Handelspolitik:Wirtschaft und Moral

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Bundeskanzler Olaf Scholz zu Besuch bei Staatschef Xi Jinping in China. (Foto: Yao Dawei/Imago)

War es gut, dass Kanzler Scholz nach China reiste? Bei Fragen der deutschen Handelsinteressen und moralischer Prinzipien gegenüber der Volksrepublik gehen die Meinungen der SZ-Leser auseinander.

"Ein Scholz-Alleingang zu viel" vom 3.November, "Lass das mal den Papa machen" vom 7. November, "Jenseits von China" vom 15. November

Man muss mit China reden

Ich fand es gut, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und der chinesische Staatschef Xi Jinping persönlich miteinander redeten. Das war vorher schon bekannt und sollte Nicolas Richter nicht überrascht haben. So läuft das mit den diplomatischen Gepflogenheiten. Und dass im momentanen internationalen Gewirr kein Friede-Freude-Eierkuchen-Auftritt für die Presse veranstaltet wurde, finde ich ehrlich.

Mäßig sinnvoll kommen mir allerdings all die innerdeutschen Krakeeler vor, die daran herummeckern und auf dicke deutsche Hose machen, dass Scholz nach Peking flog. Seit Willy Brandt sollte eigentlich Einigkeit darüber herrschen, dass Wandel in Frieden ausschließlich durch Gespräche möglich wird. Und es ist sicher auch kein Wirtschaftsstudium Voraussetzung, um zu begreifen, dass die über Jahrzehnte aufgebaute wirtschaftliche Verflechtung mit China nicht durch Schmollen und schon gar nicht binnen Wochen oder Monaten abgebaut werden kann, ohne unsere eigene Wirtschaft zu zerlegen.

Da plärren einige Unverantwortliche nationalistisches Zeug in der Hoffnung, daraus politisch Honig saugen zu können. Die Abhängigkeiten müssen reduziert werden, aber das dauert. Dabei darf auch keine Feindschaft entstehen, denn die kostet alle Beteiligten sehr viel.

Alfred Münch, Olching

Die richtige Balance

"Atomare Drohgebärden sind unverantwortlich und brandgefährlich", konnte Scholz nach den Gesprächen mit Xi als gemeinsame Auffassung verkünden. Hier handelt es sich um das bisher deutlichste Abrücken Chinas zumindest in einer wichtigen Teilfrage von Russland. Bewegung kommt auch in die Zulassung des Corona-Impfstoffes von Biontech in China. Solche Ergebnisse wären ohne die Gespräche vor Ort wohl nicht erzielt worden, die Verbindung von Russland und China hätten nicht gelockert werden können.

Für eine neue China-Strategie kommt es auf die richtige Balance eines bilateralen Pragmatismus im Sinne von Scholz mit einer abgestimmten Haltung des demokratischen Westens an. Die Umsteuerung zu mehr Unabhängigkeit muss mit einer ehrlichen Abwägung verbunden sein.

Wir brauchen China auf absehbare Zeit zum Erreichen elementarer Ziele: die Beendigung des Krieges in der Ukraine, das Erreichen der globalen und unserer eigenen Klimaziele, die Erhaltung von Wohlstand und Arbeit. Man muss sich jeweils gut überlegen, ob demonstrative Akte wie das Absagen einer Reise diesen Zielen dienen oder eher schaden. Im Fall dieses Chinabesuches wären durch einen überbetonten wertegeleiteten Ansatz, der zum Verzicht auf die Fahrt geführt hätte, wichtige Chancen verpasst worden.

Jens Jacobsen, Flensburg

Scholz' Reise war ein Fehler

Ist es maßlose Selbstüberschätzung oder einfach nur Naivität und Ignoranz, wenn unser Bundeskanzler nicht erkennt, dass er von Xi Jinping gnadenlos instrumentalisiert wurde. Die Reise schon deshalb als Erfolg zu werten, weil er gemeinsam mit Xi den russischen Präsidenten, Wladimir Putin, vor einem Atomkrieg gewarnt hat, ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Was Scholz allerdings erreicht hat, ist, dass er Deutschland weiter von seinen europäischen Partnern entfernt hat und damit eine gemeinsame und abgestimmte China-Strategie der EU erschwert, wenn nicht gar verhindert hat.

Manfred Peter, Hannover

Abkehr von China wäre falsch

Dass Olaf Scholz Ruhe bewahrt, auch wenn maßgebliche Medien und sogar der französische EU-Kommissar Thierry Breton gegenüber China hektische Aufregung verbreiten, gefällt mir sehr. China ist für Deutschland ein sehr wichtiger Wirtschaftspartner - und das, obwohl alle Welt schon lange weiß, dass China als ein Systemrivale der westlichen Demokratien zu verstehen ist.

Wir sollten uns die USA zum Vorbild nehmen, die zwar große Töne gegen die chinesische Regierung spucken, jedoch nicht so dumm sind, gleichzeitig ihre intensive wirtschaftliche Verflechtung mit China abrupt zu kappen, wie es einige Heißsporne fordern. Ohne Frage dürfen sich Deutschland und die EU nicht in wirtschaftliche Abhängigkeit von China begeben. Noch sind wir weit davon entfernt. Die Minderheitsbeteiligung Chinas am Hamburger Hafen wird von interessierter Seite zwar zum Symbol der Abhängigkeit hochgejubelt, aber dem zu folgen wäre keine verantwortungsbewusste Politik.

Dr. Hans-Joachim Schemel, München

Warnsignal für den Westen

Jetzt wollen die Chinesen auch noch am Hamburger-Hafen mitverdienen. Es kann doch nicht sein, dass die Chinesen bald bei uns das Sagen haben. Es schreit zum Himmel, wenn man sieht, wie sich Xi Jinping profiliert und die Macht an sich reißt. Das ist ein Warnsignal für die westliche Welt.

Bei den Menschenrechtsverletzungen in China kann man doch auch nicht einfach wegschauen. Ich trau diesem Machthaber alles zu, nur um die Herrschaft über ganz Asien zu bekommen. Wenn man an den Hafendeal denkt, auf dem Scholz beharrte, könnte man schon meinen, er ist ein (guter) Freund von Xi.

Georg Bankl, Trostberg

Von China lernen

Aktionismus und das Kappen von Beziehungen im wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und sozialen Geflecht mit China wäre zwar kurzfristig populistisch wirksam, man könnte es also auf der Agenda des Außenministeriums finden, dass Olaf Scholz jedoch hier frei von Hektik agiert, ist so sinnvoll wie geboten im internationalen Geflecht.

China, das heißt Beziehungen pflegen und leben, das heißt mit Bedacht deutsche und europäische Interessen vertreten ohne bestehenden Austausch zu gefährden. Austausch ist hier jedoch das Schlüsselwort. Niemand in China erwartet von Deutschland Altruismus oder wirtschaftliches Tun gegen die eigenen, die deutschen Interessen.

Wenn wir jedoch aus neoliberalem oder blindem, kurzfristigem Gewinnstreben den Ausverkauf an Ressourcen und Technologien betreiben, dann wird China dies nutzen. Nicht ausnutzen. Schlicht tun, weil es den eigenen Interessen dient. Hier können wir von Xi Jinping lernen, für dessen Vorgehen gegen Korruption und ungebremsten Turbokapitalismus hege ich einige Sympathien, was nicht heißt, dass ich in allem mit dem Handeln der chinesischen Regierung d'accord bin.

Wir müssen beginnen zu verstehen, dass die meisten Chinesen von ihrer Regierung einen weitreichenden Schutz erwarten. Sicherheit und Freiheit jedoch sind einander entgegenwirkende Interessen. Hier gehen China und der Westen verschiedene Wege, bei verschiedener Historie: wir geprägt von westlich demokratischem Denken, China in der Tradition des Konfuzianismus.

So erlaubt China gemeinsame Unternehmungen, Joint-Ventures, wenn China die Mehrheitsanteile behält und dies China nutzt. Das ist nicht verwerflich, es ist klug. Und in China wird es niemand verwerflich finden, wenn wir dasselbe tun. Also sollten wir China offen aber im Sinne unserer Interessen begegnen.

Dr. Frank Grupp, Utting am Ammersee

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