Tätowierungen im Job:Tattoos sind kein Tabu mehr

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Grenzfall: Unterm Ärmel blitzt das Tattoo hervor. Für Lufthansa-Stewards wäre das verboten.

(Foto: E+/Getty Images)

Die Kleiderordnung im Büro wird lockerer, selbst bei der Berliner Polizei sind Tattoos inzwischen erlaubt. Doch es gibt Grenzen.

Von Harald Freiberger

Manchmal kommt es zu komischen Szenen, wenn Stephan Rieger abends mit langärmeligem Hemd und langer Hose weggeht. Erzählt der Münchner Tätowierstudio-Besitzer, was er macht, hört er schon mal die Frage: "Selber tätowiert bist du aber nicht, oder?" Einmal antwortete er zum Scherz mit "Nein", da kam zurück: "Würd' auch nicht zu dir passen."

Sieht man von Händen, Hals und Gesicht ab, gibt es nur noch zwei kleine Stellen an Riegers großem Körper, die nicht tätowiert sind, eine am Rücken und eine am rechten Oberschenkel. Und die lässt er sich in diesen Tagen gerade machen von der Tätowiererin seines Vertrauens, die zugleich seine Angestellte ist: Julia Tempel. Ihr Nachname ist ein Kunstwort, abgeleitet vom Firmennamen. "Tempel München", so nannte Rieger sein Studio, das er 2007 gründete. Inzwischen gehört es zu den größten in München, acht Tätowierer arbeiten für ihn.

Stephan und Julia sitzen in ihrem Studio in der Rosenheimer Straße. Es ist alles vorbereitet, Tätowiermaschine, Nadeln und Farben stehen auf dem Tisch, der von einer Klarsichtfolie bedeckt wird. Nachher wird sich Stephan auf die Liege legen, noch 20 Tätowierstunden braucht er, 350 Stunden hat er dann insgesamt auf dem Buckel und anderen Körperteilen. "Ich bin so froh, wenn's vorbei ist, endlich keine Schmerzen mehr, es tut nämlich mit dem Alter immer mehr weh", sagt der 41-Jährige.

Vorher erzählen beide noch die Geschichte von der erstaunlichen Entwicklung ihres Jobs. Anfang der Neunzigerjahre war ein Tattoo noch ein Merkmal von Außenseitern, ein soziales Stigma, eine Art Brandzeichen. Es gab drei Personengruppen, die Tattoos trugen: Seeleute, Knastbrüder und Rocker. Dann passierte etwas Sonderbares: Nach und nach ließen sich auch andere Personengruppen tätowieren, angefangen mit den "Arschgeweih" genannten Verzierungen junger Frauen am unteren Rücken. Heute, 25 Jahre später, ist der Trend in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie sich in diesem heißen Sommer besichtigen lässt. Es gibt Schätzungen, wonach in Deutschland in der Generation der 25- bis 34-Jährigen jeder Zweite ein Tattoo trägt. Über alle Altersgruppen hinweg ist es jeder Fünfte.

Das hat auch Auswirkungen auf das Arbeitsleben. Vor wenigen Jahren noch wäre es undenkbar gewesen, dass ein Angestellter mit Kundenkontakt sein Tattoo offen tragen darf. Bei zwei Organisationen ist dieses Tabu schon gefallen: Anfang des Jahres teilte die Berliner Polizei mit, dass Tattoos kein Hinderungsgrund mehr für eine Einstellung sind. Voraussetzung ist, dass sie "die Repräsentationsziele der Polizei Berlin" nicht beeinträchtigen. Tabu sind weiter religiöse, politische, obszöne oder gewaltverherrlichende Motive, auch Tattoos an Hals, Händen und Gesicht.

Die Berliner Polizei räumt ein, die neue Regelung habe auch damit zu tun, dass man "den Bewerberkreis für die Polizeiausbildung nicht unnötig einschränken" wolle. Jedes Jahr würden etwa 1200 Azubis eingestellt. Bisher konnte man die Stellen noch immer besetzen, "die stagnierenden Schulabgängerzahlen und erhebliche Konkurrenz mit anderen Behörden und Firmen sind aber eine Herausforderung, um genügend geeignete Bewerber zu finden", sagt ein Sprecher. Man tut sich schwer, wenn man jeden mit einer kleinen Tätowierung aussortiert.

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