treten in einen Verkürzungswettbewerb untereinander, denn dann bekommen sie mehr Bewerber für die offenen Stellen. Und am Schluss: In der Theorie arbeiten dann alle nur noch eine Stunde pro Woche!

In die gleiche Kerbe schlägt Frau Werner mit ihrem Kommentar. Sie verkennt wie alle Gewerkschaftler, dass die 35-Stunden-Woche von der IG Metall in den 90er-Jahren mit dem Argument erstritten wurde, man müsse bei der hohen Arbeitslosigkeit die Arbeit auf mehr Schultern verteilen, damit mehr Leute eingestellt werden können. Keine Gewerkschaft hat erkannt, dass mit der gleichen Logik jetzt in Zeiten von Arbeitskräftemangel alle etwas mehr arbeiten müssten, um das Gemeinwohl zu sichern. Aber das ist das Problem: Jeder will nur noch sich selbst verwirklichen. Doch Wohlstand braucht Solidarität und Gemeinsinn.

Dr. Hans Haußer, Trostberg

Im Kindergarten

Es lebe Claus Weselsky? Nein! Ich bestehe darauf, dass man Vernunft walten lässt und, wo das nicht möglich ist, die Unvernunft nicht auch noch hochleben lässt. Vernünftige Menschen setzen sich an einen Tisch und bleiben da sitzen, bis ein Problem gelöst ist. Nur im Kindergarten weist, wenn es Zoff gibt, einer mit dem Finger auf den anderen: Nicht ich, der andere hat Schuld!

Norbert Weis, Bad Neuenahr

Wie Carlo Schmid

Ein Mensch sagt, was er denkt. Und denken kann er. Er tut, was er sagt. Er beherrscht Strategie, Taktik, hat Moral und Kampfmoral. Hat seine Leute hinter sich. Er warnt andere vor. Auch den Gegner. Kollateralschäden sind zwar zwangsläufig, da systemimmanent, aber nicht gewünscht - und auch vom Gegner verursacht.

Warum ist Claus Weselsky nur in dieser merkwürdigen CDU? Warum gibt es in Deutschland niemanden mehr, der so klar, glaubwürdig, demokratisch, freiheitlich und die Tarifautonomie des Grundgesetzes verteidigend Politik macht? Der letzte hieß Schmid, Carlo.

Peter Zarth, Kaiserswerth

Niemand verlässt den Raum

Eine streikgeile Gewerkschaft trifft auf einen geizigen Arbeitgeber, der nur seine Vorstände großzügig mit Boni pampert. Buchstäblich auf der Strecke bleibt - die Kundschaft. Da wünschte man sich glatt eine Zwangskonklave: Niemand verlässt den Raum, bevor nicht eine Tarifeinigung erzielt worden ist.

Stefan Papsthart, Günzburg

Arbeitszeitverkürzung?

In den 80er-Jahren hat der Kampf für die 35-Stunden-Woche in die Zeit gepasst, weil bei hohen Arbeitslosenzahlen Lösungen gefunden werden mussten, etwa eine Verteilung der Arbeitszeiten auf die vorhandenen Arbeitskräfte. Inzwischen hat sich die Situation geändert. Ein Mangel an Arbeitskräften in verschiedenen Bereichen führt dazu, dass in existenziell wichtigen Bereichen wie Gesundheit, Pflege, öffentlichem Nahverkehr und Kinderbetreuung Unterversorgung herrscht, die gerade Menschen trifft, die besondere Unterstützung brauchen oder die mit ihrer Lebensweise die Umwelt schonen wollen.

Sie sind es, die nicht nur unter Streiks besonders leiden, sondern die auch bei einer Arbeitszeitverkürzung von einem kurzfristig noch stärkeren Fachkräftemangel betroffen wären (kleinere Firmen, wie die Konkurrenten der Deutschen Bahn, können das leichter stemmen). Bessere Arbeitsbedingungen würden ja nicht von heute auf morgen zu einem höheren Arbeitskräfteangebot führen (diese Gleichung ist eher vom Marktliberalismus inspiriert). Hier sollten vernünftige Menschen die Bedürfnisse verschiedener Gruppen (Behinderte, Studierende und so weiter) einbeziehen, statt den radikalsten Gewerkschaftsvorschlägen hinterherzulaufen, unabhängig vom Realitätsbezug. Zu einer Arbeitszeitverkürzung in der gesamten Gesellschaft einschließlich Pflegekräfte wird es so schnell nicht kommen.

Henning Fritsches, Rothenburg

Erpressungsversuche

Es war mehr als an der Zeit, dass die GDL bereit ist, endlich mit der Bahn zu sprechen, statt stur zu streiken. Ja, die Bahn hat an der Situation eine Mitschuld. Aber wesentlich dafür, dass die GDL ihre Blockadehaltung zunächst mal gelockert hat, war doch das Zugeständnis der Bahn, mit der GDL auch über Tarifabschlüsse im Infrastrukturbereich zu sprechen.

Nun dröhnt Weselsky, die Bereitschaft, auch über einen Tarifvertrag für die Infrastruktur zu verhandeln, sei nunmehr vorhanden: "Im Falle einer Einigung wäre das ein starkes Signal für das gesamte Eisenbahnsystem und ein Schub hin zur Attraktivitätssteigerung der Eisenbahnberufe."

Das ist natürlich totaler Blödsinn. Attraktiv wird die Bahn und werden Bahnberufe nicht dadurch, dass die DB ausgerechnet mit der GDL und deren Über-Ego an der Spitze Tarifabschlüsse vereinbart. Das ist leider ein Erfolg ausschließlich für Weselskys Erpressungsversuche, um seine Gewerkschaft stärker zulasten der EVG bei der Bahn zu etablieren.

Und da entlarvt sich eben der wahre Grund für seine Brutalität: die Bahn-Mitarbeiter haben für ihn nachrangige Priorität, wichtig ist ihm, keinesfalls "nur" Zweiter zu sein. Nur ist das kein legaler Grund für einen derartigen Streik auf dem Rücken von Millionen Bahnkunden, also verbrämt er das mit legitimen Forderungen, die ihm aber nicht wirklich wichtig sind. Wer das jetzt bisher nicht erkennt, der will das nicht sehen und wahrhaben.

Friedrich-Karl Bruhns, München

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